Nach dem Mauerfall von 1989 hieß es: Es gibt keine Alternativen zum Kapitalismus. Jetzt, inmitten einer großen Krise dieses ökonomischen und politischen Systems, kommen ausgerechnet in Griechenland neue Utopien auf. Sie beschwören zwar keinen neuen Kommunismus, aber eine Gesellschaft, die basierend auf Gemeingütern, genannt Commons, neu geordnet werden soll. Der politische Ökonom Vasilis Kostakis kommentiert.
*
Syriza ist jene linke Partei, die in Griechenland kürzlich die Wahlen gewonnen hat und die es geschafft hat, eine Regierung zu bilden – und zwar mit der nationalkonservativen und rechtspopulistischen Anexartiti Ellines: den Unabhängigen Griechen. Es sind haufenweise Artikel über die neu gewählte Regierung erschienen. Speziell über ihre Strategien, mit den Schulden des Landes und der Austeritätspolitik umzugehen. Wird die EU schließlich dem Druck nachgeben und die verordneten Sparmaßnahmen beenden? Wenn ja, in welchem Ausmaß? Und ist Grexit – das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone – eine Option? Wenn ja, wie geht es dann weiter?
An dieser Stelle geht mir nicht darum, auf all diese Fragen einzugehen. Stattdessen möchte ich neue Fragen aufwerfen. Fragen, die in den Mainstream-Medien noch nicht gestellt oder nicht angemessen diskutiert werden – obwohl sie von Syriza explizit aufgeworfen worden sind (sogar noch vor den Wahlen): Was ist der Plan für die wirtschaftliche Entwicklung? Wie könnte eine Alternative aussehen?
Alles nur Interimslösungen?
Ich sehe dafür einen Ausgangspunkt in der Gedankenwelt von John Restakis, der gegenwärtig Syriza berät. Er hat kürzlich für CommonsTransition.org einen denkwürdigen Beitrag verfasst. Der Titel lautet “Civil Power and the Path Forward for Greece” (lesen Sie hier). Er verweist darin auf den Zynismus und Fatalismus innerhalb der Gesellschaft Griechenlands während der Spar-Ära, um uns vor Augen zu führen, wie wichtig die soziale Ökonomie für Syrizas Pläne ist, die Wirtschaft des Landes auf einen neuen Boden zu stellen.
Einer seiner Leser greift diesen Gedanken auf und erweitert ihn mit einer ambitionierten Frage: “Im Kontext der Sparpolitik haben wir vor allem in Südeuropa neue Formen der ökonomischen Organisation von unten aufkommen sehen. Handelt es sich dabei um vorübergehende Antworten auf die Notlage oder um erste Grundlagen für neue Formen von Produktion, Konsum und Austausch?” (“in the context of austerity, notably in Southern Europe, new forms of social enterprises have emerged. But are they ad-hoc and temporary solutions to shortages, or really the first signs of a new ways of producing, consuming and exchanging?”)
Ich behaupte (und hoffe), dass Letzteres zutrifft. Ich glaube, dass die neuen Formen von Selbstorganisation in der Krise, bisweilen als survival economies bezeichnet, mehr sind als ein temporäres Phänomen. Mehr als eine Übergangslösung. Vielmehr weisen sie deutliche Züge einer neu entstehenden Landschaft auf, für die wiederum Syriza ein fundiertes und gut dokumentiertes Set von politischen Ansätzen entwickelt hat. Um es geradeheraus zu sagen: Hier geht es darum, wie wir die Ökonomie (und die Gesellschaft als Ganzes) auf der Basis von Commons neu ordnen.
Alles auf der Basis von Commons neu ordnen
Um ein Beispiel zu geben: Vor den Wahlen hat Andreas Karitzis, Mitglied in Syrizas Think Tank zu Digital Policies, einen Artikel in der griechischen Version der Huffington Post veröffentlicht, in dem er das Bekenntnis seiner Partei zu Open Source Technologien, Transparenz und partizipativer Demokratie reflektiert. Karitzis sagt darin etwa, dass Syriza sich dafür einsetzen will, Freie Software im öffentlichen Sektor zu etablieren sowie die Bereitstellung von öffentlichen Daten unter Commons-Lizenzen einzuführen. Darüber hinaus erkennt er nicht nur den Wert von Freien/Open Source-Technologien allgemein an, sondern auch die kollaborativen Prozesse, die dahinter stehen.
