Eine Woche Ukraine: “Keine Angst mehr vor Kiew.”

Ein Recherchestipendium für die Ukraine, genauer gesagt für Kiew. Wo viele Leute gerade nicht mal die Spitze ihres kleinen Zehs hinsetzten würden, konnte Berliner Gazette-Autorin Rebecca Barth einfach nicht fern bleiben. Auch, wenn sie vorher tagelang mit Bauchschmerzen im Bett lag. Inzwischen hat sie “keine Angst mehr vor Kiew”. Ein Reisebericht.

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Ende März bewarb ich mich um ein Stipendium für ein Rechercheprojekt. Mein Ziel: der Maidan. Damals ging ich noch davon aus, dass sich die Revolution in der Ukraine auf Kiew beschränkt, dort zu Ende geht und das war‘s dann. Heute bin ich klüger und so ging mir spätestens nach der Tragödie in Odessa – auf gut deutsch gesagt – der Arsch ziemlich auf Grundeis. Da ich weder viel über die Ukraine wusste, noch Ukrainisch und auch Russisch mehr schlecht als recht beherrsche, in diesem Land absolut niemanden kenne und die politische Lage gar nicht einzuschätzen wusste, wurde mir erst kurz vor knapp klar, auf was ich mich da eigentlich eingelassen hatte.

Meine Familie machte sich natürlich doppelt Sorgen. Schon Anfang April, als ich Freunde in Sankt Petersburg besuchte, rief mich meine Oma an: „Kind! Fahr nicht nach Russland. Der Putin, der is‘ bekloppt!“ Meiner Oma konnte ich jedoch noch klar machen, dass Putin zwar eine äußerst umstrittene Figur sei, dass aber selbst er sich nicht die Mühe machen würde mich in Sankt Petersburg über den Haufen zu schießen. Trotzdem entschied ich, ihr von dem Ukraine-Trip erst gar nicht zu erzählen. Das Herzinfarktrisiko schien mir einfach zu groß. Abgesehen davon reichten mir meine Eltern, die ich regelmäßig beruhigen musste, vollkommen aus. Denn spätestens nach Odessa hatten nicht nur meine Eltern Panik, sondern auch ich lag tagelang mit Bauchschmerzen im Bett.

Keine Angst mehr vor Kiew

Im Endeffekt haben sich Krieg und Gewalt dann auf einige Gebiete im Osten des Landes eingependelt, und desto mehr ich meine Reise plante, desto ruhiger wurde ich. Meine Eltern hat das eher weniger beruhigt. Meine Mutter lehnte gar ab, zu wissen wann ich denn fahren würde. Zwei Tage vorher habe ich sie natürlich trotzdem in Kenntnis gesetzt. Anfang Juni war es dann endlich so weit. Meine Angst hatte sich bis dahin komplett gelegt und das zu Recht, wie sich im Nachhinein zeigen sollte.

Von Berlin Tegel ging es zuerst nach Riga und von dort aus nach Kiew. Mir ist schon klar, dass dies nicht nur geografisch unsinnig ist, sondern auch wichtige Zeit kostet. Es war aber billiger. Zwar hatte ich zu dem Zeitpunkt keine Angst mehr vor Kiew, der Ukraine und den Faschistenhorden, die man erwartet, wenn man ein bisschen zu lange russisches Fernsehen guckt, doch schlackerten mir ordentlich die Knie, als ich das „Flugzeug“ sah, welches mich nach Riga bringen sollte. Eine kleine Propellermaschine, die ich sonst nur aus Filmen kannte. Sofort schossen mir alte schwarz-weiß Aufnahmen von den ersten Flugversuchen der Menschheit durch den Kopf. Ich schüttelte erst belustigt den Kopf, um anschließend ein Stoßgebet gen Himmel zu schicken, bevor ich das Ding betrat. Aber, letztendlich, bin ich doch heil in Kiew angekommen.

Dort wurde ich, wider Erwarten, nicht von einer Horde Faschisten abgeholt, sondern erstmal von niemandem. Mit Hilfe der ukrainischen Community in Berlin hatte man mir einen Abholservice besorgt, dem ich zudem Tarnkappen für Armeehelme mitbringen sollte. Die sind hier nämlich billiger und die ukrainischen Truppen im Osten so schlecht ausgerüstet, dass sich die Jungs über alles freuen. Nach einer Weile tauchte meine Begleitung dann doch auf und wir fuhren in die Stadt. Ich hatte mir ein sehr billiges Hostel direkt am Maidan besorgt. Ich war ja schließlich hier, um zu arbeiten, von daher brauchte ich nur ein Bett. Dachte ich jedenfalls. Das Hostel sah das genauso.

