Nachhaltige Klimaproduktion: Vom Nichtstun, über das universelle Grundauskommen, bis hin zu Kooperativen

Wenn jede Wirtschaftsleistung einen ökologischen Fußabdruck hat, dann liegt es auf der Hand, dass wir, als Arbeiter*innen in einer kapitalistischen Ökonomie, einen maßgeblichen Anteil zur Klimaproduktion haben – weitgehend unbewusst. Wie Arbeit als bewusste und zugleich nachhaltige Klimaproduktion organisiert werden kann, darüber denkt Autorin und Kuratorin Ela Kagel in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “Allied Grounds” nach.

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In der Einleitung zu “Allied Grounds” schreiben Magdalena Taube und Krystian Woznicki, die Mitherausgeber*innen der Berliner Gazette: „Die Produktionsmittel sind zu Mitteln der Klimaproduktion geworden. Wie also können wir – alle Arten von ausgebeuteten Arbeiter*innen auf der ganzen Welt – uns eben dieser Mittel bemächtigen und sowohl die ökosoziale als auch die dekoloniale Frage der Klimakrise angehen?“

In diesem Artikel werde ich diese Frage unter dem Blickwinkel der Re-Organisation beantworten und neue Fragen ins Zentrum rücken: Wie kann der Arbeitsplatz zum Ort des Widerstands gegen kapitalistische Ausbeutung und Klimazerstörung werden? Wie können von dort aus neue Strukturen der (kollektiven) Selbstorganisation entstehen? Und wie ist es möglich, dass nicht nur einige wenige „besser“ und „nachhaltiger“ arbeiten können, sondern alle?

Zunächst einmal gilt es, den Zusammenhang zwischen Arbeit und Klimaproduktion zu verstehen. Die klassische Erwerbsarbeit erzeugt Emissionen – und zwar quer durch alle Berufsgruppen. Egal ob Industrie, Büroarbeit, Krankenhaus, Kindergarten oder Gastronomie. Überall wird hingefahren, angeliefert, geheizt, gekühlt, werden technische Geräte und digitale Infrastrukturen genutzt. Das bringt Emissionen u.a. im Produktions- und Verbrauchsprozess von Energie hervor.

Arbeit, zumindest in der Organisationsform wie wir sie heute kennen, schadet dem Klima. Das lässt sich sogar ziemlich genau ermitteln: Anhand der anfallenden Kohlenstoffintensität kann man berechnen, wie viel Treibhausgasemissionen pro Wirtschaftsleistung anfallen und wie viele Emissionen in einer Stunde Arbeit enthalten sind. Die Rechnung fällt ernüchternd aus: Statt der üblichen 40-Stunden-Woche wären maximal 9 Arbeitsstunden pro Woche angezeigt.

Anders zu arbeiten, deutlich weniger oder gar nicht mehr zu arbeiten heißt, sich die Mittel der Klimaproduktion anzueignen. Wie aber passt das zu einem Arbeitsmarkt, der von Krieg, Pandemie, Inflation und Künstlicher Intelligenz geprägt ist, sowie zu dem umfassenden Dogma von Arbeit und Leistung, mit dem zumindest noch die Pre-Millenials im Globalen Norden aufgewachsen sind?

Können wir Arbeit neu organisieren?

Um das globale Arbeitsaufkommen so zu re-organisieren, dass es zumindest etwas nachhaltiger wird, müsste es auch sozial gerechter und dem Profitzwang entzogen werden. Dazu wäre eine umfassende weltweite Allianz in Bezug auf Kreislaufwirtschaft, Abfallmanagement, nachhaltige Transportmittel, Tele-Arbeit, lokale Nahrungsmittelproduktion, Datensparprogramme und umfassende Bildungs- sowie Bewusstseinsbildungsmaßnahmen notwendig. Es braucht eine Kooperation aller Länder, aller Regierungen, aller Unternehmen und aller Menschen, um den Übergang in eine nachhaltige Zukunft zu ermöglichen. Nicht mehr und nicht weniger.