Später, in einem öffentlichen Dialog mit der Athener Nichtregierungsorganisation EEL/LAK, hat Karitzis Stellung bezogen zu Forderungen nach Open Governance und Commons. Er hat sich explizit über das Ziel seiner Partei geäußert, Copyfair-Lizenzen für Open Hardware einzuführen und die Entstehung von Mikro-Fabriken zu unterstützen (so genannten Fablabs und Makerspaces). Alles in allem Anliegen einer politischen Agenda, bei der Commons im Mittelpunkt einer ökonomischen und sozialen Neuordnung stehen.
Gibt es einen Plan?
Vergangene Woche bei einer Debatte im Parlament: Giannis Dragasakis, der der stellvertretende Ministerpräsident in der Regierung von Alexis Tsipras ist, hat ausdrücklich neue Produktionsmodelle propagiert, die Graswurzel-Ansätze verfolgen und Commons-basiert sind, die zudem global ausgerichtet sind und die Griechenlands Entwicklung katalysieren sollen.
Kurz, es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass Syriza politische Richtlinien entwickelt und Gesetze reformiert, um in Bereichen wie Bildung, Forschung und Entwicklung sowie Staatsführung ein Commons-basiertes Ökosystem zu erschaffen – zusammen mit p2p-Theoretiker Michel Bauwens habe ich dafür übrigens den Begriff Partner State Approach entwickelt.
Um einige der wichtigsten Bausteine zu nennen:
– Öffnung öffentlicher Daten
– Bereitstellung jenes Wissens, dessen Herstellung mit Steuergeldern finanziert wurde
– Erschaffung einer kollaborativen Umgebung für KleinunternehmerInnen und Kooperativen
– Unterstützung von Initiativen, die auf Open Source Technologien und Praktiken bauen
– Entwicklung von partizipativen Prozessen (und Stärkung solcher, die bereits existieren) für Bürgerbeteiligung bei der Ausgestaltung von Politik
– Einführung von offenen Standards und Mustern für die öffentliche Verwaltung und Bildung
In meinen Augen haben diese Pläne und Initiativen zwei verschiedene Funktionen. Erstens bereiten sie den Nährboden für ein neues Modell ökonomischer Entwicklung. Zweitens bieten sie Lösungen an, um die politisch-ökonomischen sowie strukturellen Probleme des Landes zu überwinden. Sie machen es unter anderem möglich, Korruption zu Tage zu fördern und zu kontrollieren oder die Steuerbeflissenheit der BürgerInnen zu verbessern.
Sicherlich sind es einige große Schritte, die wir vom Programm bis hin zur Implementierung machen müssen. Dennoch sind die ersten Maßnahmen bereits eingeleitet worden: Syriza scheint sich nicht nur bewusst sein, welche Vorteile Open Source Technologien bieten. Sondern auch zu realisieren, welches Potenzial die neue politische Ökonomie dieses emergierenden Produktionsmodells hat. Insofern stellt sich die Frage: Wird Syriza alle nötigen Grundlagen schaffen, um den Übergang eine Commons-basierte Gesellschaftsordnung einzuleiten? Wird man es zulassen, dass Syriza dieses große und wichtige Vorhaben umsetzt?
Anm.d.Red.: Der Beitrag ist in englischer Sprache unter dem Titel “Syriza’s new plan for economic development: a Commons-oriented economy?” verfügbar. Dieses Jahr findet das Commons Festival vom 15.-17.5. in Athen statt. Die Fotos oben stammen von striatic und stehen unter einer Creative Commons Lizenz.
Krugman: Griechische Wirtschaft durch Austerität so zerstört wie deutsche durch 1. Weltkrieg:
“Weimar and Greece, Continued”
http://mobile.nytimes.com/blogs/krugman/2015/02/15/weimar-and-greece-continued/?module=BlogPost-Title&version=Blog%20Main&contentCollection=Opinion&action=Click&pgtype=Blogs®ion=Body&_r=0&referrer=
Wer von Austerität redet, hat keine Ahnung.
Griechenland könnte ja statt “Austerität” eine Wachstumspolitik machen und sich zu 20% Zinsen dafür am Kapitalmarkt leihen. Das es nicht funktioniert unter diesen Marktbedingungen, ist klar. Dass es schlechte Analyse ist gegen jene Gläubigerstaaten zu polarisieren, die zu besseren Konditionen als die Kapitalmärkte leihen, das ist auch evident. Dieser Staat ist am Ende, weil seine politische Klasse sich dumm stellt und niemand Verantwortung übernimmt.
@#4: es ja vielleicht doch nicht der richtige Platz, um über die Ursachen der wirtschaftlichen Lage Griechenlands zu streiten. Das ist eine komplexe Angelegenheit- und um die dreht es sich ja auch nicht hier oben in dem Artikel.
