Die Arbeitswelt wird automatisiert, Jobs gehen verloren. Derweil findet die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens neue Fürsprecher (vom Silicon-Valley-Dandy bis zum Berliner Startup) und neue Wege, um in die Welt zu kommen: Etwa per Crowdfunding Geld sammeln und dann als monatliches Grundeinkommen verlosen. Hat hier die neoliberale Idee von der Ich-AG gewonnen? Oder hat das alles auch ein emanzipatorisches Potenzial? Berliner Gazette-Autor Timo Daum kommentiert.
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Telekom-Chef Höttges hatte im Dezember 2015 im Interview mit der ZEIT den Anfang gemacht: in einem ausführlichen Interview präsentierte er sich als Wirtschaftsführer ganz neuen Stils: belesen und bescheiden. Er brach eine Lanze für das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) und holte das Konzept damit aus der linksalternativen Ecke. Angesichts bevorstehender Veränderungen von Arbeitswelt und Gesellschaft durch die digitale Revolution seien “unkonventionelle Lösungen” zum Erhalt der Sozialsysteme erforderlich, die durch den massiven Wegfall von Arbeitsplätzen gefährdet seien.
“Es könnte eine Lösung sein … in einer Gesellschaft, die sich durch die Digitalisierung grundlegend verändert.” Und weiter: “Ein bedingungsloses Grundeinkommen kann eine Grundlage sein, um ein menschenwürdiges Leben zu führen“, konstatierte er. Finanziert werden könne das Grundeinkommen durch die Besteuerung der Gewinne großer Internetkonzerne: “Wenn Produktivität zukünftig vor allem an Maschinen und die Auswertung von Daten gekoppelt ist, könnte die Besteuerung stärker auf den darauf beruhenden Gewinnen aufbauen und weniger auf der Einkommensteuer des Einzelnen”
Die neuen Fürsprecher
Nachdem das bedingungslose Grundeinkommen schon auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos auf der Agenda stand, gewinnt es nun auch international an Fürsprechern. Niemand geringeres als Elon Musk, Tesla-CEO und Liebling der kalifornischen Hi-Tech-Szene äußerte sich folgendermaßen: “There’s a pretty good chance we end up with a universal basic income, or something like that, due to automation.”
Ähnlich argumentiert auch der Journalist Paul Mason. In seinem Anfang des Jahres erschienenen Plädoyer für ein “Jenseits des Kapitalismus” argumentiert er, die Verbreitung der Informationstechnologien könne keinen „neuartigen, stabilen Kapitalismus“ zur Folge haben. Der Siegeszug von Algorithmen und Plattformen führe im Gegenteil zur Zersetzung von Marktmechanismen, zur Aushöhlung von Eigentumsrechten und zur Zerstörung der Beziehung von Einkommen, Arbeit und Profit. Durch die Digitalisierung gerate der Kapitalismus an seine Grenzen.
Wenn Algorithmen bald alle arbeitslos machen, komme das Grundeinkommen gerade recht: “Um von der Automatisierungsrevolution profitieren zu können, brauchen wir ein universelles Grundeinkommen, kürzere Arbeitszeiten und eine Neudefinition von uns selbst ohne Arbeit.” Für Mason ist das Grundeinkommen das Sozialsystem für das 21. Jahrhundert und die dem digitalen Kapitalismus angemessene Form der sozialen Marktwirtschaft.
Selbst der scheidende Präsident Barack Obama deutete im Interview mit dem Silicon-Valley-Tech Magazin WIRED an, die Herausforderungen durch die Automatisierung mache ein System wie das Grundeinkommen nötig. Im Gespräch mit Chefredakteur Scott Dadich und dem Direktor des MIT Media Labs, Joi Ito, prognostizierte Obama, dass das Thema in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren debattiert werden dürfte.
Grundeinkommen: Ein alter Hut
Die Idee des Grundeinkommens ist verblüffend alt. Ein erstes whitepaper hatte schon Thoma Paine 1795 für das Direktorium der französischen Revolutionsregierung verfasst und darin das Konzept einer citizen‘s dividend (Staatsdividende) dargelegt. Und der zu den utopischen Sozialisten zählenden Belgier Joseph Charlier entwarf 1848 das Konzept des „revenu garanti“, eines staatlich garantierten „Minimums“. Den Wirtschaftsliberalen par excellence Milton Friedman würde man nicht unter den Befürwortern eines Grundeinkommens vermuten, und doch gehört seine „negative Einkommensteuer“ dazu: ein extrem deregulierte, wirtschaftsliberales Bürgergeld.
Gemeinsam ist allen drei, dass von einem „Minimum“ gesprochen wird, einer Armutsgrenze, nicht etwa einer üppigen Abdeckung aller Bedürfnisse. Insbesondere bei Friedman steht die Abschaffung der lästigen Sozialsysteme im Vordergrund: Das Grundeinkommen soll die unterschiedlichen, bedarfsorientierten staatlichen Hilfen ersetzen, die ihm zutiefst zuwider sind. Bürokratie soll abgebaut werden, die Verwaltung unterschiedlicher Versicherungen und Sozialdienste eingespart werden und letztlich das Sozialsystem insgesamt privatisiert werden.