Artwork: Colnate Group (cc by nc)

Um unter der Last dieser Vorstellung nicht sofort die Lust am Weiterdenken zu verlieren, schauen wir uns im Folgenden verschiedene Szenarien der Re-Organisation von Arbeit an. Ein Überblick über Maßnahmen, die im Bereich des Möglichen liegen: Die klassische Erwerbsarbeit einstellen, Grundeinkommen erhalten oder Arbeit über Commons-orientierte Unternehmen oder Platform Coops organisieren. Die nachhaltige Arbeit der Zukunft könnte von all diesen Ansätzen geprägt sein.

Fürs Nichtstun bezahlt werden?

Im Rahmen der BG-Jahreskonferenz AfterExtractivism war ich Ko-Moderatorin des Climate & TechPolitics-Workshops. Gemeinsam haben wir das ProtocollofPlannedDisconnect entwickelt, eine Sammlung von aktuellen Strategien und fiktiven Nachrichten aus einer nicht allzu weit entfernten Zukunft zum vollständigen digitalen Exit. Unter anderem wird folgende politische Notfallmaßnahme aus dem Jahr 2035 aufgeführt:

Internetabstinenz wird mit 100 Euro pro Tag belohnt!
In einem verzweifelten Versuch, den Energieverbrauch zu senken, haben das Bundesumweltministerium und das Digitalministerium ein Pilotprojekt gestartet, bei dem Internetabstinenz mit bis zu 100 EUR pro Tag belohnt wird.

Fürs Nichtstun bezahlt werden? Das ist ja noch krasser als die Idee eines Grundeinkommens. Fürs Nichtstun bezahlt zu werden, wäre die komplette Umkehr der heutigen Verhältnisse. Den Instagram-Feed nicht mehr aufrufen, das Bingewatching der Lieblingsserie auf Netflix unterlassen, nichts mehr auf Amazon bestellen – komplett raus aus der Riesenmaschine, die es längst bewerkstelligt hat auch solche User*innenkulturen in extrahierbare Arbeitskraft zu verwandeln, wie der CAPTCHA-Fall einleuchtend zeigt.

Abwesenheiten vom Arbeitsplatz sind übrigens eine Protestform, die unter Arbeiter*innen, die auf das klassische Streikformat (aus rechtlichen Gründen) nicht zurückgreifen können oder dürfen, verbreitet ist. Gründe dafür gäbe es im Internetkontext zuhauf: Streaming-Plattformen und andere internetbasierte Dienste benötigen Server und Rechenzentren, um den Datenverkehr zu bewältigen. Vor allem die technische Infrastruktur für Streaming-Dienste verbraucht eine beträchtliche Menge an Energie. Der Energieverbrauch des Internet produziert in etwa dieselbe Menge an CO2 wie der weltweite Flugverkehr pro Jahr.

Auch für viele Niedriglohn-Arbeiter*innen aus der digitalen Wissensproduktion könnte es lukrativer sein, die täglichen 100 Euro Unterlassungsprämie anzunehmen, als um einen Job zu kämpfen, der ohnehin schon scheibchenweise von KI-Sprachmodellen übernommen wird.

Sich der Mittel der Klimaproduktion zu bemächtigen erfordert hier keinen Aufstand, keine kräftezehrenden Aktionen oder übermenschliche Anstrengung, sondern vielmehr die konsequente Sturheit des passiven Widerstands. Aber auch hier stellt sich die Frage, wer es sich leisten kann, aus der digitalen Welt auszusteigen. Nicht nur dem Entertainment-Angebot zu entsagen und auf das Doomscrolling oder den Konsum von Memes zu verzichten, sondern auch die digitale Sichtbarkeit im sozialen Umfeld, die Pflege des beruflichen Profils und der professionellen Netzwerke zu negieren. Von den Vorteilen der Bonusprogramme erst gar nicht zu sprechen. Wer kann sich diese Abwesenheit vom Internet als Arbeitsplatz – und diese neue Form der Privatsphäre – überhaupt leisten?

Universelles Grundeinkommen?

Was wäre, wenn der Staat einfach jeder Bürgerin, jedem Bürger, ein Grundeinkommen auszahlen würde? Würde dies den Arbeitsmarkt nicht merklich verändern?
Ein Grundeinkommen ist eine regelmäßige Barzahlung, die bedingungslos an alle Menschen auf individueller Basis ohne Bedürftigkeitsprüfung oder Arbeitsanforderungen ausgezahlt wird. In Berlin gab es im Jahr 2022 den Versuch eines Volksentscheids für einen ModellversuchfüreinbedingungslosesGrundeinkommen, der jedoch nicht die notwendige Zahl an Unterschriften aufweisen konnte. Immerhin 125.000 Bürger*innen unterstützen das Team “Mein Grundeinkommen”, das den Volksentscheid initiiert hat.

