Wofür kämpfen die Leute eigentlich? In der Ukraine-Krise sind Motive und Frontverläufe nicht überall eindeutig geklärt. Für klare Verhältnisse setzt sich hingegen das Bataillon Donbass ein. Der freiwillige Kampfverband wurde im April 2014 gegründet, um die prorussischen Separatisten in der Ostukraine militärisch zu bekämpfen. Unsere Osteuropa-Korrespondentin Rebecca Barth mischt sich unter die Kombattanten. Eine Reportage.
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Die Türen eines kleinen Cafés auf dem Maidan fliegen auf. Heraus stürmen zwei Männer. Oleksij packt seinen Freund Konstantin am Arm und zieht ihn von der Tür weg. Dieser ist kaum zu halten. „Ich hab meine Brüder sterben sehen, du Mistkerl!“, brüllt er und stürzt zurück auf das Café zu. Er ist kleiner Mann in Militäruniform mit einem runden Gesicht. Seine dunklen Haare trägt er kurzgeschoren, die Augen blitzen vor Wut, sein Atem riecht nach Alkohol. „Ist gut, komm mit“, versucht Oleksij zu beschwichtigen. „Meine Brüder sind für die Ukraine gestorben! Für unsere Freiheit und du sitzt hier, du elendes Arschloch!“ Oleksij zieht ihn von dem Café weg. In einigen Metern Entfernung bleiben sie stehen und zünden sich eine Zigarette an.
“Jemand musste Ordnung schaffen”
Die Männer gehören zum Bataillon Donbass. Konstantin ist seit mehreren Monaten fast ununterbrochen im Einsatz. Er ist angespannt und streicht sich hektisch über die kurzen Haare. Vor einem Tag ist er aus dem Krieg zurückgekommen und feierte das Wiedersehen mit Oleksij ausgiebig. Oleksij ist etwas größer als Konstantin. Stämmig mit kurzen, hellblonden Haaren. Seine blauen Augen blicken trüb, die Stirn ziert eine tiefe Sorgenfalte. Nach einer Verletzung vor einigen Monaten ist er nicht wieder in den Krieg zurückgekehrt.
Im Januar 2014 schloss er sich den Maidan-Protesten an. Er ist ein einfacher Typ. Aufgewachsen in einem kleinen ukrainischen Dorf, zog es ihn vor Jahren nach Kiew. Dort deckte er die Dächer von Abgeordneten und Oligarchen. Den Job gab er für die Proteste auf. Nach der Flucht Janukowitschs und dem Beginn prorussischer Bewegungen im Süden und Osten der Ukraine, entschied er sich, dem Bataillon beizutreten. „Es herrschte damals Chaos und wir hatten keine Armee. Jemand musste Ordnung schaffen. Jemand anderes war nicht da“, sagt er heute.
Konstantin lernte er im Einsatz kennen. Seitdem sind sie befreundet. Er zieht ihn ein bisschen weiter, die Straße hoch in einen kleinen Kiosk. Die Besitzerin kennen sie noch aus Maidanzeiten. „Wie geht’s euch, Jungs?“ Konstantin knirscht mit den Zähnen und zuckt die Schultern. Oleksij bestellt für beide Wodka in Plastikbechern. Es ist 12 Uhr mittags. „Auf die, die nicht mehr bei uns sind“, sagt Konstantin.
In dem Café hatte ein anderer Gast den Freiwilligen-Bataillonen die Schuld am Krieg gegeben. Ein Satz genügte um Konstantin aus der Fassung zu bringen. „Er war zu lange im Krieg“, gibt Oleksij betrübt zu. Er selber will nicht mehr in den Krieg zurück. „Als wir damals gegangen sind, war uns klar, dass wir praktisch in den Tod gehen. Aber wir kämpften für Ideale. Für die Freiheit der Ukraine.“ Heute sei dies anders. Es herrsche Chaos. Korrupte Generäle würden Informationen an die gegnerische Seite verkaufen, unfähige Kommandeure ihre Truppen in Hinterhalte schicken, das Freiwilligen-Bataillon Aidar beginne sich selbst zu bekämpfen, Geschäftsmänner ein Geschäft aus den Krieg zu machen.
