Im Sandkasten der Demokratie: Welche Form wird die politische Vertretung in Zukunft haben?

Während der letzten zwei Jahre gab es in der ganzen Welt Wellen von Massenprotesten, zivilen Ungehorsam und alle Formen von Delegitimierung politischer Strukturen. Nun beginnen im Sandkasten der Demokratie die Burgen der Volksrepräsentanten zu bröckeln. Aktivist und Philosoph Tomislav Medak beleuchtet im ersten Teil seines Essays die Ursachen für diese Prozesse.

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Die Ereignisse auf den Straßen und Plätzen der ganzen Welt (Madrid, Tunis, Kairo, Bahrain, Athen, New York, Stuttgart, Frankfurt und Zagreb) haben alle die gleiche Ursachen, obwohl sie unterschiedlich vonstatten gingen – abhängig natürlich von der jeweiligen politischen Situation und den sozialen Kontexten. Auch stehen viele dieser Bewegungen für ähnliche Forderungen in Bezug auf die Zukunft der Volksdemokratien.

Aber bleiben wir zunächst bei den Ursachen. Es gibt drei. Erstens sind die Volkswirtschaften weniger überschaubar und anfälliger für die Höhen und Tiefen der globalen Wirtschaft. Grund ist die globale wirtschaftliche Integration in Form des freien Handels, die Verlagerung der industriellen Produktion weltweit und der Anstieg der Finanzmarktaktivitäten. Zweitens hat die seit der Energie- und Wirtschaftskrise der 1970er Jahre fallende Profitrate und die ständige Angst vor der Flucht des Kapitals den Druck auf die öffentliche Verwaltung und nationalen Volkswirtschaften erhöht.

Sie werden gezwungen, die Kapitalbedingungen zu deregulieren, die historischen Zugewinne der Arbeiter an Sozialleistungen abzubauen, Strenge walten zu lassen und eine übermäßig ungleiche Verteilung des Reichtums zu erlauben. Damit werden die öffentliche Verwaltung und die öffentliche Finanzwelt effektiv in Richtung der Schaffung eines günstigen Umfelds für die Kapital- und Gewinnmaximierung gedrängt. Die Integrationsprozesse haben zu zusätzlichen Belastungen für die Verwaltungen geführt, indem sie die Möglichkeit, Instrumente der Wirtschaftspolitik anzuwenden, eingeschränkt haben.

Die Untergrabung der Demokratie

Drittens führte dies erst zur Entkopplung der wirtschaftlichen Mittel von den politischen Zielen, dann zur Entkopplung der politischen Mittel von den sozialen Zielen – was eigentlich der Kern der sozialen Demokratien in der westlichen kapitalistischen Welt war. Im Einklang mit einigen anderen Prozessen, die ich noch näher ausarbeiten werde, haben diese Entwicklungen des kapitalistischen Systems grundlegend die Legitimität der repräsentativen liberalen Demokratie untergraben. Die gleiche repräsentative liberale Demokratie, die seit dem Zerfall der sozialistischen Staaten Ende der 1980er Jahre als weltweit hegemoniales Modell der Volksdemokratie gedient hat.

Diese letzte Ursache scheint nur für die liberalen Demokratien des Westens relevant zu sein. Doch die politischen Reaktionen auf die Aushöhlung des hegemonialen Modells der repräsentativen liberalen Demokratie im Westen sind symmetrisch zu den politischen Umwälzungen in anderen Teilen der Welt. Dort entsteht die Forderung nach einer politischen Transformation als Folge von gleichen wirtschaftlichen Prozessen und eröffnet dementsprechend die gleiche politische Frage: Welche Form wird die Demokratie und die politische Vertretung in Zukunft haben? Und wie können wir das politische Management der Wirtschaft wieder in Einklang mit dem Fortschritt der Gesellschaft bringen?

Die Macht des Kapitalismus

Die politischen Unruhen gegen die Autokratien in Ägypten oder Tunesien wurden ausgelöst und bedingt durch inakzeptable Nahrungsmittelpreise und soziale Ungleichheiten – Folgen der Integration und Exposition dieser Gesellschaften auf dem Weltmarkt. Doch die Menschen sind nicht bereit, sich von den Autokraten repräsentieren zu lassen, die sie in die Armut und in das kapitalistische Weltsystem stürzen.

Es wird deutlich, dass der gegenwärtige Kapitalismus keine funktionierende repräsentative liberale Demokratie duldet. Die Schaffung einer starken ökonomischen Ungleichheit – die das Kapital für die Anhäufung des gesellschaftlichen Reichtums in Gewinn statt Sozialhilfe braucht – kann mit der angeblichen politischen Gleichheit, die die liberalen Demokratien anstreben, nicht in Einklang gebracht werden.

So wird die Demokratisierung dieser Gesellschaften nicht ohne die Neudefinition der politischen Repräsentation passieren können. Genauso wie die Wiederankopplung der wirtschaftlichen Entwicklung an den gleichberechtigten gesellschaftlichen Fortschritt nicht ohne die umdefinierenden Prozesse der politischen Bedächtigkeit geschehen kann. Denn diese Formen der Demokratie sind im Wesentlichen an die Transformation des ökonomischen Systems gebunden.

Anm.d.Red.: Der Beitrag, dessen zweiter Teil in den nächsten Tagen erscheint, entstand im Rahmen der Berliner Gazette-Konferenz Digital Backyards. Das Foto oben stammt von Craig Wherlock und erscheint hier mit dessen freundlicher Genehmigung.

3 Kommentare zu “Im Sandkasten der Demokratie: Welche Form wird die politische Vertretung in Zukunft haben?

  1. Der Trend ist erkennbar: Das europäische Bild eines Staates hat ausgedient, denn ein Staat, in dem das Volk tatsächlich mehr mitbestimmen kann, ist unbequem. Regierungen, auch unsere demokratisch gewählten, mögen unbequeme Völker nicht. Anti-Terror-Gesetze erlauben es, immer weitere Teile des Volkes zu kontrollieren. Durch immer unkritischere Medien können Angst und Unsicherheit verbreitet werden.

    Ich glaube, die Staaten der Welt gleichen sich an. Ob dies abgesprochen oder unabgesprochen geschieht, sei dahingestellt. Herrschen einerseits zuviel Demokratie und Wohlstand vor, geben andernorts Diktaturen und Staatsreligionen den Ton an.

    So beschneiden die “Rechtsstaaten” die demokratischen Grundrechte der Bürger und schaffen schrittweise den Sozialstaat ab; und in anderen Erdteilen wird versucht, das Niveau der Rechtsstaatlichkeit schrittweise anzuheben (s. Naher Osten). Irgendwo in der Mitte wird man sich treffen. Wird das Tempo seit 2001 beibehalten, wird man in 20 oder 40 Jahren kaum mehr unterscheiden können, ob man in einer Demokratie oder einer Diktatur lebt: Die Do’s und Dont’s werden einander sehr ähnlich sein.

  2. @mario: china wird immer wie die usa und usa wird immer mehr wie china – hat glaube ich naomi klein mal gesagt.
    da scheint was dran zu sein…

  3. @tomislav: danke für die differenzirte darstellung, man liest hier und da über die sinnentleerung des staates und der demokratie, aber hier bekommt der slogan eine realität

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