Auch beim Thema Grundeinkommen gibt es verschiedene Meinungen und Haltungen. Manche sehen hier den Staat in der Pflicht, andere versuchen, Modelle eines Grundeinkommens aufzubauen, die auf digitalen Token oder Community-Währungen basieren, wie etwa die Berliner Genossenschaft CirclesCoop, die auf Basis der Digitalwährung CRC ein community-basiertes Zahlungsmittel zum Tausch von Produkten des täglichen Lebens und Dienstleistungen bereitstellt. Ein wachsendes Netzwerk von Business-Partner*innen aus Berlin ist dabei und ermöglicht es, sowohl auf den monatlich stattfindenden Märkten oder auch online über den CirclesMarktplatz einzukaufen.

Doch können solche Projekte dazu beitragen, Arbeit neu zu organisieren? Wenn ja, wie?

Eines der häufig genannten Argumente ist, dass ein Grundeinkommen eine sichere finanzielle Grundlage bieten, zu einer Flexibilisierung des Arbeitsmarktes beitragen und die Einkommenssicherheit verbessern könnte. Ein Grundeinkommen könnte außerdem auch Wahlmöglichkeiten bei der Anzahl der Arbeitsstunden schaffen und ermöglichen, dass individuelle Sorgearbeit so in das Arbeitsleben integriert werden kann, dass beispielsweise Kinder betreut oder Angehörige gepflegt werden können, ohne sich ständig zwischen den unvereinbaren Fronten „Erwerbsarbeit und Sorgearbeit“ zerreißen zu müssen.

Bei allen augenscheinlichen Vorteilen gibt es jedoch auch fundamentale Kritik am Grundeinkommen: Linke Theoretiker*innen vertreten den Standpunkt, dass dieser Ansatz nicht weit genug geht, dass er die neoliberale Logik nicht grundlegend hinterfragt und das Problem nur verschiebt – sie fordern entsprechend ein universelles Grundauskommen: lebenswichtige Services wie Bildung, Wohnung, Nahrung, Gesundheitsversorgung, Strom, Tranport, etc.

Ökonom*innen, Verfassungsrechtler*innen oder auch Politiker*innen warnen wiederum vor einem unkalkulierbaren Kostenrisiko und der Schaffung von neuen Ungleichheiten durch das Gießkannenprinzip der Geldausschüttung. Die taz hat die realpolitischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge in Verbindung mit den verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten in der Bundesrepublik in ihrer ganzen Komplexität dargestellt.

Spätestens nach diesen Lektüren wird klar: Selbst wenn der Volksentscheid die notwendige Anzahl von Stimmen erlangt hätte, wäre die Einführung eines Grundeinkommens innerhalb unseres existierenden politischen und wirtschaftlichen Systems kein Selbstläufer. Wenn nun also weder die traditionelle Erwerbsarbeit, noch der Verzicht auf Arbeit oder die Absicherung durch ein Grundeinkommen den Arbeitsmarkt in Richtung Nachhaltigkeit zu reformieren vermag, wie können wir dann die Zukunft von Klima und Arbeit modellieren?

Arbeit anders organisieren?

Mit dem Erstarken der digitalen Plattformökonomie im Laufe der letzten fünfzehn Jahre hat sich ein grundlegender Wandel der Arbeit und ihrer Produktionsmittel ereignet. Es entstanden neue Beschäftigungsformen auf digitalen Plattformen wie Uber, Mechanical Turk oder Deliveroo. In dem Report ArbeiteninderDigitalökonomie der Hans-Böckler-Stiftung wird diese Form der Beschäftigung als “digitales Tagelöhnertum” bezeichnet.