„Wenn Ordnung und Disziplin herrschen würde, dann würde ich sofort wieder kämpfen. Aber ich bin nicht bereit, einen völlig sinnlosen Tod zu sterben, an dem sich einer dieser Mistkerle noch eine goldene Nase verdient“, sagt Oleksij. Mistkerle, das sind wahlweise der Präsident, Politiker im Allgemeinen oder Geschäftsmänner und Oligarchen. Oder aber der eigene Kommandeur Semen Sementschenko, der mittlerweile im Parlament sitzt.
Nachtlager bei einem Freund auf der Couch
Konstantin hingegen kämpft weiter. Im Krieg immer an vorderster Front, zuhause mit sich selbst. Außerhalb des Kriegsgebietes ist er überfordert, fühlt sich nutzlos, trinkt. „Er ist ein Krieger. Mittlerweile ist er da besser aufgehoben, als hier. Dort arbeitet er und konzentriert sich. Hier muss ich immer auf ihn aufpassen. Er darf nicht zu viel trinken“, sagt Oleksij.
Konstantin bleibt diesmal nur für ein paar Tage in der Hauptstadt. Dann kehrt er zurück zu seiner Einheit nach Mariupol. Oleksij versucht währenddessen sein Leben in Kiew zu meistern. Im Gegensatz zu Konstantin bekommt er noch Gehalt. Umgerechnet ungefähr 50€ im Monat. Der Mindestlohn. Dafür muss er jeden Monat auf eine Militärbasis außerhalb von Kiew fahren. Da er sich ein Leben mit diesem Gehalt nicht finanzieren kann, schläft er bei einem Freund auf der Couch. Mit dem wenigen Geld, das er hat, unterstützt er Freunde aus dem Bataillon, die kein Gehalt bekommen oder mehr benötigen, als sie zu Verfügung haben.
Sein Freund Oleh liegt seit Monaten im Krankenhaus. Eisenstangen stecken in seinem linken Bein. Auch er ist Mitglied des Bataillons. Auch er wurde im Krieg verletzt. Oleksij kam damals knapp mit dem Leben davon, als eine Kugel seinen Helm durchschlug und seinen Kopf um Millimeter verfehlte. Er entwickelte ein postkommotionelles Syndrom und wurde aufgrund von Übelkeit und Koordinationsproblemen in ein Krankenhaus gebracht. Dort verbrachte er einige Wochen. Mit der Entschädigung, die ihm die Regierung damals zahlte, unterstützte er unter anderem Oleh, dem mehrere dutzend Operationen bevorstanden.
Ab und zu besucht er ihn im Krankenhaus. Dies fiel ihm besonders am Anfang schwer. „Ich hasse Krankenhäuser“, sagt er knapp. Aber er sei schließlich sein Freund. Deswegen rafft er sich immer mal wieder auf. Es ist ein kleines Krankenzimmer mit vier Betten. Zwei verletzte Kämpfer und ein kleiner Junge liegen hier zusammen. Ansonsten scheint das Krankenhaus an diesem Abend wie ausgestorben. Auf den Gängen herrscht Stille. Nur die mit Plastikhauben überzogenen Schuhe von Oleksij sind auf dem Krankenhausboden zu hören. Eine betagte Putzfrau wischt den Treppenaufgang. Im Zimmer sind neben den Patienten noch Olehs Freundin und deren Mutter anwesend. Die Männer unterhalten sich gedämpft. Im Hintergrund läuft der Fernseher.
Oleksij überbringt Neuigkeiten aus dem Bataillon. Einige Kameraden sind gerade aus der Gefangenschaft entlassen worden. Oleh nickt müde. Ihm ginge es ganz gut, sagt er und zieht sich mit den Händen an einer Stange über dem Krankenbett hoch. Schmerzerfüllt verzieht er das Gesicht und stöhnt. Sie wechseln ein paar knappe Sätze, nicken, seufzen. Traurigkeit und Leere ist in ihren Augen. Oleksij berichtet von Semen, dem Kommandeur. Unter den Kämpfern ist er in Ungnade gefallen.
