Der Streit um die Zukunft der Volksbühne am Rosa-Luxemburg Platz ist auch eine Auseinandersetzung darüber, was Kunst ist und was Kunst darf. Wollen wir, dass sie uns herausfordert und schockt? Oder, dass sie zum Weichspüler des globalen Kapitals wird? Die Grenzen der Kunst werden immerfort neu vermessen. “Der angstlose Freiraum wird kleiner”, wie Hausautor Thomas Martin konstatiert. Teil drei des Interviews.
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Wir erleben seit dem Mauerfall, wie sich die Kulturpolitik immer wieder auf die kreative Kraft der Stadt beruft und sie beispielsweise für das City Marketing instrumentalisiert – derweil sie den Boden, auf dem Kunst und Kreativität überhaupt erst entstehen können, immer weiter ausdünnt. Jetzt trifft dieser Prozess auch die Volksbühne. Wie lautet vor diesem Hintergrund Eure Forderung an die Kulturpolitik?
Du kannst nichts fordern, als das Einhalten von Verträgen. Du kannst nicht sagen, lasst uns bitte bleiben. Du kannst nicht sagen, das Theater gehört uns, haut jetzt ab, wir machen weiter. Wenn du das sagst, dann mußt du den Laden auch besetzen, dich einschließen, auf Belagerung einstellen, auf kein Publikum oder eins, das du nicht willst, und du kannst dir ausrechnen, daß das keine durchgehende Kollektivmaßnahme wird und nicht die unbedingte Solidarität von außen hervorrufen wird. Der Spaßfaktor dabei würde ziemlich schnell verfliegen.
Wirklich keine Forderung?
Im Ernst, das einzige, was du einfordern kannst in der Kunst, ist die Aufmerksamkeit eines Publikums, und das erreichst du nur durch ein Ereignis. Es gibt aber kein Abonnement auf Ereignisse. Die so oft beschworene revolutionäre Sehnsucht, die der Kunst innewohnt, liegt nicht im konsensmäßigen Abfeiern irgendwelcher Erfolgsstatistiken, sie liegt in der Wirkung, die ein Kunstwerk – ob Theater oder was auch immer – hinterläßt. Und Theater machst du nicht unter Protest oder hinter Barrikaden.
Es mag ein ästhetischer Schock sein oder die subversive Wirkung, die eine unerahnte Schönheit mit sich bringt, nur dieses Kunst-Ereignis ist nie zur Gänze kalkulierbar, sonst wäre es eine Rechenkunst. Nicht nur die Wirkung kannst du berechnen noch das Ereignis selbst, weil der Künstler auch nur bedingt mit sich rechnen wird. Ohne den Überraschungseffekt – und der wird meist von der narzißtischen Wunde eingefordert – ist die Kunst nicht vorstellbar, nicht vorstellbar in doppelter Hinsicht.
Denn natürlich ist die Kunst, vor allem im Theater, auch ein Ritual der Selbstverwirklichung bzw. der Selbstauflösung. Und da ist die Problematik schon benannt. Ich muß in letzter Zeit öfter an ein spätes Gespräch von Heiner Müller denken, weiß nicht mehr, wo und mit wem, jedenfalls fällt da die Bemerkung: Theater kann man nur mit Freunden machen. Wie Freundschaften entstehen, wissen wir, und wie schwer es ist, sie in Kunstzusammenhängen, die ja auch Arbeitszusammenhänge sind, zu halten, wissen wir auch, nämlich schwer. Eine schöne Utopie von Müller, die eigentlich schon einen Ausnahmezustand beschreibt.
In welchem Bezug könnte das zur Volksbühne und ihrer jetzigen Situation stehen?
Man könnte diese Utopie – die bei genauerer Betrachtung ja auch nicht so nett ist, weil sie eine Menge Ausschlußkriterien mit sich bringt – auf den sogenannten Volksbühnengedanken anwenden. Der Volksbühnengedanke als Ausnahmezustand definiert. Ein familiärer Ausnahmezustand. Die Volksbühne war immer auch eine identitätsstiftende Institution, und das hat sie sich in ihrer Widersprüchlichkeit, ihrer Anarchie, dieser sehr heterogenen Zusammensetzung von Künstlern, beibehalten. Das ist auch eine Spielwiese, das ist nicht nur Ackerei, das ist auch mit viel Spaß und Genuss verbunden. Wenn die Kunst kein großes Fest ist, dann stimmt was nicht.