Das Interesse an genossenschaftlich geprägten Internet-Plattformen wurde vor allem durch den wachsenden Widerstand gegen die Sharing Economy angetrieben, die anhand von Geschäftsmodellen wie TaskRabbit gezeigt hatte, dass die neue Digitalökonomie nicht nur zu mehr Convenience und besseren Angeboten, sondern zu einer fortschreitenden Versklavung und Prekarisierung führte. Um das Jahr 2015 herum wurde klar, dass digitale Apps teilweise die Kontrolle über die traditionellen Arbeitsmärkte übernommen hatten. Diese neue „Arbeit auf Abruf“ geht mit einem Verlust von Arbeiter*innenrechten, sozialer Absicherung und dem Verschwimmen der Grenze zwischen Arbeit und Freizeit einher.

Im November 2015 fand an der New School in New York die erste internationale Konferenz zum Thema „Platform Cooperativism“ statt. Sie legte den Grundstein für ein ökonomisches Modell, in dem erfolgreiche Plattformen kopiert und genossenschaftlich nachgebaut werden: Geteiltes Eigentum, gemeinsame Steuerung und kollektive Wahrung der Interessen der Arbeiter*innen bildeten den Kern dieses neuen Unternehmensmodells.

Ausgehend von Plattform-Monopolisten wie Uber entstanden zahlreiche lokale, selbst verwaltete Fahrdienste. Fahrradkuriere begannen sich zusammenzuschließen und den großen Lieferservices den Rücken zuzukehren. Ausgehend von Airbnb entwickelte sich Fairbnb, ein Kurzzeit-Übernachtungsservice, der von Stadtverwaltungen und lokalen Gremien gemeinsam organisiert wurde. In dieser neuen kooperativen, digitalen Ökonomie organisiert sich ein Kollektiv von gleichberechtigten Mitgliedern auf der Basis von genossenschaftlichen Strukturen.

Wollen „wir“ das? Können „wir“ das?

Die Arbeit wird gemeinschaftlich organisiert, die Arbeiter*innen haben Kontrolle über die Produktionsmittel, wie beispielsweise die Software und sie verständigen sich auch in regelmäßigen Zusammenkünften über die Werte des Unternehmens und die strategischen Ziele. Solche Plattform-Kooperativen legen den Fokus ihrer Arbeit immer mehr auf den Schutz des Klimas und beschäftigen sich mit der Frage, wie man wirtschaftlich im Sinne der Mitglieder handeln kann, gleichzeitig aber auch radikal im Sinne der Umwelt.

Es versteht sich fast von selbst, dass solche Kooperativen, die nicht auf “billige Arbeit” oder “billigem Land” basieren, am globalen Markt kaum wettbewerbsfähig sein können. Und doch liegt in dieser neuen wirtschaftlichen Kultur das Potenzial der Arbeit der Zukunft. Zumindest, wenn wir die Zukunft alternativ zum destruktiven Status Quo des Kapitalismus gestalten wollen. Wir müssen also dafür kämpfen.

Die große Frage ist, wie Menschen befähigt werden können, innerhalb kooperativer Strukturen gemeinsam zu denken und zu handeln. Es geht letzten Endes um die Kultivierung eines kooperativen „Wir“, um die Aneignung neuer Prinzipien und Strukturen der gemeinsamen Steuerung. Re-Organisation von Arbeit bedeutet nämlich nicht nur, neue Organisationsmodelle zu erfinden, sondern die Arbeit von den Bedürfnissen des Kollektivs und der Umwelt her zu denken. Bewusste und nachhaltige Klimaproduktion heißt Schaffung und Sicherung von gemeinsamen Räumen, in denen menschliche und nicht-menschliche Arbeit in einem ausgewogenen, auf gegenseitige Reproduktion angelegten Verhältnis zueinander stattfinden kann.

Diese Räume können in Kämpfen entstehen. Kämpfen, in denen Umwelt- und Arbeitsanliegen zusammengedacht werden und ein neues, kooperatives „Wir“ entsteht. Das ist keine Zukunftsmusik. Diese Kämpfe finden längst statt. Ich hoffe, dass mein Text dazu beiträgt, dass sie sichtbarer und vielleicht noch bewusster geführt werden.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text ist ein Beitrag zur “Allied Grounds”-Textreihe der Berliner Gazette; die englische Fassung finden Sie hier. Weitere Inhalte finden Sie auf der “Allied Grounds”-Website. Schauen Sie mal rein: https://berlinergazette.de/de/projects/allied-grounds

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