Mit dem Krieg Geld verdienen
Während er Orden bekommt habe er nicht einmal gekämpft, stattdessen die Männer in ihren sicheren Tod geschickt, wie zum Beispiel in Ilowajsk, meint er. Eigentlich wollten sich die verblieben Kämpfer der ersten Stunde mit Semen treffen, das Treffen filmen und somit „den Menschen die Wahrheit über ihn zeigen“. „Aber er ist abgehauen“, murmelt Oleksij. Oleh nickt und stöhnt leise vor Schmerzen.
Im Hintergrund wird eine Ansprache Poroschenkos übertragen. „Ich freue mich sehr, dass…“, schallt seine Stimme aus dem Fernseher. „Ja, das seh‘ ich, dass du dich freust!“, ruft der andere Kämpfer, der bisher schweigend in seinem Bett gelegen hat. Die Männer lachen bitter. Oleksij ist enttäuscht. Ein Jahr nach dem Maidan habe man nun zehn Janukowitschs. „In der Ukraine klauen alle. Alle sind korrupt.“ Seiner Meinung nach trage die Regierung Mitschuld an der andauernden Kriegssituation. „Sie haben angefangen mit dem Krieg Geld zu verdienen. Sie bekämpfen die Korruption nicht, sondern reden nur. Nichts als blabla.“
Laut Oleksij seien Dinge, wie die Einkesselung ukrainischer Truppen in Ilowajsk, Debalzewe und dem Flughafen von Donezk, extra herbeigeführt. Er ist der Überzeugung, dass Verantwortliche besonders die Freiwilligen-Bataillone zerstören wollen. Sie fürchteten sich vor ehemaligen „Maidanern“, die für Werte kämpften und nicht für die Regierung. „Diese Leute sind für die Regierung gefährlich. Wir kämpfen ja nicht für Geld, sondern für die Ukraine. Und die Regierung versteht, dass wir nicht hinter ihr stehen, weil sie genauso korrupt ist, wie die alte.“
In dem Bataillon kämpften viele Demonstranten vom Maidan, aber auch Leute aus den Separatistengebieten. „Am Anfang hatten wir bei uns diese Stärke von Zusammenhalt, Freundschaft und die gleichen Werte“, erzählt Oleksij. Mittlerweile sei die sogenannte Antiterroroperation (ATO) geprägt von Chaos. „Es gibt keine Disziplin bei uns. Das ist das Problem, wenn einfache Leute zwar Waffen, aber keine Führung haben.“ Der Kommandeur Semen habe irgendwann angefangen zu plündern. Er ist ein Businessmann aus Donezk und laut Oleksij wollte er dieses verteidigen. „Er hat natürlich nicht selber geplündert, er hatte da seine Bande. So eine Art Leibgarde, die ihn beschützt hat“, erzählt er. Beweise für diese Anschuldigungen hat er nicht.
Nach einer halben Stunde verabschiedet er sich von Oleh und verlässt das Krankenhaus. Auf dem Weg nach Hause trifft er sich in einer Bar mit Mischa. Mischa gehört ebenfalls dem Bataillon an. Vor einigen Wochen wurde er aus viermonatiger Kriegsgefangenschaft entlassen. Er ist ein schlanker, blonder Kerl aus der Westukraine. Unruhig rutscht er auf seinem Stuhl hin und her. Er wolle wieder an die Front, aber zuerst müsse er sich die Zähne machen lassen. Die hatte man ihm auf dem Maidan teilweise ausgeschlagen.
Korruption in der Ukraine
Oleksij versucht ihn von der Sinnlosigkeit des Krieges zu überzeugen. „Unsere Jungs sterben da. Und ich sitze hier“, entgegnet Mischa kühl. Seine Augen huschen durch die Bar. Oleksij nickt schwerfällig. „Es ist schwer“, sagt er. „Meine Freunde sterben an der Front und ich sitze hier, wie ein Feigling. Aber ich will nicht als Kanonenfutter von der Regierung enden. Wenn sie alle kritischen Leute im Krieg verfüttert haben, wer kritisiert dann noch die Regierung?“
Die Männer beginnen zu diskutieren. Über korrupte Generäle und Politiker, den eigenen Kommandeur und den Krieg. „Das einzige Freiwilligen-Bataillon, das noch halbwegs funktioniert ist der Rechte Sektor“, sagt Oleksij. „Ja, und wer bezahlt den?“, sagt Mischa mit einem verbitterten Lächeln auf den Lippen. „Jarosch.“ „Und wer bezahlt den?“ Sie schweigen.