Was mich besonders irritiert aber ist folgendes: wenn ich erkenne, dass die politische Klasse versagt (übrigens nicht nur dort), dann einen Artikle lese (wie hier oben), in dem es um die Leistungen der Bürger, der sozialen Bewegungen und der Grundlagenarbeit für eine Commons-basierte Ökonomie — wie kann ich mich dann zu einem Kommentar zur Sparpoilitk-Debatte hinreissen lassen? statt den eigenen Gedanken konsquent weiter zu verfolgen: was passiert, wenn die politische Klasse versagt? was können dann andere noch machen? und dann die Anregungen des Texts ernst nehmen, wie wäre es damit?
#5 Zunächst einmal sollte man doch den Kampfbegriff der “Austerität” hinterfragen. Wenn die Prämissen nicht stimmen, stürzt der Bau ein.
Praktische was machen im Bereich Commons, nun warum nicht, aber was sind hier die Vorverständnisse? Zum Beispiel, dass Gemeingüter irgendwie besser als Privatgüter sind.
es ist seit langer zeit kein geheimnis mehr, dass in G viele leute, viele interessante und innovative dinge tun, in kollektiven, in selbstorganisation, um den verhältnissen zu trotzen. was jetzt geschieht und was die neue regierung versucht zu machen, das könnte man als formalisierung bezeichnen. als überführung der initiativen in institutionelle formen. das ist ein heikler schritt. viele intiativen leben von ihrer spontanität und ihrem informellen charakter. ich möchte den leuten alles gute wünschen! sie haben einen erfolg verdient!
@André: geht es hier wirklich um so Grundsätzliches auf der Ebene von Begriffen und Ideen? Ja, man sollte vorsichtig mit Sprache umgehen, aber: Geht es nicht vielmehr um pragmatische Ansätze, die aus der Patsche helfen? Gemeingüter können in Griechenland offenbar einen Ansatz bestimmen helfen, der jetzt, zu dem was da bottom up gewachsen ist in den vergangenen Jahren, Größeres bewirken könnte.
@Rainald: Ich bin sehr für Pragmatimus. Man sollte nicht wie Marx gegen Gothaer Programm sich im Rechthaben verschwenden sondern auf das fokussieren, was zielführend ist. Dennoch: Reflektieren wir ausreichend unsere Vorverständnisse? Warum sind Gemeingüter so begrüßenswert für uns?
Ich hoffe, dass ganz viel von dem Geplanten umgesetzt wird.
apropos Pragmatism: “recuperated workplaces develop a new kind of relationship with the community. Do you think this is something that’s typical right now?”
Workplaces in Europe have become dedicated to a different kind of production that is environmental and ecological. Fralib, in Marseilles, makes tea now that is all-organic. In Greece as well, they’ve [recuperated workplaces] have started to talk with the community about what they’d like to see the workplace doing. Here’s a similar example: In so many places of crisis, people organise direct producer/consumer networks, so people from the countryside grow products, bring them directly into the city and sell them directly, cutting out the intermediary. What’s starting to happen, also in Greece, is that political activists have invited anyone who lives nearby to be a part of the discussion on what they plan to consume for the next year. And then the growers can plant based on this conversation. So it’s a kind of future-looking thinking about re-organisation of society. You start to think about an economy really, a whole different conception of society.
http://www.exberliner.com/features/lifestyle/slow-politics-marina-sitrin/
Persönlich halte ich die genannten Maßnahmen für angemessen und aussichtsreich. Was Griechenland betrifft dürfte es seit spätestens 2010 evident sein, dass die ökonomische Analyse ausgehend von der Makroebene allein nichts fruchtet.
Fakt ist nun mal, dass die griechischen Bürger mittels gekürzten Gehältern und Renten, sowie gestrichener Krankenversicherung und einer haarsträubenden Arbeitslosenrate für Entscheidungen büßen müssen, die nicht sie, sondern die politische Schicht und die Banken des Landes getroffen haben. Im Angesicht der Tatsache, dass die öffentlichen Finanzen und die Verwaltung trotz der Umstände noch immer kaum überwacht werden, ist es meiner Meinung nach verblüffend, dass ein System von zwangsläufiger Transparenz nicht schon viel früher eingeführt worden ist.
Indem man dem geschundenen griechischen Bürgertum den erweiterten Zugang zu Allgemeingütern gewährt und auf politische Bürgerbeteiligung setzt, gibt man ihm einen Teil seiner Souveränität zurück. Wie der Autor auch schon vermerkt, könnte mithilfe von Zugang zu öffentlichen Daten, Open Source Technologien und einer offenen Darlegung dessen, was mit den Steuergeldern passiert, endlich der der ungezügelten Korruption ein Ende gesetzt werden.