Ein Hostel im 7. Stock

Angekommen, standen wir vor einer unscheinbaren, schweren Metalltür. Ein angeklebter Zettel verwies darauf, dass sich das Hostel im 7. Stock befände. Der dunkle, ziemlich heruntergekommene Hausflur schockierte mich nicht sonderlich. Ich war schon einige male in Russland und hier schien die Hauspflege offensichtlich ähnlich zu sein. In Russland ist es nämlich so, dass die Leute sich um ihre eigene Wohnung kümmern, es aber keine Instanz gibt, die sich um das Haus an sich und den Hausflur kümmert. Dies führt dann dazu, dass man oftmals den Wohlstand einer Familie erst erkennen kann, wenn man die Wohnung betritt, nicht aber, wenn man sich die Fassade des Hauses anschaut.

Der Aufzug allerdings schien weniger vertrauenswürdig. Ein ziemlich kleiner, dunkler Kasten, der höchstens drei Personen ohne Koffer Platz bot und sich ruckelnd und schaukelnd langsam nach oben begab. Unten war ein Warnzettel angeklebt: „Höchstens 4 Personen, sonst 500 Gryvna“. Wie da vier Personen hätten reinpassen sollen ist mir allerdings ein Rätsel. Das Hostel bestand aus drei Wohnungen, dessen Wohnungstüren einfach permanent geöffnet waren und deren Zimmer mit klapprigen Hochbetten ausgestattet wurden.

Mein sogenanntes Zimmer – ich hatte mir ein Einzelzimmer gebucht, denn ich wollte ja arbeiten – war eigentlich ein Bett mit Wänden drum herum. Ein paar Haken hingen an der Wand für Jacken, ein kleiner, runder Spiegel und auch ein Fernseher gab es. Das Doppelbett waren zwei quietschende Einzelbetten, deren Gestell notdürftig mit Tesafilm zusammengeklebt wurde. Einen Schrank, einen Tisch oder Stauraum gab es nicht. Dafür ein Balkon mit Blick auf den Maidan. Mehr brauchte ich nicht. Den Koffer schob ich unters Bett, da ich sonst keinen Platz mehr gehabt hätte, die Türen zu öffnen. Am nächsten Morgen hatte ich schon direkt Termine. Noch etwas verschlafen kam ich langsam zu mir, wollte mich auch eigentlich nochmal umdrehen, bis ich eine Kakerlake entdeckte, die flink über mein Bett huschte.

„Ein sehr schnelles Tier“

Noch nie in meinem Leben bin ich alter Morgenmuffel so schnell aus dem Bett gesprungen, wie an diesem Morgen. Ich quietschte angeekelt vor mich hin. Versuchte mich zu beruhigen und zu überlegen wie ich das Vieh aus meinem Zimmer bekam. Doch es half alles nix. Mein kleiner Freund hatte es sich unter meiner Bettwäsche bequem gemacht und zu mehr als panischem Quietschen war ich nicht mehr in der Lage. Das Mädchen an der Rezeption war da abgebrühter. Als ich sie darauf hinwies, dass da „ein sehr schnelles Tier“ in meinem Bett sei, schaute sie kurz nach, machte „oh“, holte ein Gefäß und entfernte die Kakerlake.

Im Handumdrehen hatte ich das ganze Zimmer nach weiterem Viehzeugs untersucht, aber erstmal nichts mehr gefunden. Beruhigen tat mich dies allerdings nicht. Und so schaute ich jeden Abend, bevor ich zu Bett ging, nach, ob irgendwo unter dem Bett, zwischen der Bettwäsche oder in meinem Koffer etwas krabbelte. Die restliche Woche blieb ich allerdings verschont. Wobei ich ehrlich zugeben muss, dass ich mir die ersten Tage abends regelmäßig Mut antrinken musste, um mich wieder in dieses Bett zu begeben.

Die Stimmung im Zentrum war sehr entspannt. Meinen Mut habe ich mir zwar zwischen Barrikadenresten angetrunken, aber die trübten die Stimmung kaum. Wenn man die Institutskaya Straße vermeidet, dann kann man hier völlig unbeschwert ein bisschen Urlaub machen. Keine Faschisten, Nationalisten, Militante oder durchgeknallte Revoluzzer, die einem das Leben schwer machen. Obwohl sich langsam aber sicher mehr und mehr merkwürdiges Volk an den noch übriggebliebenen Zelten auf dem Maidan versammelt.

Ich hatte eine sehr schöne Woche in Kiew. Es war sehr heiß und ich habe mir natürlich erstmal einen feinen Sonnenbrand geholt. Ich werde prinzipiell nicht braun sondern rot. Vielleicht ist das meiner Kölner Heimat zu verdanken. Nicht nur „ming Hätz schlät ruut un wieß“ sondern auch meine Hautfarbe kennt keine anderen Farbabstufungen. Während die Kiewer fleißig damit beschäftigt sind, die Wege wieder zu Pflastern und die Spuren des Umsturzes zu beseitigen, kämpfte ich mich die engen verwinkelten Straßen des Zentrums hoch und runter. Kiew ist nämlich eine sehr hügelige Stadt. Der Maidan erinnert ein bisschen an ein kleines Festival.