Die Korruption in der Ukraine ist so tief in der Gesellschaft verankert, dass sich davon kaum jemand lösen kann. Leute spenden Geld für die Bataillone, aber das Geld käme oft nicht an, erzählt Oleksij. Irgendwer stecke es sich in die Taschen. „Semen hat Westen aus Amerika bekommen für uns. Die hat er dann Helfern verkauft, die die Bataillone unterstützen und letztendlich die Westen zu uns bringen“, berichtet er.
Beweisen kann er auch das nicht, aber derartige Geschichten häufen sich. Seit Sommer ist von Zwischenhändlern die Rede, die die marode Situation der Armee ausnutzen sollen. Er verabschiedet sich von Mischa und fährt nach Hause auf die Couch seines Freundes. Schlafen kann er mittlerweile wieder. Nach dem Krieg lag er wochenlang wach. Heute lässt er nachts Musik laufen. Immer noch schreckt er bei den kleinsten Bewegungen hoch.
Trauma und Gedächtnisverlust
Das letzte Jahr hat bei Oleksij Spuren hinterlassen. Sein jugendliches Gesicht ist ernst geworden. Die Sorgenfalte auf seiner Stirn wird von Tag zu Tag tiefer. Seine Augen sind müde. Das Erlebte zu verarbeiten fällt schwer. Manchmal erzählt er viel aus dem Krieg. Seine Freunde seien schon genervt, berichtet er. An Details und genaue Abläufe erinnert er sich ungern. Auch, weil ihm das Erinnern durch seine Verletzung schwerfällt. Er vergisst vieles, hat Schwierigkeiten sich zu konzentrieren. Aber es sei an der Zeit den Krieg zu vergessen. „Schlimme Dinge muss man vergessen und weiterleben“, sagt er.
Obwohl er sich physisch nicht mehr im Krieg befindet, lässt dieser ihn nicht los. Ständig klingelt das Telefon. Mal gibt es schlechte Nachrichten, mal gute. Alle haben sie mit dem Bataillon oder dem Einsatz zu tun. Seine Zeit verbringt er oft mit dem Begleichen von kleineren oder größeren Problemen seiner Freunde. Diesmal ist Konstantin am Telefon. Er sitzt in der Klemme. Er habe sich mit einer von Separatisten erbeuteten Waffe aus dem Kriegsgebiet entfernt, um in seine Heimatstadt zu fahren. Dort geriet er betrunken in einen Streit und Kameraden aus dem Bataillon mussten in bei der Polizei abholen und wieder zurück bringen. „Verstehe“, sagt Oleksij knapp und legt auf.
Rückkehr in den Alltag – geht das?
„Jetzt muss ich 3000 Hrywnja [ca. 150 Euro] auftreiben, um die Leute zu bezahlen, die ihn da abgeholt haben. Man darf nicht mit einer Waffe aus der ATO-Zone raus. Schon gar nicht, wenn‘s nicht deine ist.“ Oleksij flucht und reibt sich die müden Augen. „Die Leute fragen mich, warum ich an ihm festhalte. Sie sagen, ach dieser durchgeknallte Konstantin. Scheiß doch auf den, der bringt nur Probleme.“ Er starrt eine Weile gedankenverloren vor sich hin während er zuhause auf dem Sofa seines Kumpels sitzt. Dann bricht er auf. Geld bei Freunden zusammensammeln für Konstantin. „Wenn ich ihn fallen lassen würde, dann wäre er ganz alleine. Dann würde er richtig durchdrehen und vielleicht jemandem was antun.“
Konstantins Familie habe sich von ihm entfernt. Seine Frau verließ ihn während er auf dem Maidan kämpfte. Zusammen haben sie eine Tochter. Nach Hause zu kommen und die Ehefrau mit einem anderen zu sehen, habe ihn schwer getroffen. Auch sein Bruder habe den Kontakt mit ihm abgebrochen. Konstantin habe mittlerweile sein gesamtes Vermögen verloren. Das Geschäft, das er in seiner Heimatstadt führte, gab er auf.
