Präsidentschaftswahlen in Venezuela: Wird Maduros Sieg die Probleme des Landes lösen?

Die Präsidentschaftswahlen in Venezuela haben Nicolás Maduro als klaren Sieger hervorgebracht, der seit dem Tod von Hugo Chávez am 5. März 2013 an der Macht ist und national wie international sehr umstritten ist. Doch was bedeutet es, wenn Maduro-Gegner diese Wahlen als manipuliert bezeichnen und deshalb nicht anerkennen? Der Sozialwissenschaftler und Berliner Gazette-Autor Dario Azzellini zeigt, welches Grundlagenverständnis entscheidend ist, um die aktuelle Gemengelage in Venezuela deuten zu können.

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Gemäß des zweiten offiziellen Bulletins vom Nationalen Wahlrat in Venezuela ging Präsident Nicolás Maduro als klarer Sieger der Präsidentschaftswahlen hervor. Er erhielt mit 67,76% der Stimmen und einer Wahlbeteiligung zwischen 46,02% (bei 98,7% ausgezählten Stimmen). Maduro erhielt 6.190.612 Stimmen. Der wichtigste Oppositionskandidat Henri Falcón kam auf 21,02% (1. 917.036 Stimmen), der evangelikale Oppositionskandidat Javier Bertucci auf 988.761 Stimmen (10,82%) und der Kandidat der linken trotzkistischen Opposition Reinaldo Quijada erhielt 36.246 Stimmen (0,39%).

Die Durchführung von Präsidentschaftswahlen mitten in der verheerenden wirtschaftlichen und sozialen Situation, und unter dem Druck internationaler Drohungen und Zwänge, ist bereits ein Erfolg für Venezuela. Und angesichts der internationalen Medienpropaganda ist auch Folgendes klarzustellen:

Erstens: Der Wahlprozess ist ein Ergebnis von, und wurde so durchgeführt wir vor einigen Monaten zwischen der Regierung und der Opposition in der Dominikanischen Republik verhandelt. Es wurde ein Abkommen ausgehandelt, unter das – nach Druck und / oder Zusagen aus den USA – die Opposition plötzlich am Tag der Unterzeichnung die Unterschrift verweigerte.

Zweitens: Das venezolanische Wahlsystem ist sehr sicher und zuverlässig. Die elektronische Stimmabgabe wird mit einem ausgedruckten Wahlzettel bestätigt und die Ergebnisse der elektronischen Zählung können durch Zählen der ausgedruckten Stimmzettel geprüft werden. Maduro kündigte am Sonntagabend an, dass 100% der Stimmen manuell nachgezählt werden.

Drittens: Es ist falsch, dass Venezuela keine internationalen Beobachter zugelassen hat. Venezuela hat die Vereinten Nationen und die Europäische Union aufgefordert, Beobachter zu entsenden. Beide haben es abgelehnt. Es waren mehrere hundert internationale BeobachterInnen in Venezuela, einschließlich des ehemaligen Präsidenten des spanischen Staates, Zapatero, der sicherlich kein Freund der Regierung oder des Prozesses ist.

Mobilisierungsstrategien

Die Oppositionskandidaten Falcón und Bertucci haben sofort erklärt, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen. Das ist keine Überraschung. Nach allen Wahlen in den letzten zwei Jahrzehnten weigerte sich die Opposition, die Ergebnisse jedes Mal anzuerkennen, wenn sie die Wahlen verlor. Falcón berichtete von 900 angeblichen Fällen von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl. Die Mehrheit bezieht sich auf die so genannten roten Punkte, Stände von Parteiaktivisten, um Bürger zur Wahlbeteiligung zu mobilisieren.

Der Vorwurf ist ziemlich schwach, um nicht zu sagen absurd, da die Abstimmung geheim ist und es keine Möglichkeit gibt, herauszufinden, für wen die Wähler gestimmt haben. Abgesehen davon, dass diese Mobilisierungsstrategie in den letzten zwei Jahrzehnten sowohl auf der Chavista-Seite als auch von der Opposition genutzt wurde. Nach den Berichten von BeobachterInnen befanden sich die Roten Punkte – so wie es das Gesetz vorsieht – mindestens 200 Meter von den Wahllokalen entfernt.

Die Opposition litt deutlich unter den Boykottaufrufen des rechtesten und extremistischsten Flügels. Dies obwohl sich in den letzten Monaten immer mehr Oppositionsführer auf die Seite Falcóns geschlagen hatten. Bei den Präsidentschaftswahlen 2013 lag die Wahlbeteiligung noch bei 79,68%. Tatsächlich bildeten sich in den ärmeren urbanen Gebieten und in den ländlichen Gemeinden lange Schlangen vor den Wahllokalen, ähnlich wie bei früheren Wahlen, während in den Stadtteilen de Ober- und Mittelschicht eher wenig Andrang herrschte. Doch hätte die Wahlbeteiligung auch 20% höher gelegen – 4 Millionen Stimmen mehr – und hätten diese alle für Falcón gestimmt (was völlig unrealistisch ist), wäre der Sieger immer noch Maduro gewesen.

Die überwiegende Mehrheit der Basisaktivisten, die ich in Venezuela kenne, stimmte für Maduro, obwohl sie starke Kritik an der Regierungspolitik haben oder sogar vehemente Konflikte (wie in der Gemeinde El Maizal) mit ihr austragen. Wer das Wahlergebnis disqualifiziert, wer es nicht versteht, versteht Venezuela nicht. Mit all den Fehlern und Irrwegen, die die Maduro-Regierung begangen hat, sehen die meisten Menschen an der Basis im Fortbestand dieser Regierung die einzige Möglichkeit, weiter kämpfen und ihre Projekte von unten aufbauen zu können.