Wie kann man dieses Fest, den Anspruch auf die Ausrichtung dieses Festes beibehalten, wie es weiterentwickeln?
Ich glaube, dieser angstlose Freiraum wird kleiner, der kommerzielle Druck wird zunehmen, auch auf das, was Ensemble genannt wird. Der Ensemblebegriff in diesem Haus ist ein erweiterter, zum Ensemble zählen die Angestellten der Gewerke, die künstlerische Leitung, Werkstätten. Das versteht sich als Ensemble und nicht eine feste Zahl von mehr oder weniger Schauspielern. Wir sind das letzte Theater in Berlin, das noch eigene Werkstätten hat, was eine bedeutende Flexibilität erlaubt. Auch eine Besonderheit der Volksbühne: schnell und flexibel zu sein.
Wir haben unsern Spielplan kaum je vorgestellt in einer Pressekonferenz, wir haben drei- oder viermal ein Spielzeitheft vorgelegt mit einer Behauptung von Inszenierungen. Die Schlagkraft der Überraschung ist für uns immer wichtig gewesen. Wenn hier demnächst kuratiert wird, um das Schlagwort aufzugreifen, heißt das, das man die Kreativität und die direkte Verantwortung dafür delegiert. In Kuratieren steckt auch Kur, Kurieren, Heilen, ein vormundschaftlicher Pfleger ist ein Kurator.
Wir werden uns in der nächsten Spielzeit damit näher beschäftigen und dem Begriff auf den Grund gehen. Marcus Steinweg, Philosoph, setzt sich in seiner Reihe „Überstürztes Denken“ mit den Phänomenen der Kunst und ihrer Umsetzung im öffentlichen Raum auseinander. Guillaume Paoli, der im Roten Salon die philosophische Reihe „Im Reich des kleineren Übels“ führt, empfiehlt ein Buch von David Balzer, „Curationism: How Curating Took Over the Art World and Everything Else“. Ich denke, das werden wir lesen.
Wie spontan kann man etwas in den Spielplan nehmen?
Wir haben nicht die langfristige Planung, die andere Theater haben. Das ist eine Begleitfolge dieses kleinen Schauspielensembles, durch das wir auf Gäste angewiesen sind, die immer wieder engagiert werden müssen, die anderswo Verträge haben, du bist sehr zum Improvisieren angehalten. Das gehört zu diesem Komplex der Überforderung, eines „Überstürzten Denkens“ wie die andere philosophische Reihe im Roten Salon heisst, wo Marcus Steinweg das überstürzte Subjekt untersucht.
Tatsache, Überstürzung und Überforderung spielen hier eine extrem große Rolle, denn der Mensch, der draußen rumläuft, der spaziert da nicht nur, die Überforderung bringt dich auch in Randgebiete, die du sonst nicht erreichst, in existenzielle Situationen, die dich zu etwas ganz neuem katapultieren. Das ist nicht ohne Risiko, das ist wie Sport im besten Fall, wie ein Wettkampf voller Überraschungen. Auch im Übertragenen: Es ist ein Wettkampf mit der Politik. Du brauchst zur Durchsetzung der Kunst oft mehr Energie als für die Kunst selbst. Das gehört zum Produktionsprozeß.
Kulturpolitik, wie müsste sie aussehen?
Was die Theater angeht, wäre ein Dialog schon angebracht. Wenn du merkst, dass ein am Theater als Ort des Widerstands, einer Insel der Unordnung, einer Bewegung gegen den Zeitgeist, denn die Kunst ist kein Trendsetter, das Theater kein Kulturfaktor der Industrie, wenn ein an dieser Struktur vollkommen Desinteressierter solche weit reichenden Entscheidungen trifft, dann bist du natürlich enttäuscht oder sauer.