Den ganzen Tag ist Oleksij damit beschäftigt Geld aufzutreiben. Zwischendurch telefoniert er mit Konstatin, überzeugt ihn, eine Therapie zu beginnen. „Vorher wollte er das nicht. Aber jetzt hat er begriffen, wie ernst die Lage ist.“ Er schweigt. „Mir geht es gut, weil ich nicht so lange da war. Er ist einfach zu lange im Krieg.“ Konstantin sei ein guter Mensch, kinderlieb, berichtet Oleksij. „Im Krieg hat er einen Scharfschützen von den Separatisten erschossen. Wir sind nachher zu der Familie nach Hause. Dort war ein kleiner Junge, der fragte: Wo ist mein Papa? Seitdem kann er nicht mehr schlafen. Er kann die Augen von dem Jungen nicht vergessen.“
Bilder der rauchenden und zerstörten Gebäude flackern
Ein paar Tage später wird die Hafenstadt Mariupol angegriffen. Konstantin ruft wieder an. „Sie haben einen Markt zerbombt“, berichtet er. Oleksij sitzt wieder zuhause auf seinem Sofa und sieht die Bilder im Fernsehen. Der Angriff auf Mariupol schockt die gesamte Ukraine. 30 Zivilisten sterben, Dutzende werden verletzt. „Wir haben keine Technik hier, um uns zu verteidigen“, berichtet Konstantin am Telefon.
„Ein paar Panzer, ein paar Fahrzeuge.“ Beiden ist klar, dass damit nicht viel auszurichten ist. Oleksij seufzt, lehnt sich zurück und starrt auf den Bildschirm, über den immer noch die Bilder der rauchenden und zerstörten Gebäude aus Mariupol flackern. Ein Kommandeur des Bataillons Donbass wird interviewt. „Noch so ein Penner“, kommentiert Oleksij. „Wir haben genügend Technik und sind bereit diese Stadt zu verteidigen. Wir haben bereits Panzer der Terroristen zerstört“, sagt der Kommandeur. „Schwachsinn“, murmelt Oleksij.
Genau das sei das Problem, sagt er. „Im Fernsehen zeigen sie Technik und Geräte. Sie berichten von fünf Toten. Aber eigentlich sind 20-30 Leute gestorben. Alle, die kämpfen, sind Helden. Aber das sind nichts als leere Worte. Wir sind keine Helden und wir werden auch nicht so behandelt. Wenn was ist, dann lassen sie uns fallen.“
Er ist desillusioniert. Ende Januar soll er endlich sein Gehalt bekommen. Zum dritten Mal macht er sich in diesem Monat schon auf zur Basis. Eine Tagestour. Dort erfährt er diesmal, dass er gekündigt worden sei. Genauso wie Konstantin. Somit gibt es diesen Monat kein Gehalt. Aussteigen wollte er eh. Halb so wild, meint er, aber Konstantin hätten sie fallen gelassen. „Wegen seiner Eskapaden. Dann ist das Bataillon nicht verantwortlich.“
Resigniert fährt er nach Hause auf seine Couch. Zukunftspläne schmieden scheint vergeudete Energie zu sein. Er ist überzeugt, dass im Sommer der Krieg in Kiew angekommen sein wird. „Amerika und die EU helfen uns nicht, das ist uns mittlerweile klar geworden. Aber wir brauchen Waffen.“ Für Oleksij sind die westlichen Politiker fast genauso schlimm wie die ukrainische Regierung. Der einzige, der im Ansehen noch weiter unten steht, ist der russische Präsident Putin.
