Eine Öko-Revolution der Arbeiter*innenklasse? Was wir von der ehemaligen GKN-Fabrik in Italien lernen können

Während grüne Kapitalist*innen mit Unterstützung der Regierungen Zukunftsmärkte schaffen, die mit der Klimakrise auf profitable Weise vereinbar sein sollen, und so versuchen, den sogenannten “grünen Übergang” zu gestalten und zu dominieren, sind die Arbeiter*innen klasse und die Klimabewegung gefordert, eine Antwort zu finden. Dass eine solche Antwort in Form eines Bündnisses zwischen Klima- und Arbeiter*innenbewegung erfolgen kann und sollte, zeigen die Kämpfe in der Nähe von Florenz, wo ein genossenschaftliches und volksnahes Beteiligungsexperiment für eine wirklich ökologische und nachhaltige Mobilitätswende stattfindet. In ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “Allied Grounds” untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen Francesca Gabbriellini und Paola Imperatore diesen Fall.

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Am 9. Juli 2021 hat Melrose Industries – der Finanzfonds, dem das GKN-Achswellenwerk in Campi Bisenzio bei Florenz gehört – in einer E-Mail die Entlassung von mehr als 400 Beschäftigten angekündigt. Die Entlassung wurde als natürliche Folge des “grünen Übergangs” dargestellt.

Die GKN-Beschäftigten organisierten sofort eine ständige Versammlung, die das Werk nun schon seit fast zwei Jahren verteidigt. Von der besetzten Fabrik aus organisieren sich die GKN-Beschäftigten nicht nur, um ihre Arbeitsplätze zu verteidigen, sondern auch, um eine umfassendere Vision eines ökologischen Übergangs von unten zu kommunizieren, die ihre Vorstellung von einer Erneuerung des Automobilsektors widerspiegelt. Mit ihren direkten Aktionen werfen sie die Frage auf, welche Rolle die Arbeiter*innenklasse beim ökologischen Wandel spielen kann und muss.

In diesem Zusammenhang könnte argumentiert werden, dass Italien einen besonderen Kontext für solche Überlegungen und Kämpfe bietet, denn seit den 1980er Jahren werden Betriebsübernahmen von Arbeiter*innen durch das so genannte Marcora-Gesetz von 1985 geregelt, das es Arbeitnehmer*innen von Unternehmen in der Krise ermöglicht, das Firmeneigentum in Form einer Genossenschaft zurückzugewinnen. Heute wird diese besondere Form als die beste Möglichkeit angesehen, der “Belagerung” der Arbeiter*innen zu begegenen, da sie Zugang zu bürokratischen Erleichterungen, subventionierten Krediten und Unterstützung bei der Erstellung von Geschäftsplänen bietet.

“Ende des Monats, Ende der Welt, derselbe Kampf”

Als sich der Kampf der im Collettivo di Fabbrica (Fabrikkollektiv) organisierten Arbeiter*innen für institutionelle Verhandlungen öffnete, entwickelten sie zugleich eine Strategie der Konvergenz zwischen den Kämpfen der Arbeiter*innenklasse und den Kämpfen für Klimagerechtigkeit, die zu vier großen Märschen und Hunderten von Initiativen in ganz Italien führte. Die situativen Allianzen zwischen den beiden Bewegungen, die durch den Slogan “Ende des Monats, Ende der Welt, derselbe Kampf” vereint wurden, überwanden das vorherrschende Paradigma, das Umweltschützer*innen und Arbeiter*innen als Antipoden konstruiert.

Gleichzeitig wurde eine interdisziplinäre Forschungsgruppe für Solidarität gebildet, in der junge Forscher*innen aus ganz Italien mit dem Fabrikkollektiv zusammenarbeiten, um einen Plan für die industrielle Umstellung zu entwickeln, der GKN in einen öffentlichen Pol für nachhaltige Mobilität verwandeln soll. Der Umstellungsplan verfolgt einen radikal ökologischen Ansatz, der auf der Synergie des Werks mit dem umgebenden sozioökonomischen Kontext und dem von den Arbeiter*innen betreuten Gebiet beruht. Ausgehend von einer kritischen Reflexion über die Rolle des Unternehmens und der Institutionen in diesem Kontext stellt der Plan die Arbeiter*in als “historisches Subjekt” vor, das die gewerkschaftlichen und politischen Differenzen innerhalb der Fabrik überwindet und gleichzeitig ein Arbeiterkollektiv bildet, das die demokratische Kontrolle über den Produktionsprozess übernimmt, wodurch die Vision einer Reaktivierung der Fabrik als “öffentliche und sozial integrierte Fabrik” entsteht.

