Wohnen in der Ökopolis: Von Commons zu Klubräumen und wieder zurück?

Mehrschichtige Collage: Regale mit theoretischer Literatur auf dem Schulhof; eine auf dem Boden sitzende Menschenmenge; ein schwarzes Mädchen, das ein Protestschild hochhält (I can‘t breathe); ein wütender Clown, der sich zum Kampf erhebt; die Ränder eines Daches. Artwork: Colnate Group, 2024 (cc by nc)
Artwork: Colnate Group, 2024 (cc by nc)

Die Privatisierung grundlegender städtischer Ressourcen wie Wohnraum und die Frage, warum die Rückforderung der Infrastruktur des Lebens vom Kapital im Zuge der Klimakrise noch dringlicher geworden ist, veranlassen uns, die Commons neu zu überdenken. Unser theoretisches Wissen über die Gemeingüter stammt aus zwei verschiedenen Forschungsbereichen: der politisch-ökonomischen Forschung über Gemeingüter-Institutionen und der soziokulturellen Forschung über emanzipatorische Gemeingüter-Bewegungen. Um die Commons zu erkennen und von den Nicht-Commons abzugrenzen, müssen die teilweise widersprüchlichen Erkenntnisse aus beiden Bereichen miteinander verknüpft werden. In beiden Forschungsfeldern werden ökologische Studien durchgeführt, die das Konzept des Commoning als Bedingung für einen klimagerechten Urbanismus stützen, argumentiert Dagmar Pelger in ihrem Beitrag zur Textreihe “Kin City”.

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Der Ausgangspunkt aller Gemeingüter ist ihre gemeinsame Produktion. Jeder Prozess der Vergemeinschaftung – oder Commoning – kann nur stattfinden, wenn diejenigen, die die Güter, Ressourcen oder Räume nutzen, auch diejenigen sind, die die Regeln für diese Nutzung bestimmen, wie wir von der politischen Ökonomin Elinor Ostrom gelernt haben. Aber erst wenn die räumlichen Ressourcen und die – bewusste oder unbewusste – Aushandlung von Regeln potentiell allen zugänglich sind, öffnet sich ein Raum durch emanzipatorische Aneignung als räumliches Gemeingut. Erst dann erfüllt er die Beschreibung der Commons als Ort solidarischer Beziehungen, um die Philosophin Silvia Federici zu zitieren.

Der Prozess der Erschließung eines räumlichen Gemeinguts als Sphäre jenseits von öffentlich und privat wird vor allem durch die Art und Weise bestimmt, wie mit etwaigen Erträgen oder Gewinnen aus der jeweiligen Nutzung des Raumes umgegangen wird. Solange der materielle, immaterielle, soziale oder kulturelle Überschuss einer bestimmten räumlichen Allmende – zum Beispiel eines Versammlungsortes – unter potenziell allen Nutzer*innen geteilt und nicht von einigen wenigen akkumuliert, extrahiert oder absorbiert wird, wird eine universelle räumliche Allmende – zum Beispiel die Stadt als solche – als Gemeingut erhalten, gepflegt und täglich reproduziert. Commoning wird so als ein reproduktiver und nicht-extraktiver Modus der Raumproduktion lesbar. Dies eröffnet eine Perspektive auf die Raumproduktion in den Commons als einen ökologisch gerechten und nachhaltigen Prozess, in dem Ressourcen geteilt und nicht ausgebeutet werden.

Je mehr die wirtschaftliche Tätigkeit auf die Subsistenz (Nahrung, Kleidung, Wohnung) und nicht auf den Markt (Profit, Wachstum etc.) ausgerichtet ist und je mehr an einem Ort oder in einem Prozess gemeinschaftliche Inklusion und demokratische Verwaltung vorherrschen, desto höher ist der Grad des Commoning. Das Gegenteil ist der Fall bei Klubgütern oder Klubräumen, die ausschließlich für Mitglieder zugänglich sind, sich in deren Privatbesitz befinden und von ihnen kommerziell verwaltet werden.

Alle vier Raumtypen überlagern, vermischen und durchdringen sich im städtischen Raum. Dennoch bietet ihre Beschreibung ein hilfreiches Analyseinstrument, um die Produktion von städtischem Raum als reproduktive oder extraktive Praxis ökonomisch und ökologisch lesbar zu machen, wie in der folgenden Betrachtung der Berliner Modi der Wohnraumversorgung deutlich wird.

Berlins Häuser und die Menschen, die in ihnen leben

Im Berliner Stadtgefüge sind unterschiedliche ökonomische und politische Systeme verankert, und so bieten die Wohnmodelle der Stadt eine Reihe von besonderen Beispielen für Eigentumsveränderungen in der jüngeren Geschichte, die Berlin sowohl auf sozialräumlicher als auch auf ökologischer Ebene beeinflusst haben.