Ja, sie müssen hart kämpfen und geraten in schwere Konflikte mit den Institutionen und mit der Bürokratie, sie sind desillusioniert von der Korruption in vielen Institutionen. Aber sie können weiterhin kämpfen und sie können ihre Projekte von unten aufbauen. Mit jeder anderen von den Oppositionskräften gebildeten Regierung würde diese Möglichkeit verschwinden. Was jetzt?

Kampf, immer wieder Kampf

Die internationale Rechte, die USA und die EU werden die Angriffe und Sanktionen verstärken. Und obwohl Maduros Wahlsieg ein wichtiger politischer Sieg auf nationaler und internationaler Ebene ist, wird er Venezuelas Probleme nicht lösen. Venezuela erlebt zweifellos seine schlimmste Krise der vergangenen Jahrzehnte. Die Inflation ist dramatisch, es gibt ernste Schwierigkeiten, notwendige Medikamente zu bekommen und Lebensmittel zu kaufen, viele arme Menschen müssen in langen Schlangen stehen, an verschiedenen Orten suchen und hohe Preise an Spekulanten zahlen (außer sie leben im Osten von Caracas, Lechería und anderen Vierteln der oberen Mittelschicht und Oberschicht, wo alles zu finden ist).

Viele VenezolanerInnen verlassen das Land auf der Suche nach besseren Bedingungen. Es ist unbestreitbar, dass die Regierung in ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik schwerwiegende Fehler begangen hat und auch mitverantwortlich für die Situation im Land ist. Es gibt kein sozialistisches Projekt mehr. Die zentrale Rolle des Öls hat die bürokratischen, zentralistischen, klientelistischen und korrupten Strukturen der Vergangenheit reproduziert. Dem bolivarianischen Venezuela ist es nicht gelungen, dieses Phänomen zu vermeiden.

Außerdem fehlt es an Klarheit über die Maßnahmen der Regierung (etwas, das Chávez immer sehr gut kommunizieren konnte). Auf Seiten der Basis herrscht Misstrauen, inwieweit die Regierung weiß, wie sie Krise lindern oder lösen soll. Korruption bleibt ein großes Problem und der Autoritarismus hat zugenommen. Es gibt viele – auch offene – Kritiken an der Politik der Regierung aus der Basis und auch aus der PSUV selbst, und noch viel mehr von anderen Parteien, die die Regierung unterstützen. Die Krise hat einen Großteil des sozialen Fortschritts zerstört. Die Ungleichheit hat massiv zugenommen. Es gibt eine besorgniserregende Öffnung zum internationalen Kapital.

Von GroßgrundbesitzerInnen und Bauernbewegungen

In der venezolanischen Regierung (oder vielleicht sogar wieder mehr als zuvor) ein Kampf zwischen verschiedenen Mächten. Das ist besonders bezüglich der LandarbeiterInnen deutlich geworden. Während des letzten Jahres und insbesondere während der vergangenen Monate wurden mehrere Landbesetzungen von Bauernbewegungen und auch Ländereien, die Bauernbewegungen legal zugeteilt wurden, von lokalen und regionalen Polizeibeamten angegriffen und geräumt. Die Polizisten wurden teilweise von lokalen und regionalen Institutionen und RichterInnen gedeckt und handelten im Interesse von GroßgrundbesitzerInnen.

Am 10. April ging Maduro endlich auf die Forderungen der Bauernbewegungen ein. Er bat die nationale konstituierende Versammlung, eine Untersuchung einzuleiten und über die Zwangsräumungen zu informieren, die die Bauernbewegungen in den letzten Monaten erlebten. Gleichzeitig verbot Räumungen von Ländereien unter der Kontrolle von Bauernbewegungen und warnte davor, dass “derjenige, der eine Zwangsräumung durchführt, mit der vollen Härte der Gesetzes zu rechnen habe”. Maduro übergab auch 44.000 Hektar Land an Bauernbewegungen. Der Aufbau des Sozialismus ist ein langer Prozess von unten, in dem es notwendig ist, Institutionen dazu zu zwingen, auf Volkskämpfe zu reagieren und mitzuhalten.

Trotz der aktuellen Krise durch den Zusammenbruch der Ölpreise, der internationalen wirtschaftlichen und finanziellen Einkreisung Venezuelas, den gewalttätigen Angriffen der Opposition, dem Wirtschaftskrieg der Privatunternehmer, Mafias und Finanzinstitutionen, und auch der Fehler der Regierung in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht, gibt es immer noch ein breites Geflecht alternativer, popularer Projekte, die wir nicht aus den Augen verlieren dürfen, denn dort entsteht das neue Venezuela. Und es ist dieses Venezuela, das verteidigt werden muss, weil es das Venezuela ist, das zerstört werden soll, weil es eine Quelle der Hoffnung ist. Es zeugt von der Möglichkeit, dass eine andere Welt notwendig und möglich ist.

Anm.d. Red.: Soeben erschien vom Autor dieses Beitrags “Vom Protest zum sozialen Prozess. Betriebsbesetzungen und Arbeiten in Selbstverwaltung” (VSA-Verlag). Hier eine Leseprobe (Einleitung und Inhaltsverzeichnis)).

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