Anm.d.Red.: Mehr zum Thema in unserem Dossier Europakrise. Die Namen der Privatpersonen wurden geändert. Die Fotos stammen von centralniak und stehen unter einer Creative Commons Lizenz.
die Leute, die auf dem Maidan demonstriert haben, waren doch zu großen Teilen aus dem rechten, sogar rechtsradikalen Lager. Jetzt lese ich hier über die Freiwilligen-Armee, die für die Ukraine kämpft, und aus Leuten besteht, die vorher unter den Maidan-Demonstranten waren. So frage ich mich: Wieviele von den Freiwilligen-Soldaten sind aus dem rechten und rechtsradikalen Lager?
“Für Oleksij sind die westlichen Politiker fast genauso schlimm wie die ukrainische Regierung. Der einzige, der im Ansehen noch weiter unten steht, ist der russische Präsident Putin.”
es wäre schön gewesen, wenn sich diese Aussage, auch mit der Putin-Pointe am Schluss, mehr aus dem Gesprochenen der Leute, die hier begleitet werden, ergeben hätte. Und nicht so von der Erzählerin postuliert wird. Das klingt sonst zu sehr nach einer rede, die wir von den Medien kennen (Putin-Bashing, etc)
Ansonsten schön geschrieben!
@ Petar Reus: Es ist ein Mythos, dass der Großteil der Demonstranten auf dem Maidan aus dem rechtsradikalen Lager kam. Zur ukrainischen Rechten empfehle ich folgende Analysen:
http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen133.pdf
http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen140.pdf
http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen144.pdf
Das allgemeine Problem, was man in Deutschland mit politischen Strömungen in postsowjetischen Ländern hat, ist, dass man oftmals politische Unterscheidungen (rechts, links usw.) nicht 100% auf diese Länder übertragen kann. So gelten allein aus historischen Gründen rechte bzw. nationalistische Strömungen in der Ukraine als Freiheitskämpfer und sind ähnlich positiv konnotiert wie hier evtl. linksliberale Strömungen. Zudem gab es in der Ukraine, wie auch in Russland, kaum eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Deswegen ist zum Beispiel Antisemitismus ein weit verbreitetes Phänomen, besonders auf den Dörfern, sagt aber nichts über nationalistische Einstellungen desjenigen aus (höchstens über den Bildungsgrad, wobei dies auch nicht immer zutrifft).
Nun zu den Freiwilligen Bataillonen: Die Bataillone sind größtenteils ein bunt zusammengewürfelter Haufen und eine politische Einordnung fällt schwer. Das Bataillon Asow ist mittlerweile für seine überwiegen rechtsradikalen Kämpfer bekannt. Im Rechten Sektor kämpfen, dem Namen entsprechend, auch Nationalisten, wobei deren Nationlismusbegriff auch nicht immer 100% in unsere Denkweise passt. Man könnte sagen beim Rechten Sektor gibt es “sone und solche”. Sehen Sie hierzu zum Beispiel folgendes Interview:
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/21600
Zu dem Bataillon Donbass, das ich begleitet habe, sind mir derartige Vorwürfe bisher nicht bekannt (und ich habe derartige Äußerungen bei meinen Recherchen nicht bemerkt). Aber, da auch dieses Bataillon bunt gemischt ist, kann es sein, dass es vereinzelt Nationalisten in deren Reihen gibt. Das Bataillon vertritt jedoch, im Unterschied zu Asow und dem Rechten Sektor, keine nationalistischen Ideologien.
@Sanda: Putin-Bashing war nicht meine Absicht. Aber danke für die konstruktive Kritik. Beim nächsten Mal werde ich darauf achten.
Toller Beitrag. Danke Rebecca.!
Ich finde nicht, dass der Putin-Einschub zum Schluss in irgendeiner Weise überflüssig war oder eine fabrizierte Haltung der Protagonisten des Artikels auslegt. Als Kämpfer gegen die „prorussischen Separatisten“ liegt en nun einmal Nahe, dass die dargebotenen Individuen Putin feindselig gegenüberstehen. Zudem kann man, ungeachtet der Betonung der westlichen Medien, nicht verleugnen, dass Putins Aktionen zur Zeit von Sergej Aksjonows Amt schlichtweg völkerrechtswidrig waren und die Ukrainischen Bürger ihrer Autonomie beraubten.