Die wirtschaftsliberale Variante á la Friedman zielt insbesondere darauf ab, die Verantwortung auf das Individuum abzuwälzen. Der Einzelne muss unternehmerisch handeln, mit dem Geld haushalten, kurz: Zum Verwalter der eigenen Armut werden. Denn über das BGE hinaus gibt es nichts mehr, wer damit nicht zurechtkommt, schaut in die Röhre.
Und in keinem dieser Modelle ist garantiert, dass der oder die Einzelne mit dem Minimum auch tatsächlich wird auskommen können, tatsächlich Lebensmittel, Wohnung, Versicherungen, Pflege wird bezahlen können. Von rechts ist das Grundeinkommen also ein neoliberales Mittel, sämtliche Sozialsysteme abzuschaffen, deren Verwaltung einzusparen und gesellschaftliche Risiken in die Verantwortung der einzelnen Empfänger zu entlassen.
Auf der anderen Seite steht die linke, emanzipative Idee, die Menschen vom Zwang, ihre Arbeitskraft verkaufen zu müssen, zu entlasten. Diese Strömung hat ihre Wurzeln in der Erkenntnis Paul Lafargues, dass die Automatisierung Arbeitsplätze koste, die dieser bereits 1880 in seinem Plädoyer für das Recht auf Müßiggang formuliert hatte. Dies sei kein Unglück, sondern eine Chance zur Befreiung vom Arbeitszwang.
Die linke Variante des BGE geht davon aus, ein bedingungslos und sanktionsfrei ausgezahltes Bürgergeld möge allen ein menschenwürdiges Leben und echte Teilhabe garantieren. Angedacht wird ein Leistungsniveau, das deutlich über dem Sozialhilfesatz liegt, die Rede ist von ca. 1.000€ monatlich – man will da ganz „realistisch“ bleiben. 5.000€ Grundeinkommen hat noch niemand gefordert.
Die Entkopplung von Erwerbstätigkeit und Auskommen und die damit verbundene Chance auf Autonomie und Selbstbestimmtheit ist – insbesondere im arbeits-protestantischen Deutschland – immer noch ein Tabu. Kein Wunder also, dass z.B. die Gewerkschaften dagegen sind.
Das Grundeinkommen hat auf Seiten der Linken durch das Phänomen „Armut trotz Arbeit“ Auftrieb erhalten. Auch beim klassischen Arbeitnehmerflügel beginnt die Erkenntnis zu dämmern, dass an der Grundsicherung was dran sein könnte: 3,4 Millionen Haushalte bekommen Hartz 4, davon 1,2 Millionen als Aufstocker. Immer mehr Kreative, Existenzgründer und prekär Selbständige erkennen im Grundeinkommen einen möglichen Rettungsanker für ihre unsichere Existenz.
Sozialstaat durch Crowdfunding – “meinGrundeinkommen”
Die Berliner Initiative meinGrundeinkommen hat die Debatte um das Bedingungslose Grundeinkommen befeuert, indem sie es einfach machen! Auf der Plattform, die vom jungen Online-Unternehmer Michael Bohmeyer ins Leben gerufen wurde, wird so lange Geld gesammelt, bis 12.000 Euro zusammengekommen sind, die dann verlost und in 12 Monatsraten ausgezahlt werden. Die Macherinnen und Macher versprechen sich davon, die Diskussion dieser Frage einen Schritt weiter zu bringen, Erfahrungen zu sammeln und eine kritische Masse zu erreichen. Bislang wurden so 70 Grundeinkommen vergeben.
meinGrundeinkommen versucht in einem Spagat zwischen Start-Up und NGO ein soziales Experiment: eine nicht-staatliche Organisation spielt Grundeinkommens-Glücksrad. Sie kollaborieren mit Getränkeherstellern (Grundeinkommen-Cola) und denken sich Kampagnen aus. Möglicherweise ist hier eine sonst im Silicon Valley angesiedelte Überzeugung am Werk: ein idealistisches Unternehmen kann das besser als der Staat.
Zum Mindset der digitalen Unternehmen gehört ja bekanntlich die Überzeugung, für jedes soziale Problem finde sich auch eine (technologische) Lösung. Und die überlässt man am besten denjenigen, die am Meisten davon verstehen: Den Daniel Düsentriebs der digitalen Unternehmen. Ist man in Berlin damit genau da gelandet, wo Milton Friedman das BGE haben wollte: als private Initiative, die den Sozialsektor übernimmt?
Die glücklichen Gewinner der Grundeinkommens-Verlosungen berichten in Interviews, wie sich der Bezug des Grundeinkommens auf ihr Leben ausgewirkt hat. Egal ob jemand in den Urlaub fahren, nichts tun, eine Firma gründen oder mehr Zeit mit der Familie verbringen möchte – alle haben die gleiche Chance. Die Mehrheit ist bemüht, die hinzugewonnene Freiheit „vernünftig“ zu investieren: In Bildung, in bewussteren Konsum, ökologischeres Einkaufen, mehr Zeit mit den Kindern verbringen, sich ehrenamtlich engagieren, Geld spenden.