Artwork: Colnate Group (cc by nc)

Dieser Plan markiert mehrere Wendepunkte. Erstens basiert die Entwicklung des Plans auf der Harmonie zwischen den Bedürfnissen der Arbeiter*innen und dem Schutz des Territoriums und der Umwelt im Allgemeinen, wodurch die Erpressung von Arbeit und Umwelt, von der das internationale Kapital bisher profitiert hat, überwunden wird – letztere, d.h. die Erpressung, basiert bekanntlich auf der Behauptung, dass man entweder den Arbeiter*innen oder die Umwelt schützen kann, aber nicht beide gleichzeitig.

Der zweite Punkt betrifft die Entscheidung, die Produktion der gesellschaftlichen Nützlichkeit zu unterwerfen, eine Vision, die bereits im Mittelpunkt der Arbeiterkämpfe der 1970er Jahre stand, die mit der Frage, “was, wie und wie viel produziert werden soll”, das Recht einforderten, über die Produktion auf der Grundlage der Bedürfnisse der Arbeiter*innen und der Gemeinschaft im Allgemeinen zu entscheiden. Diese Perspektive deckt sich mit der Vorstellung, dass nur durch eine Produktion im kollektiven Interesse die Umwelt – nicht als abstrakte Kategorie außerhalb von uns, sondern als der materielle Kontext, in dem das tägliche Leben stattfindet – wirklich nachhaltig behandelt werden kann.

Arbeiter*innendemokratie gegen (grünes) Kapital

Der dritte Punkt bezieht sich auf die Frage der Beteiligung der Arbeiter*innen, die sowohl den Protagonismus der Arbeiter*innen im Prozess der industriellen Umstellung als auch die Organisation der Arbeiter*innen innerhalb des Produktionsprozesses betrifft. Der vom Fabrikkollektiv vorgelegte Plan stellt die Arbeiter*innen von Anfang an in den Mittelpunkt des Entscheidungsprozesses darüber, was produziert werden soll, sowie bei der Überwachung des Produktionsprozesses selbst.

Eine wichtige Grundlage für die unmittelbare Reaktion auf die Entlassungen und die Fortsetzung der Mobilisierung, wie sie in dem Plan zum Ausdruck kommt, ist natürlich eine genaue Kenntnis des Produktionsprozesses und der Rechte am Arbeitsplatz sowie die kapillare Organisation der Arbeiter*innen in der Fabrik. Dies fördert ein Modell der Arbeiter*innendemokratie, das sich nicht nur auf traditionelle und institutionalisierte Organisationsformen wie Gewerkschaften und RSU stützt, sondern vor allem auf das Fabrikkollektiv und die so genannten “Verbindungsdelegierten”.

Schließlich basiert der Umstellungsplan auf der Synergie und dem gleichberechtigten Dialog zwischen dem Wissen der Arbeiter*innenklasse und dem akademischen Wissen. Dies stellt eine Umkehrung der Logik dar, nach der nur an der Universität produziertes Wissen als wissenschaftlich und legitim angesehen werden kann, eine Logik, die einen technokratischen und “neutralen” Ansatz für politische Fragen und produktionsindustrielle Entscheidungen hervorgebracht hat. Kein Techniker und keine Technikerin kann das Fabrikumfeld, die Produktionszyklen, die bestehenden Risiken, die Bedürfnisse und Forderungen der Arbeiter*innen besser kennen als die Arbeiter*innen selbst. Dieses Wissen, das nicht aus dem Klassenzimmer, sondern aus der täglichen Erfahrung stammt, in den Mittelpunkt zu rücken, eröffnet die Möglichkeit, die Beziehungen zwischen den verschiedenen Wissensformen und -systemen zu überdenken, die lange Zeit zugunsten eines einzigen technowissenschaftlichen Paradigmas an den Rand gedrängt wurden.

Neue Herausforderungen und unerwartete Allianzen

Wenige Tage nach der Präsentation des ersten Entwurfs des Plans – der inzwischen von der Feltrinelli-Stiftung als E-Book veröffentlicht wurde – erschien der von Melrose als Berater eingesetzte Unternehmer Francesco Borgomeo auf der Bildfläche und erklärte seine Absicht, die Fabrik zu kaufen, die Kontinuität der Arbeit zu garantieren und ein industrielles Umstellungsprojekt durchzuführen. Borgomeo wurde zu Weihnachten 2021 neuer Eigentümer und eröffnete damit eine langes Kapitel von boykottierten Verhandlungsrunden, von Reindustrialisierungsprojekten, die nie vorgelegt wurden, und von bedeutungslosen Beschwichtigungen zur Dämonisierung der ständigen Versammlung der Arbeiter*innen.