Zudem wird im Artikel sehr deutlich hervorgehoben, dass es den Akteuren des Bataillon Donbass weder primär um eine anti-Russland, noch um eine anti-Westen Opposition geht, sondern um eine Auflehnung gegen die aktuellen dystopischen Zustände, die im Land herrschen. Wie zum Beispiel die Tatsache, dass die eigene Regierung ihre Zivilisten verwahrlosen lässt, was anhand der ungeregelten und unfairen Geldverteilung, die in dieser Geschichte verzeichnet wird, festgemacht werden kann.
Ein sehr interessanter und nachfühlender Artikel, der einem persönlichen Einblick in das Geschehen in und um die Krim Krise gewährt. Vielen Dank dafür!
Den Absatz “Mariupol – Sie haben einen Markt angegriffen” würde ich nicht 1:1 so stehen lassen, schon gar nicht mit der Zeit als Quelle. Der/die Treffer waren wahrscheinlich Querschläger/Fehlschüsse eines Angriffs auf eine Stellung eines Bataillons und keine gezielte “Terrorattacke”.
Im Verlauf des Krieges gab es sicher von beiden Seiten viele Angriffe mit zivilen Opfern. Der eine Angriff der Aufständischen mit einer hohen Opferzahl wurde propagandistisch ausgeschlachtet. Unter anderem auch von der Zeit. Man könnte auch Angriffe der ukrainischen Regierungstruppen entsprechend ausschlachten. Beispielsweise die ständigen Angriffe auf das von Aufständische gehaltenen Donzek.
Das nur als Anmerkung – den Artikel finde ich schon interessant.
@Mea Parvitas: Vielen Dank für Ihr Lob. Sie haben die Situation der Protagonisten sehr gut verstanden. Tatsächlich ist Putin derzeit unter ihnen kein großes Thema, weil es diesbezüglich aus ihrer Sicht nicht viel zu diskutieren gibt. Die Meinungen über ihn differenzieren sich höchstens im Grad der Ablehnung. Vielmehr wird über die eigene Regierung geredet. Viele der Kämpfer, die ich begleitet habe und im Zuge dieser Reportage getroffen habe, halten Poroshenko für einen Verräter oder einen Janukowitsch 2.0. Die eigenen Politiker stehen in der Ukraine zudem viel mehr am Pranger, als das sie in Deutschland zum Beispiel thematisiert/kritisiert werden.
@Jens Bernert: Es ist deswegen ein “Angriff auf Mariupol”, weil es zu diesem Zeitpunkt in der Stadt friedlich war. Seitdem erst rückt Mariupol immer mehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Auch heute wird in der Stadt noch nicht gekämpft, sondern in Vororten. Der Angriff kam damals im Januar für die Ukrainer mehr oder weniger aus dem Nichts. In dem Zusammenhang ist es egal, ob es nun ein Querschläger war, der den Markt getroffen hat. Hätte er eine ukrainische Stellung getroffen, wäre es trotzdem ein Angriff auf Mariupol. Die ukrainischen Stellung bestanden im Januar allein aus Soldaten und einigen Fahrzeugen (wie die heutige Situation dort aussieht kann ich natürlich nicht sagen, aber ich gehe mal davon aus, dass aufgerüstet wurde).
Wenn ukrainische Streitkräfte auf Stellungen in Donezk schießen und dabei – leider – oftmals mehr Zivilisten als Stellungen getroffen haben, ist dies auch ein Angriff, allerdings keiner, der wie im Fall Mariupol eher abseits der eigentlichen Kampfhandlungen geschieht.
Zudem wurde auf einen Artikel der Zeit verwiesen, damit der Leser sich schnell mit dem Vorfall bekannt machen kann, falls dieses Wissen nicht vorhanden ist. Ich bin auch nicht der Meinung, dass der Artikel der Zeit Opferzahlen propagandistisch ausschlachtet. Wenn 30 Zivilisten sterben, dann sterben 30 Zivilisten. Im Vergleich zu dem Schock, der damals die Ukraine getroffen hat, ist der Artikel eine recht trockene Zusammenfassung von Aussagen, Stellungsnahmen und Opferzahlen.