Politiken der Apokalypse

Artwork: Colnate Group, 2022 (cc by nc)
Artwork: Colnate Group, 2022 (cc by nc)

Wir leben in einer Zeit tiefgreifender globaler Veränderungen. Die Auflösung der bisherigen Weltordnung, die im Wesentlichen auf der Hegemonie des Westens beruhte, schreitet voran und führt zu immer neuen Konflikten und Krisen. Was an die Stelle der alten Weltordnung treten könnte, ist ungewiss. Die Zukunft scheint im Zeichen der „Multipolarität“ zu stehen und zeichnet sich bereits ab – nicht zuletzt die jüngsten BRICS-Gipfel unterstreichen dies. Wird der Globale Süden im Zuge dieser Entwicklungen künftig eine größere Rolle spielen?

Und ganz allgemein: Was wird aus antikolonialen und antikapitalistischen Kämpfen für demokratische Formen sozialer, räumlicher, ökonomischer und ökologischer Gerechtigkeit?

Eines ist klar: Die herrschenden Klassen im Westen malen angesichts der bröckelnden hegemonialen Ordnung den Untergang der Welt an die Wand. Und sie mobilisieren gegen diesen „Untergang“: Sie wollen „die Welt retten“, sprich: ihre Welt. Der drohende Klimakollaps kommt da nicht gänzlich ungelegen. Schließlich können sich nun jene, die ihn maßgeblich verursacht haben, also die am meisten entwickelten Länder (häufig als „der Westen“ identifiziert), auch in dieser Sache als unverzichtbare Retter in der Not anbieten – und eine Begrünung des kolonial-kapitalistischen Wirtschaftsmodells zur neuen universellen Norm erklären. Diese Mission Impossible wird angesichts der Tatsache, dass der „große Systemrivale“ China auf dem Gebiet „grüner Technologien“ und „grüner Energien“ rasante Fortschritte macht, umso unnachgiebiger verfolgt.

Kein Wunder also: Die Rede von der Klima-Apokalypse ist allgegenwärtig und entfaltet ein ambivalentes politisches Potenzial. Auf der einen Seite alarmierende Notlagen, die emanzipatorische Bewegungen auf den Plan rufen und bisweilen unerwartete Spielräume eröffnen. Auf der anderen Seite ein Alarmismus, der soziale Polarisierung, Entsolidarisierung und rechte Mobilisierung befeuert; und sowohl autoritäre als auch kapitalkonforme Krisenstrategien, wie der den grünen Kapitalismus, als alternativlose „Lösungen“ erscheinen lässt. Nicht nur im Westen.

Je nach Perspektive: Die Vorstellung vom Ende der Welt und die Möglichkeit, eine auf kolonialer und kapitalistischer Eroberung beruhende Welt abzuschaffen, bedingen einander oder schließen einander aus. Mit dem Dossier Politiken der Apokalypse möchte die BG der Ambivalenz von Ende-der-Welt-Narrativen analytisch und differenziert begegnen. Wir wollen die emanzipatorischen Potenziale globaler Umbrüche in Zeiten multipler Krisen ausloten, ohne die Augen vor den reaktionären und autoritären Tendenzen zu verschließen.

Beiträge im Dossier:

Die Philosophin Déborah Danowski zeigt, warum wir westlich geprägte Narrative vom Ende der Welt in Frage stellen müssen und warum wir die Perspektive indigener Völker einnehmen sollten, um die Klimakrise bewältigen zu können und um wirklich zu verstehen, was es bedeuten könnte „unsere Welt“ zu retten.

Der politische Theoretiker Lukas Stolz regt an, angesichts des ökologischen Kollaps alles in Frage zu stellen, was uns an diesen Punkt geführt hat und gleichzeitig die Denkweisen im Zeichen des vermeintlichen Fortschritts gegen Alternativen aus den Reihen der Entrechteten auszutauschen.

Die dekoloniale Wissenschaftlerin Christine Okoth argumentiert, dass künstlerische Akte der Weltgestaltung, die eine Ästhetik der extraktiven Solidarität im Globalen Süden praktizieren, den Widerstand gegen die apokalyptische kolonial-kapitalistische Weltgestaltung rekonfigurieren.

Die Wissenschaftlerin und Aktivistin Tatjana Söding analysiert, wie die Vorstellung vom Ende der Geschichte heutzutage erneut mobilisiert wird, um die Vorherrschaft des fossilen Kapitals zu verteidigen, das sich anschickt die Entwicklung der so genannten „grünen Zukunftsmärkte“ anzuführen.

Die Aktivistin Jennifer Kamau gibt im Gespräch mit dem Anthropologen Florin Poenaru geben uns Denkanstöße, wie wir unser Verständnis von Umwelt- und Migrationskämpfen erweitern können, inbesondere angesichts der Tatsache, dass die ökologische Apokalypse für die Unterdrückten des Globalen Südens seit mehr als fünfhundert Jahren im Gange ist.

Der Autor und Aktivist Slave Cubela zeigt, dass wir uns aus dem Dilemma – den Zusammenbruch des Ökosystems Erde – befreien können, wenn wir beginnen, das Unvorstellbare zu artikulieren und die Möglichkeiten des Artikulierbaren neu auszuloten.

Die Forscherin Carola von der Dick argumentiert, dass angesichts mehrerer wichtiger Schwellenwerte – so genannte ökologische Kipppunkte – wir als Zivilisation herausgefordert sind, eine soziale Kippdynamik zu entwickeln: einen grundlegenden und beschleunigten gesellschaftlichen Wandel, der sich auf das sozio-ökologische System der Erde auswirkt.

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