Eine Ethik der Liebe: Ein radikaler Weg zur Revolution in einer Welt ausgebeuteter und gespaltener Arbeiter*innen

Die Frage nach der Liebe ist alles andere als naiv, sondern das Maß für einen großen revolutionären Moment. Daher ist es unsere Aufgabe, über die deprimierende narzisstische Kultur der Gegenwart hinauszugehen und zu fragen, wie Liebe und soziale Transformation in Zeiten der ökonomisch-ökologischen Krise zusammenhängen, argumentiert die Forscherin und Klimagerechtigkeitsaktivistin Muskaan Jagadish Khemani in ihrem Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds”.

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Die Liebe zueinander ist der Schlüssel zur radikalen Revolution. In seiner Rede “Where Do We Go From Here?verkündete Dr. Martin Luther King Jr. “Ich weiß, dass Liebe letztlich die einzige Antwort auf die Probleme der Menschheit ist.” Die Liebe war das Herzstück seines revolutionären Ansatzes in der Bürgerrechtsbewegung. In der Ära der Klimakrise wird eine gesellschaftliche Umarmung der Liebe die notwendige Revolution ermöglichen.

Artwork: Colnate Group (cc by nc)

Die Praxis der Liebe bekräftigt, dass Liebe mehr ist als ein flüchtiges Gefühl, mehr als die übliche Vorstellung von Liebe als romantische Angelegenheit. Nämlich, dass die Liebe in allen Aspekten des Lebens präsent ist, um die eigene Seele und die Seele des anderen wachsen zu lassen. Sie ist ein radikaler, revolutionärer, vereinigender Akt, der Entscheidung und Arbeit erfordert.

bell hooks ermutigt uns, eine Ethik der Liebe anzunehmen, was bedeutet, “dass wir alle Dimensionen der Liebe ‘Fürsorge, Engagement, Vertrauen, Verantwortung, Respekt und Wissen’ in unserem täglichen Leben nutzen“. Dadurch wird unser Lebensgefühl gestärkt, weil wir den gegenseitigen Respekt und das Mitgefühl für alle betonen. Liebe kann in jedem Aspekt unseres Lebens praktiziert werden, in der Selbstverwirklichung, im zwischenmenschlichen Umgang und sogar bei der Arbeit.

Liebe bei der Arbeit?

Wie würde Liebe bei der Arbeit aussehen? Im Zeitalter der Klimakrise würde eine Kultur des Wandels, die von einer Ethik der Liebe angetrieben wird, eine universelle Grundversorgung für alle gewährleisten. Universelle Grundversorgung, insbesondere Nahrung, Unterkunft, Gesundheitsversorgung und Bildung, ermöglicht es den Menschen, frei zu leben, indem sie ihre Existenz bestätigt und unterstützt.

Doch eine Ethik der Liebe, die dafür die entscheidende Grundlage schaffen würde, ist in der heutigen nicht vorherrschend. Stattdessen sind Kulturen, die Macht fördern, dominant. Sie werden durch die ‘Sozialisierung des Kapitalismus’ und das Erbe und den Nachhall des globalen Kolonialismus begünstigt. Vorherrschende Machtkulturen fördern ein Wettbewerbs- und Knappheitsdenken, demzufolge nicht genug für alle da ist. So werden die Massen (der ausgebeuteten Arbeiter*innen) aufgefordert, sich in einen ständigen Kampf um die Ressourcen zu begeben, was sie auch zunehmend tun.

Die Betonung des Gemeinwohls und der Kampf gegen Herrschaftssysteme würden eine radikale Veränderung der allgegenwärtigen Produktionssysteme bedeuten. Die Umsetzung einer Ethik der Liebe durch die Betonung von gegenseitigem Respekt und Mitgefühl in unseren Produktionssystemen würde eine Welt ermöglichen, in der grundlegende universelle Dienstleistungen für alle existieren, nicht nur für einige wenige. Die Abkehr von einem System, das auf Wettbewerb basiert, hin zu einem System, das auf gegenseitigem Respekt beruht, ist das, was Klimagerechtigkeit ermöglicht: nichts weniger als eine grundlegende Umstrukturierung der Grundlagen unserer Gesellschaft.