Da verstehe ich die Wut von Peymann, die ja nicht ausschließlich aus verletzter Eitelkeit kommt. Sicher ist es auch problematisch, wenn Theaterformen, die an der Volksbühne entwickelt worden sind, die Durchdringung der Schauspieldarstellung durch die Existenz des Schauspielers, beispielsweise, derart Schule machen, das im ganzen deutschsprachigen Theaterraum flächendeckend Castorf-Adepten auftreten, wie die Kritik es seit Jahrzehnten regelmäßig beklagt. Oder das Musiktheater Christoph Marthalers, die choreographischen Inszenierungen, die Johann Kresnik hier anfangs mit seinem eigenen Ensemble produzieren konnte, Christoph Schlingensiefs Entwicklung zum Theater- und Performancehäuptling ganz neuer Art, das alles nahm von hier aus prägend seinen Ausgang und hat sich in großen Teilen Europas durchgesetzt.
Jetzt heißt es von Dercons Seite, er wäre sehr an Kontinuität interessiert…
Das klingt sehr nach Selbstzufriedenheit. Hat er ja auch allen Grund. Im Grunde vollzieht die Politik jetzt amtlich das, was von hier ausging, nur ohne künstlerische Autonomie, dafür amtlich verordnet. Es gibt in der Kulturpolitik, die ja nur der Exekutor der sogenannten großen Politik ist, ein erkennbares Einheitsbestreben, etwas einander anzupassen, nicht nur aus ökonomischen Gründen, und das ist immer schwierig. Das wird langweilig.
Und natürlich nimmt die Politik die Kunst nicht mehr so ernst, wie sie beispielsweise in der DDR ernst genommen wurde, also kein Ministerpräsident wird sich je mit einem Regisseur hinsetzen und ernsthaft an einer Inszenierung arbeiten, wie Grotewohl das mit Brecht getan hat. Verbote erreichen einen nur noch über finanzielle Fragen, Erbschaftsstreitereien, übers Urheberrecht und nicht mehr über eine politische Debatte.
Kultur als Gemeineigentum?
Auch die Kultur sollte Gemeingut sein, ja, aber nicht umsonst. Wenn du das aufs Tablett legst, dann musst du nicht mehr darum kämpfen, wenn dir alles gegeben ist, dann schluderst du auch damit rum. Daher muss es einen Kampf um Gemeineigentum geben, den gibt es sowieso. Dieser Kampf ist allerdings nicht sozialdarwinistisch ausgelegt, nein, der richtet sich nicht gegen den Nächsten, sondern gegen Institutionen, ob staatlich oder privatistisch, die mit Gemeineigentum Profit machen.
Womit wir wieder bei der Kommerzialisierung der Kultur wären…
Kultur und Kommerz, das steht nicht weit auseinander. „Die Unterscheidung zwischen Unterhalt und Unterhaltung ist eine künstliche“, steht irgendwo im „Dreigroschenprozeß“. Auch die Kunst ist eine Lohnarbeit, man verkauft, was man macht, im Fall der Kunst oft genug auch, was man ist. Man kann darüber nachdenken, warum die kommunistische Idee so viele künstlerische Impulse ausgelöst hat, vielleicht aus dem Bewußtsein, daß der Kommunismus der Tod der Kunst sein wird. Wenn alle Utopien eingelöst sind, wozu brauch ich dann noch Kunst. Höchstens um meine Langeweile zu bekämpfen. Oder der Kommunismus ist da endgültige Gesamtkunstwerk, das klingt auch beängstigend und neutralisiert alles. Die Verbote in totalitären Staaten, die Kunst und Künstler betrafen, waren sicher ein Glücksfall für den Einzelnen, auch wenn das zynisch klingen mag.
Ist die Parallelisierung der Kunst mit dem Staat so tödlich wie die mit dem Kommerz?
Ich fang mit einem infrastrukturellen Beispiel an, Straßenverkehr. Es gab in Ostberlin den 60er/70er Jahren einen Freifahrtschein für alles, S-Bahn, U-Bahn, Bus und Straßenbahn, der wurde dann schnell wieder abgeschafft, nicht weil etwa die paar Groschen (Einheitspreis für jeden waren 20 Pfennig) fehlten, sondern weil Busse und Bahnen überfüllt waren, der Kommunismus fiel wegen Überlastung aus, er stand praktisch im Stau.