Bühne, ein paar Zelte, Souvenirstände, Essen und Trinken an jeder Ecke. „Seitdem hier die Barrikaden stehen, gibt es übrigens weniger Stau“, erfahre ich. Normalerweise ist die Chreschtschatyk Straße sonntags zum flanieren geschlossen. Seit ein paar Monaten ist sie zum revolutionieren geschlossen. Eigentlich ein ziemlich entspanntes Zentrum. Die Kiewer scheinen die gesamte Situation mit so viel Humor wie möglich zu nehmen. Der berühmt gewordene goldene Laib Brot, der in Janukowitschs Haus gefunden wurde, wird hier nun an jeder Ecke in Miniatur als Kühlschrankmagnet oder einfach nur Staubfänger verkauft. Man boykottiert russische Geschäfte und Produkte. In einer Bar fragte jemand nach einem alkoholfreien Bier. Der Kellner zog zuerst über die Frage verwundert die Augenbrauen hoch, schüttelte dann den Kopf und sagte: „Nur das russische“. Die Leute am Tisch brachen in tosendes Gelächter aus.

Schmähliedchen auf Putin

Ich genoss meinen Ausblick auf den Maidan. Manchmal finden noch Reden auf der Bühne statt. Oftmals hört man die Leute bis spät in die Nacht singen und musizieren. Es steht immer noch ein Klavier rum, auf dem jeder spielen kann, der möchte. Morgens gehen die Selbstverteidigungseinheiten, die noch hier campen, zusammen joggen. Sie wirken manchmal ein bisschen wie eine Schulklasse. Vorne die Motivierten, weiter hinten trottet man eher hinterher. Der Vorläufer umgeht dieses jedoch geschickt, indem er ab und zu mal einen kleinen Kreis läuft, am Ende der Schlange wieder ankommt und die Faulen ein bisschen scheucht. Ich gucke mir das ganze von meinem Balkon aus morgens gerne an, da die Männer immer schön oben ohne joggen gehen. Man hätte mir vielleicht vorher sagen können, dass nicht nur die ukrainische Mädchen ein Augenschmaus sind, sondern auch die Männer nicht von schlechten Eltern.

Meinen letzten Abend verbringe ich mit einem jungen Mann, den ich während meiner Recherche auf dem Maidan kennenlernte, auf meinem kleinen Balkon. Er gehört zu den Freiwilligen, die auf dem Maidan protestiert haben und sich jetzt auf den Krieg im Osten vorbereiten. Er war schon auf zwei Einsätzen und fährt auch bald wieder gen Osten. „Nach dem Maidan konnte ich fünf Tage nicht schlafen, dann habe ich Tabletten genommen. Und jetzt…naja jetzt ist Krieg. Ich versuche nicht darüber nachzudenken. Sonst wirst du verrückt, weißt du. Natürlich will ich niemanden töten, aber welche Wahl haben wir denn?“

Er kauft Essen, Bier und etwas Tee. „Für dich, dann hast du ukrainischen Tee in Deutschland“ sagt er. Unten auf der Straße beginnt jemand das mittlerweile weltweit berühmte Schmähliedchen auf Putin zu singen: „Putin huylooooo“, schallt es von unten. „Lalalalalala“, antwortet meine Begleitung von oben. Ich muss lachen. Bevor ich mich das letzte Mal in mein quietschendes Bett begebe rettet er mich noch vor einem weiteren Kakerlakenangriff indem er das Tierchen einfach packt und vom Balkon flitscht. Ich bin schon eine kleine Memme, denke ich mir.

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema in unserem Dossier Europakrise. Die Autorin war mit einem Stipendium des TONIC Magazins in Kiew.

Ein Kommentar zu “Eine Woche Ukraine: “Keine Angst mehr vor Kiew.”

  1. Erstmal danke für den Text, er hat ein paar großartige Beobachtungen und zieht einen rein. Aber ein Minus ist: ich les in dem Text auch ziemlich viele Klischees. ich verstehe schon, dass er ironisch gemeint ist, aber das mit dem ungepflegten Hausflur, das ist doch nichts Typisch Russisches oder Ukrainisches? Woran bemisst sich das denn? Und dann das mit den Kakerlaken, ok, eine Kakerlake, ja. Aber am Ende sehe ich als Leser nur noch Kakerlaken, es wird für meinen Geschmack sehr aufgebauscht. Oder nicht?

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