Die Liebe ist der gemeinsame Nenner dieses Prozesses. Nicht Liebe als Objekt romantischer Phantasie oder als ein “Gefühl”, das denjenigen vorbehalten ist, die einem nahe stehen. Vielmehr ist Liebe ein Prozess der ständigen Entscheidung, die eine Art von Vereinigung anstrebt, die im Kontrast zur nationalen Einheit einer solidarischen Gemeinschaft näher kommt. M. Scott Peck hat auf brillante Weise zum Ausdruck gebracht, dass “Liebe ist, was Liebe tut“. Sie bringt hervor, was in sie hineingesteckt wird, und das gilt auch, wenn man sie auf die Produktionsmittel anwendet.

Universelle Basisdienstleistungen

Ein Modell, bei dem die produzierenden Menschen zu einem gemeinsamen Mehrwert beitragen und davon profitieren, wäre in der Praxis untrennbar mit einer Ethik der Liebe verbunden. Die Produktion würde in der Gemeinschaft stattfinden, und die Ergebnisse der Produktion würden in der Gemeinschaft verbleiben – von Lebensmitteln, die auf Gemeinschaftsfarmen angebaut werden, über Wohnungen, die von den Bewohnern*innen gebaut werden, bis hin zu erschwinglichen Gesundheitsdiensten, die für und von Gemeinschaftsarbeiter*innen bereitgestellt werden.

Der gegenseitige Respekt vor der Existenz der anderen würde die Verteilung von Ressourcen und Arbeit bestimmen und zu einem Netz gegenseitiger Unterstützung führen. Es könnte so aussehen, dass eine Gemeinschaftsgenossenschaft gegründet wird, in der ein Teil des Einkommens in einen kollektiven Fonds fließt, der sicherstellt, dass alle Mitglieder der Gemeinschaft über medizinische Versorgung, Bildung, Nahrung und Unterkunft verfügen. Die Menschen würden sich in einem greifbaren Sinne mit ihren Ergebnissen verbunden fühlen und die Früchte ihrer Arbeit sehen.

Der Produktionsprozess würde innerhalb einer Gemeinschaft stattfinden, im Gegensatz zum gegenwärtigen Arbeitssystem, in dem viele Arbeiter*innen wesentliche grundlegende Dienstleistungen für Gemeinschaften außerhalb ihrer eigenen erbringen. Ihre Arbeit führt zu nicht greifbaren Ergebnissen für ihr eigenes Leben oder das ihrer Gemeinschaft. Hinzu kommt, dass die derzeitige Arbeitspraxis, bei der die Menschen schuften, arbeiten und nach Ergebnissen streben, oft nicht ausreicht, um auf dem grundlegendsten Niveau zu überleben – der Zugang zu gesunder Nahrung, erschwinglicher und gerechter Gesundheitsversorgung und Bildung ist im Leben vieler Menschen nicht gegeben. Vor allem nicht für unsere “systemrelevanten Arbeiter*innen”, die in der Regel am schlechtesten bezahlt werden, um unsere notwendigen gesellschaftlichen Systeme am Laufen zu halten.

Politisierung der Gemeinschaft

Eine Ethik der Liebe fordert in unserer heutigen kapitalistischen Gesellschaft bedeutet eine universelle Grundversorgung für alle, nicht für einige wenige und Gleiche. Der Kapitalismus fördert das Wohlergehen einer Minderheit auf Kosten der Mehrheit und basiert auf der Ausbeutung der arbeitenden Massen. Er nutzt und fördert fabrizierte chauvinistische Unterschiede, was sich in Fremdenfeindlichkeit, Sexismus, Rassismus und Imperialismus äußert, und fördert zugleich und dialektisch die Homogenität und Uniformität, die das vereinte Wir des Nationalismus ermöglichen.