In den 50er Jahren wurde der Plan verfolgt, Kunst und Kultur – bei näherer Betrachtung gehört das eigentlich gar nicht zusammen, ich glaube eher, daß die Kunst ein abartiger Trieb der Kultur ist, eine Abwehrreaktion auf eine Krankheit … es ging jedenfalls darum, die Bevölkerung unentgeltlich an die Kunst heranzuführen, also die sanfte Verordnung, jeder Theater-, Kino-, Museumsbesuch umsonst, nur für den Tierpark sollte man bezahlen. Die Künstler, Brecht voran, haben sich gewehrt, so gut sie konnten, Brecht als Staatskünstler über die Akademie oder Drohungen, das Land zu verlassen, was damals noch eine Drohung war.
Nein, Kunst ist Luxus, sie entsteht aus Genuss, einem Überschuss an Zeit, und dafür muss man investieren, man muss sich diesen Luxus erarbeiten. Wenn er dir gratis vorgeworfen wird, dann ist er nichts mehr wert. So ist es mit den Gemeineigentümern, die natürlich kein Luxus sind, aber ein gefährlicher Luxus werden, wenn sie dir in die Wiege gelegt werden. Das kann sowieso niemand garantieren. Den Kampf darum wird es in Zeiten der abnehmenden Ressourcen verstärkt geben, der Zweifel am Grundrecht von Gemeineigentum ist berechtigt. Das Licht am Ende des Tunnels kann das erste Zeichen einer großen Dunkelheit sein, gegen die der Tunnel, aus dem du kommst, die reine Helle war.
Das Neue ist immer auch eine Frage der Setzung…
Das Neue? Ich habe meine Zweifel, daß es neu ist, anders ist es jedenfalls. Man kann das mit Brecht in seiner Dialektik ganz gut beschreiben: Alles Neue ist besser als alles Alte. „Dieses oberflächliche neuerungssüchtige Gesindel / Das seine Stiefel nicht zu Ende trägt / Seine Bücher nicht ausliest / Seine Gedanken wieder vergißt / Das ist die natürliche Hoffnung der Welt.“ Das ist eine schöne, brutale Beschreibung für einen Anfang. Jeder Anfang ist roh, jede Moderne rücksichtslos, jede Revolution hat ihren primitiven Sound. Was uns erwartet, wird vielleicht oberflächlich sein, was die Neuerung angeht, bin ich skeptisch.
Kann man im laufenden Betrieb das Neue generieren?
Es ist das Problem des etablierten Künstlers wie des alternden. In diesem großartigen Aufsatz von Gottfried Benn, „Altern als Problem für Künstler“, kannst du es nachlesen: „Ein neuer Stil, das ist ein neuer Mensch.“ Der Satz benennt das Problem. Altes zu bewahren ist sinnlos, nur sinnvoll, wenn du es mit Neuem kontrastierst.
Das ist auch das Problem der Volksbühnenbewegung, des Vereins Freie Volksbühne, der schon mit Piscator seine Not hatte. Von der „Bewegung“ hören wir kein Wort anläßlich dieser Zäsur in ihrem Stammhaus. Das sagt einiges über die Bedeutung des Vereins und seine Haltung zur Volksbühne, wie wir sie meinen.
Anm.d.Red.: Das Interview ist als Dreiteiler erschienen. Teil 1: Berlin wird ein Puppenhaus. Teil 2: Gegenrepublik Volksbühne. Teil 3: “Angstloser Freiraum wird kleiner”. Das Foto oben zeigt einen künstlerisch-utopischen Entwurf einer möglichen Zukunft der Volksbühne, konzipiert durch den Künstler Jakob Michael Birn. Das Gespräch mit Thomas Martin führte der Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki. Lesen Sie auch den Debatten-Beitrag der HU-Professorin Tanja Bogusz.
Aber Renner hat doch gerade 22 Millionen für die freie Kunst in Berlin nochmal drauf gelegt, wie kann man da von “Ausdünnung” sprechen?
Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/kultur/kulturhaushalt-berlins-freie-szene-wird-gestaerkt,10809150,31146180.html
mE ist die Frage nach Geld so gelagert: Wieviel gibt die Kulturpolitik der freien Kunst — zu welchen Bedingungen? Was für Anforderungen werden gestellt? Was wird erwartet? Was sind die Regeln?
So wird die Summe / der Betrag äußerst “relativ”, wenn es darauf hinausläuft, dass am Ende nur noch Aquariumbau gefördert wird.
L’arte è comunicazione la commercializzazione o la trasformazione in
lavoro è il problema contemporaneo,comunque e in ogni caso e forma artistica lo shock estetico rimane dominante.