Bereits in der sogenannten Gründerzeit (1867-1873) wurde mit dem Expansionsplan von James Hobrecht ein erster Versuch des Massenwohnungsbaus unternommen. Um die bestehende Stadt herum wurde ein öffentliches Straßennetz geplant, das privaten Bauherren Grundstücke mit einer Tiefe von bis zu 250 Metern bot. Die neuen Siedlungen zeichneten sich durch eine hohe Bebaungs- und Wohndichte aus, so genannte Mietskasernen und enge Höfe wurden aneindergereiht. Diese Netzstruktur garantierte den Investor*innen eine hohe Rentabilität. Die Kehrseite des Booms: rasant steigende Mieten und Zwangsräumungen. Wer seine Wohnung verlor, landete oft in einem Arbeitshaus. Informelle Siedlungen außerhalb der Stadtmauern kompensierten den Mangel an Wohnraum durch selbst errichtete Strukturen. Der selbsternannte Freistaat Barackia war zwar nur ein kurzes Experiment in Sachen Allmende, das nur zwei Jahre dauerte, bis es von der Berliner Polizei geräumt wurde, doch stellt er eine soziale wie räumliche Verbindung zwischen der traditionellen Allmende des Dorfangers und der städtischen Straße als von den Mietskasernenblöcken umschlossene Allmende her.

In der Weimarer Republik (1918-1933) wurden als eine Art Gegenbewegung zu diesem Gründerzeit-Modell bürgerlich-öffentliche Wohnungsbaugesellschaften wie GEHAG, GSW und Gewobag maßgeblich von Gewerkschaften und Syndikatsorganisationen und deren Traditionen der Selbstverwaltung initiiert und geprägt. Verwoben mit kommunalen oder staatlichen Strukturen waren diese hybriden Gesellschaften nicht profitorientiert und damit gemeinnützig. Die ikonischen Wohnsiedlungen der Moderne, wie die Hufeisensiedlung, Onkel Toms Hütte, Wohnstadt Carl Legien und viele andere, boten Wohnungen für Arbeiter*innen, Angestellte und Beamt*innen, die an Entscheidungen und Eigentum beteiligt waren. Auch genossenschaftliche Modelle wurden initiiert, wie die Lindenhofsiedlung, wo der Grad der Selbstbestimmung und des gemeinsamen Eigentums noch höher war. Die modernistischen Wohnsiedlungen blieben bis in die 1990er Jahre in öffentlichem Eigentum, die genossenschaftlichen Siedlungen bis heute.

Die beiden sehr unterschiedlichen politischen Systeme der Nachkriegszeit in Ost- und West-Berlin (1949 bis 1990) prägten jedoch sowohl den Bestand als auch die Neubausiedlungen. Während die Wohnungsproduktion Ost-Berlins mit rund 155.000 Wohnungen durch stark standardisierte Plattenbautypen in parkähnlicher Umgebung gekennzeichnet ist, weist West-Berlin mit rund 60.000 Neubauwohnungen eine größere Variation in Bauweise und -typ auf. Die architektonisch trotzalledem recht ähnlichen Ergebnisse der Großwohnsiedlungen auf beiden Seiten, wie z.B. Marzahn im Osten oder das Märkische Viertel im Westen, unterscheiden sich in ihrer sozialräumlichen Produktion aufgrund unterschiedlicher Wirtschafts- und Eigentumsmodelle wesentlich stärker.

Der Wohnungsbau in Ost-Berlin war per se gemeinnützig, stellte Wohnungen für alle zur Verfügung und wurde entweder vom Staat oder von Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften in einer Art staatlich kontrollierter Selbstverwaltung organisiert. In verschiedenen Konstruktionen kann der Wohnungsbau im Osten als ein genossenschaftlich-öffentlicher Ansatz innerhalb eines stark staatlich kontrollierten Systems gesehen werden. In West-Berlin hingegen förderte und finanzierte das staatlich geregelte Fördersystem für den so genannten sozialen Wohnungsbau vor allem eine marktwirtschaftliche Immobilienwirtschaft durch Steuererleichterungen für Investoren. Zusätzliche Subventionen ermöglichten eine “soziale Bindung” der Mieten, die auf einen Zeitraum von 20-30 Jahren begrenzt war. Danach konnten die Wohnungen zu Marktpreisen vermietet und somit gewinnorientiert bewirtschaftet werden.

Sozial-ökologische Handlungsmacht?

Dieser Ansatz des temporären gemeinnützigen Wohnungsbaus durch öffentlich geförderte Investor*innen war auch die Vorlage für die Internationale Bauausstellung (IBA) in West-Berlin von 1984 bis 1987. Angetrieben von den Plänen für eine innerstädtische Autobahn in Kreuzberg Ende der 1970er Jahre führte ein massiver zivilgesellschaftlicher Protest gegen die Kahlschlagsanierung und die damit verbundenen IBA-Pläne zu einer Spaltung des IBA-Projekts. In den etablierten Westbezirken wurde das ursprüngliche Konzept einer “kritischen Rekonstruktion” des Vorkriegsblockrasters mit Neubauten in öffentlicher, Klub- oder privater Trägerschaft als “IBA Neubau” vorangetrieben.