In unseren modernen Gesellschaften ist die Suche nach Gemeinschaft durch Gleichheit im Sinne von Ähnlichkeit ersetzt worden. Die Nationalstaaten, die die primären Einheiten der globalen Ordnung sind, erfordern eine kollektive Identität (Nation), die an eine politische Einheit der Macht (Staat) gebunden ist. Dieser gewaltsame Prozess beruht auf der Homogenisierung von Identitäten und führt zu Gewalt, um den “Anderen” zu eliminieren, also diejenigen, die nicht in die Agenda des Nationalstaates passen: Indiens und Pakistans Unabhängigkeit und Teilung, Israels Gründung und die Nakba, die Vereinigten Staaten und der Völkermord an den Ureinwohner*innen wären als Beispiele zu nennen. Die Schaffung einer ethnischen oder religiösen Mehrheit und die damit einhergehende Schaffung einer Minderheit ist der Prozess des Aufbaus eines Nationalstaates.

Unsere globale Weltordnung wurde durch gewalttätige und entfremdende Prozesse namens Kolonialismus und Kapitalismus geschaffen, und die meisten unserer heutigen Nationalstaaten und die Beziehungen zwischen ihnen sind strukturell von diesen Prozess geprägt. Seit mehr als 100 Jahren basieren die Nationalstaaten auf der Prämisse, dass sich die Menschen künstlich voneinander unterscheiden und sich immer weiter von gegenseitiger Liebe, Respekt und Verständnis entfernen. Doch geht es nicht auch anders?

Stellen Sie sich einen Staat ohne Nation vor, der darauf aufgebaut ist, andere zu akzeptieren und wertzuschätzen, anstatt nach Macht zu streben, indem er sie künstlich und gewaltsam eint. Stellen Sie sich eine Arbeit vor, die heilsam ist, weil sie die Sicherheit eines komfortablen Lebensunterhalts für alle bietet. Die Wiederherstellung der Praxis der Solidarität durch eine Ethik der Liebe kann die Gesellschaft über die Fixierung auf das Individuum hinaus zu einer gemeinschaftlichen Fürsorge bewegen.

Verbindung von Arbeits- und Klimakämpfen

Kapitalismus, Nationalismus, Klassismus und andere Herrschaftssysteme leben von der allgegenwärtigen Lieblosigkeit in der Gesellschaft, weil sie erstens die Gleichheit (lies: Ähnlichkeit), zweitens das Individuum gegenüber dem Kollektiv oder, drittens, das Kollektiv als Einheit, verkörpert durch ein Individuum – “den Diktator”, “den Retter”, “den Rächer” – betonen. Die Behauptung, dass alle Menschen ein Dach über dem Kopf und Komfort während dramatischer Wetterveränderungen und extremer klimatischer Ereignisse verdienen, sowie beständige Nahrung und Ernährung, Zugang zu medizinischer Versorgung für körperliches und geistiges Wohlbefinden und Bildungseinrichtungen, um kritisches Denken, Empathie und das Funktionieren der Welt zu lernen, ist radikal. Es ist ein radikaler Akt, weil er das Kollektiv nicht als vorgefertigte Einheit, sondern als Vielheit begreift.

Wie bell hooks feststellt, “werden wir ohne eine Ethik der Liebe, die die Richtung unserer politischen Vision und unserer radikalen Bestrebungen bestimmt, auf die eine oder andere Weise dazu verführt, uns weiterhin den Systemen der Herrschaft Imperialismus, Sexismus, Rassismus, Klassismus zu unterwerfen”.

Die Ausgestaltung der Klimakrise als soziale Krise hängt von den Systemen des Kapitalismus ab, die endloses Wachstum fördern, um Produktionsvorteile (Profite) zu erzielen, und so eine ungerechte und nicht nachhaltige Gesellschaft schaffen. Dieser Rahmen stellt den kurzfristigen individualistischen Gewinn über das längerfristige Gemeinwohl. Der Kampf gegen dieses System, das im Streben nach endlosem Wirtschaftswachstum die Umwelt und die Menschen übermäßig ausbeutet, was zu einer Verschlechterung der Umwelt- und Gesellschaftsbedingungen führt, fordert uns, die ausgebeuteten und gespaltenen Arbeiter*innen dieser Welt auf, die Kämpfe für Umwelt und soziale Gerechtigkeit miteinander zu verbinden. Und diese miteinander verknüpften Kämpfe erfordern eine Ethik der Liebe.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist ein Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” der Berliner Gazette; die englische Fassung finden Sie hier. Weitere Inhalte finden Sie auf der “Allied Grounds”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://berlinergazette.de/de/projects/allied-grounds

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