Astrid L. z.B. würde Folgendes mit dem Grundeinkommen tun: “Mich losgelöst vom Gesundheitssystem um meine Gesundheit kümmern können (45 andere auch). Meine Ausgaben im Alltag unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit tätigen (34 andere auch). Ich würde meine Fortbildungen damit finanzieren und meine Selbstständigkeit voranbringen (45 andere auch).”
Ein Muster bevorzugten Verhaltens zeichnet sich ab. Alle haben viel unternommen und gut investiert. Mechanismen sozialer Kontrolle, Strategien der Selbstoptimierung und eine Bilanzierungslogik der eigenen Wertschöpfung scheint auch hier eine Art Protestantismus durch die Hintertüre einzuführen. Die Nutzung des BGE wird als individuelle Erfolgsgeschichte präsentiert. Bislang hat niemand, das Geld einfach ausgegeben oder sich einen schlauen Lenz gemacht, denkbar weit entfernt von einem Lob des Müßiggangs wie es sich etwa bei Lafargue findet.
Flatrate für Arme
Eine Studie des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit prognostiziert den Verlust von 1,5 Millionen Arbeitsplätzen in Deutschland, diese werden in den nächsten neun Jahren durch IT-Jobs ersetzt. In der Autoindustrie wird der Wandel besonders brutal: VW entlässt 30.000 Leute, die vornehmlich in der Produktion arbeiten, und stellt 5000 IT-Fachleute ein. Und die Gewerkschaft IG Metall fürchtet, dass 250.000 Arbeitsplätze in der Fertigung akut gefährdet sind, weil die Hinwendung zum Elektroauto diese überflüssig mache.
Was tun mit den Abgehängten dieser Entwicklung? Nach Höttges und Musk, spricht sich nun auch der Chef eines der “Giganten aus Stahl”, wie John-Perry Barlow die Unternehmen des industriellen Kapitalismus einst bezeichnete, für das Grundeinkommen aus. Siemens-Chiemens-Chef Kaeseref Kaeser: “Weil nicht jeder auf der Welt Software-Ingenieur ist, … werde eine Art Grundeinkommen völlig unvermeidlich sein”. Als Folge der Digitalisierung würden “absehbar Einige auf der Strecke bleiben, weil sie mit der Geschwindigkeit auf der Welt einfach nicht mehr mitkommen”, verkündete Kaeser.
Das sind neue Töne in der Grundeinkommens-Debatte. Die Verlierer der Digitalisierung sollen mit dem Grundeinkommen ruhiggestellt werden. Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann bezeichnete es kürzlich als “erschreckend”, dass Gewerkschaftsmitglieder überproportional oft AfD gewählt hätten. Hier geht es nicht mehr um linke Vorstellungen von Gerechtigkeit und Teilhabe noch um rechte Vorstellungen von Eigeninitiative und schlankem Staat. Das Grundeinkommen wird zum Instrument der Befriedung der Abgehängten, damit die Transformation der Gesellschaft in einen digitalen Kapitalismus reibungslos von Statten gehen kann.
Mein, Dein und unser Grundeinkommen
Wie wird das Grundeinkommen wohl aussehen, wenn es denn kommt? Linke Vorstellungen von Autonomie, selbstbestimmtem Leben, Befreiung von Sachzwängen, Arbeitsdruck und finanziellen Nöten werden wohl eher nicht im Mittelpunkt stehen.
Eine neoliberale Variante scheint wahrscheinlicher, in der das Grundeinkommen von den Einzelnen gemanaged werden muss wie ein Aktien-Portfolio. Die linksalternative Klientel von meinGrundeinkommen scheint diese Haltung bereits internalisiert zu haben.
Für diejenigen, die diesen Strategien hilflos gegenüber stehen, den Abgehängten der Digitalisierung wird das BGE dann zum Hartz 4 der kommenden Jahrzehnte. Alles dann ganz sanktionsfrei versteht sich, denn die Arbeit zu der man jemanden zwingen könnte, gibt es dann nicht mehr.
Anm. d. Red. Eine Diskussion zum bedingungslosen Grundeinkommen als neoliberale Idee finden Sie hier. Die Fotos stammen von Brian Donovan und stehen unter einer Creative-Commons-Lizenz.
In Saudi Arabien gibt es quasi ein Grundeinkommen. Das funktioniert allerdings nur in Form eines streng abgeschotteten Staates. Das können wir ja nicht machen. Dennoch kann Grundeinkommen auch “freie U-Bahn” heißen.
Wegen der Inflation, die unweigrlich kommen würde, wenn man das Geld mit der Giesskanne ausschüttet, kann es ein BGE nur mit einer ganzen Reihe flankierender Massnahmen geben, z.B. einer strengen Regulierung von Mieten, am besten Überführung aller Privatgrundstücke in ein Erbpacht-System.