Bislang wurde der Plan der Arbeiter*innen im gesamten Verhandlungsprozess nicht berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund wurde jüngst die Società Operaia di Mutuo Soccorso (Arbeiterhilfsgesellschaft auf Gegenseitigkeit) gegründet, um einen neuen Prozess der Erholung und Reindustrialisierung der Fabrik zu versuchen, da der Horizont der öffentlichen Intervention immer weniger realisierbar ist, auch angesichts des Übergangs von der techno-liberalen Regierung unter Führung des ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi zur postfaschistischen Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Es ist daher umso erfreulicher, dass es der Forschungsgruppe Solidarität Ende Dezember 2022 gelang, das Interesse eines deutsch-italienischen Start-up-Unternehmens zu wecken, das die Patente für ein neues Material und neue Maschinen besitzt, die in der Lage sind, Photovoltaik-Paneele und Batterien ohne den Einsatz von Seltenerdmetallen herzustellen. Diese Art der Produktion steht voll und ganz im Einklang mit dem so genannten gerechten Übergang: einerseits die Notwendigkeit, den globalen Süden nicht mit der Versorgung mit Ressourcen zu belasten, und andererseits die Notwendigkeit des Übergangs zu einem nachhaltigen Mobilitätsmodell.

In der Zwischenzeit reisen GKN-Mitarbeiter durch Italien, um sich mit kleinen Hersteller*innen von Lastenfahrrädern zu treffen, um zur Dekarbonisierung der Kleinlogistik sowohl in großen Betrieben als auch in italienischen Städten beizutragen, die noch weit davon entfernt sind, nachhaltige Mobilitätspläne einheitlich zu übernehmen. Der erste Prototyp eines Lastenfahrrads wurde übrigens in wenigen Monaten realisiert und im Februar 2022 vorgestellt. Die technischen Entwürfe stammen aus dem Wissensaustausch mit solidarischen Unternehmen und aus recycelten Materialien.

Arbeitskampf als Zukunftsexperiment

Derzeit wird das Reindustrialisierungsprojekt 2.0 nicht von Direktinvestor*innen unterstützt, so dass die Arbeiter*innen mit der schwierigen Frage des “Startkapitals” konfrontiert sind. Das Fabrikkollektiv und die Reindustrialisierungsgruppe haben daher eine Crowdfunding-Kampagne mit dem Namen “ex-GKN FOR FUTURE” ins Leben gerufen, die von Fridays for Future, BancaEtica (ein ethisches Bankinstitut, das der Welt der Zusammenarbeit und der sozialen Bewegungen nahe steht) und ARCI, dem ältesten Netzwerk von Unterhaltungs- und Kulturclubs in Italien, unterstützt wird. Die Idee besteht darin, eine breite Basis für die Unterstützung des neuen Projekts zu schaffen: Das Fabrikgelände wird der erste Aktionär dieser kleinen Öko-Revolution sein. Der erste Schritt der Kampagne zielt darauf ab, die notwendigen Mittel für die konkrete Gründung der Arbeitergenossenschaft zu beschaffen. In weniger als einem Monat hat die Crowdfunding-Kampagne, an der sich Hunderte von Bürger*innen und Verbänden beteiligt haben, bereits mehr als eine Million Euro erreicht.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es eine Vielzahl von wichtigen Ereignissen gibt, die mit der Ausbreitung und der Zukunft der Bewegungen für Klima und soziale Gerechtigkeit zusammenhängen, und die sich derzeit in der florentinischen Peripherie konzentrieren. Erstens geht die erneuerte Verbindung zwischen ökologischen und transfeministischen Bewegungen innerhalb der Arbeiter*innenkämpfe über das Narrativ der Erpressung durch Partikularinteressen hinaus. Zweitens die Koproduktion von Wissen, die darauf abzielt, konkret eine Alternative der produktiven Reaktivierung aus einer ökologischen Perspektive zu konstruieren, im Gegensatz zur Verhandlung von Lohnsubventionen, die allzu oft das Vorspiel neuer Entlassungen sind. Drittens, die wahrscheinliche Gründung des größten wiederhergestellten Unternehmens in Europa, ein Traum von Selbstverwaltung und Neudefinition der Produktion, im völligen Gegensatz und in völliger Opposition zur bloßen Anhäufung von “grünem Kapital”, ohne eine langfristige Vision.

“Wir haben uns auf eine Reise begeben, die noch nie zuvor unternommen wurde, und die sich aus den Besonderheiten dieses Kampfes, aber auch aus allgemeinen kapitalistischen Prozessen ergibt. Dies ist eine Gelegenheit, eine neue Art des Produzierens zu erleben, die die übliche Art des Umgangs mit Unternehmenskrisen völlig untergräbt”, erklärte das Kollektiv der Arbeiter*innen programmatisch in einem Flugblatt vom Oktober 2022.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist ein Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” der Berliner Gazette; die englische Fassung finden Sie hier. Weitere Inhalte finden Sie auf der “Allied Grounds”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://berlinergazette.de/de/projects/allied-grounds

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