In Kreuzberg, einem Bezirk mit einem hohen Anteil an proletarischen oder prekär arbeitenden Bewohner*innen, Aktivist*innen und vielen Bewohner*innen mit Migrationsgeschichte, wurde das alternative Konzept der “IBA Altbau” für eine “sanfte Erneuerung” bestehender Blöcke durch partizipative Sanierung und behutsame Einfügung von Neubauten installiert. Bei aller emanzipatorischen Kraft, die hinter dem Konzept steht, wurden laut Esra Akcans gründlicher Recherche kaum Anstrengungen unternommen, die vielfältigen Kreuzberger Gemeinschaften in die deutschsprachig dominierten Beteiligungsprozesse einzubinden. Dennoch gehörte die Gründung von kleinen Genossenschaften wie der Selbstbau eG oder der Luisenstadt eG, die Praktiken der Selbstverwaltung von kollektivierten Häusern, die von Hausbesetzer*innen übernommen wurden, sicherstellten, zu den bemerkenswerten Ergebnissen, ebenso wie die Gründung von gemeinnützigen Stadtentwicklungsvereinen wie Stattbau oder S.T.E.R.N. Zentrale Ergebnisse der Partizipationsprozesse zur sanften Erneuerung waren Leitlinien zur Sicherung ressourcenschonender Sanierungen, Entscheidungsbefugnisse für Bewohner*innen, grüne Freiräume und soziale Infrastrukturen für den gesamten Bezirk. Diese sozial-ökologische Haltung selbstbestimmter Stadtbewohner*innen spiegelt sich im räumlichen Erscheinungsbild der Blöcke mit einem hohen Anteil an vielfältiger Vegetation und alternativen Baumaterialien wider. Während die IBA Neu Wohnraum als Klubgut in privat-öffentlicher Kollaboration produzierte, produzierte die IBA Alt Wohnraum als Gemeingut in zivilgesellschaftlich-öffentlicher Kooperation.

Beide Modelle wurden in einen Stadtstaat integriert, als Berlin 1990 Hauptstadt der vereinigten BRD wurde. Bis Ende der 1990er Jahre wurden die meisten öffentlichen Mietwohnungen, viele der Siedlungen der Weimarer Republik, die fast 150 Jahre lang bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung gestellt hatten, und große Teile der in einem partizipativen Prozess sanierten IBA-Altbauten in private Kapitalgesellschaften überführt oder Anfang der 2000er Jahre an Unternehmen wie die Deutsche Wohnen, eine Tochter der Deutschen Bank, verkauft. Der Bestand an Sozialwohnungen schrumpfte von 482.000 im Jahr 1990 auf 223.000 im Jahr 2009, während der Bestand an Genossenschaftswohnungen bei 185.000 blieb.

Für eine urbane Ökopolitik räumlichen Gemeineigentums

Diese miteinander verflochtenen und vielschichtigen Veränderungen im Berliner Wohnungs- und Immobilienbesitz – von der Allmende zum Klub und wieder zurück – wirken sich auch heute noch auf die sozioökonomischen Kämpfe um räumliche Ressourcen angesichts der sich entfaltenden Klimakrise aus, wobei vulnerable Gruppen wie rassifizierte Gemeinschaften und Obdachlose unverhältnismäßig stark betroffen sind.

Im Gefolge der Finanzkrisen nach 2009 haben sich die Folgen der Privatisierungswelle im Wohnungsbau auf gewaltsame Weise materialisiert und zu zahlreichen Vertreibungen, Überbelegungen, Obdachlosigkeit, Zwangsräumungen und Gentrifizierung geführt. Ähnlichkeiten zum Gründerzeit-Modell überschneiden sich mit Ähnlichkeiten zum IBA-Neu-Modell, begleitet von Experimenten mit dem IBA-Alt-Modell, das sich bereits auf die gemeinnützigen Organisationsmodelle der Weimarer Republik bezog. Seitdem Immobilien zum profitabelsten global gehandelten Finanzwert geworden sind, hat sich das Potenzial von Wohnsiedlungen, in ein Klubgut umgewandelt zu werden, stark erhöht.

Da Klubförmiger Raum eine geschlossene und exklusive Art von (im)materiellem Gut ist, das in einer auf Extraktion basierenden Wirtschaft verwurzelt ist, steht er per Definition im Gegensatz zum “Commoning” als einem sorgsamen, reproduktiven und ökologisch integrativen Modus des Ressourcenmanagements sowie zu einer solidarischen und inklusiven sozialen Praxis. Die Forderung nach Gemeineigentum an Wohnraum ist das einzige ökonomische Modell, in dem eine Praxis ökologisch nachhaltiger Haushaltsführung mit reproduktiver Ressourcennutzung in eine solidarische und sozial integrative Selbstverwaltung von Commons integriert ist. Lasst uns vergesellschaften.

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel ist ein Beitrag zur “Kin City”-Serie der Berliner Gazette. Mehr Informationen hier: https://berlinergazette.de/de/kin-city-urbane-oekologien-und-internationalismus-call-for-papers/

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