Im Sandkasten der Demokratie: Die Konsequenzen von Populismus und Vetternwirtschaft

Nach den weltweiten Protesten der vergangenen zwei Jahre hat die Delegitimierung politischer Strukturen eingesetzt. Volksvertreter vertreten nicht mehr die Bürger, sondern die Interessen der Wirtschaft. Jene baute im Sandkasten der Demokratie die Burgen der Volksrepräsentanten. Aktivist und Philosoph Tomislav Medak beschäftigt sich im zweiten Teil seines Essays mit den Konsequenzen für Politik und Wirtschaft auf nationaler und internationaler Ebene.

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Als Hauptgrund für die Legitimitätskrise der alten Form von politischer Parteienrepräsentation und Parlamentswahlen sehe ich den historischen Prozess der letzten 40 Jahre. Die traditionellen Parteien sahen ihre sozialen Wahlkreise und Basen als Arbeit an. Doch die traditionellen Gesellschaften werden entwurzelt, erodiert und ausgehöhlt durch die Prozesse der sozioökonomischen Transformation: durch Modernisierung, erhöhte Mobilität, Verlagerung der Produktion, Flexibilisierung der Arbeit, Prekarisierung von Arbeitskraft.

Während die politische Parteien früher in ihre Wahlkreise gehen mussten um die Zustimmung für ihre politischen Strategien zu erhalten und um eine breite Basis von Unterstützern zu bekommen, die helfen, diese Pläne in die Tat umzusetzen, haben sie jetzt niemanden mehr, zu dem sie gehen müssen.

Ihre Worte sind nicht mehr im Alltag und der sozialen Realität verankert. Ihre politischen Aktivitäten entstehen nicht mehr aufgrund eines basisdemokratischen Willens- und Bauprozesses in den Reihen der Partei. Politische Parteien sprechen nicht mehr zu ihrer politischen Basis, sondern zu Zielgruppen, zur flüchtigen öffentlichen Meinung, um sie von ihrer politischen Agenda zu überzeugen.

Versprechen auf Versprechen

Im Zuge dieser Transformation (die man auch Berlusconismus nennen kann) der Partei als sozialem Prozess hin zu einer Partei als Medien-Projekt, verlieren wir uns in zwei wirksamen politischen Schlingen zwischen dem sozialen Bereich und dessen gewählten politischen Vertretern. Die erste Schlinge zwingt Politiker, zweideutige politische Aussagen und widersprüchliche Versprechungen zu machen, die die Meinung der Zuschauer vor ihren Fernsehern oder Computer-Bildschirmen von Sympathie in Antipathie, von Neigung in Abneigung ändern.

Solche politischen Prozesse sind eine Gratwanderung affektiver Politik, ein Null-Summen-Spiel, wo auf Aussagen keine Aktion folgen sondern nur neue Aussagen. Auf Affekte müssen neue, noch stärkere Affekte folgen. Daraus resultiert eine neue Art von Populismus. Ein Populismus, in dem affektive Politik vollständig losgelöst steht von der politischen Aktion und forciert wird, immer neue Affekte zu bringen.

Die zweite Schleife im Rahmen dieser Umlagerung der liberalen Demokratie entsteht aus der Tatsache, dass die politischen Akteure den instabilen Strom von affektiver Zuneigung zu Abneigung ausgleichen müssen, um sich an der Macht zu halten, um sich ihre Präsenz in der Öffentlichkeit und ihre finanzielle Unterstützung zu sichern.

Populismus und Vetternwirtschaft

Sie müssen sich immer stabilere Strategien außerhalb der Sphäre der medialen Aussagen gegenüber dem Volk aufbauen, so dass die Beteiligung der Öffentlichkeit unnötig wird. Sie suchen Allianzen mit privaten Interessenten, Unternehmern, Investoren, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Verlagen, etc. Der Populismus geht Hand in Hand mit der Vetternwirtschaft und dies ist nicht nur eine zufällige Entwicklung, sondern etwas, das strukturell zusammenhängt.

Im Zusammenhang mit der Debatte über neue Formen und Instrumente der Kommunikation, müssen wir ein Paradoxon erkennen: In Zeiten des Internets erleben wir eine radikale Demokratisierung der öffentlichen Rede. Jeder kann offen sprechen und der öffentliche Raum wird immer wieder überschwemmt von Kommentaren und politischen Aussagen. Dabei können wir beobachten, dass die Domäne der politischen Macht zunehmend losgelöst wird von Kommunikation, sie sich letztlich aus der Öffentlichkeit zurückzieht und dabei mehr Spielräume hat als je zuvor.

Wenn man versucht, diese wirtschaftlichen Prozesse der Sozialpolitik einzuordnen, arbeiten diese Fehlentwicklungen von politischer Repräsentation Hand in Hand mit den Grenzen der Institutionen des politischen Systems im post-nationalen wirtschaftlichen Kontext. Der Begriff der nationalen Wirtschaft in Bezug auf wirtschaftspolitische Instrumente, die einzelnen Staaten zur Verfügung stehen, hat eine sehr viel begrenztere Bedeutung und operative Anwendungsmöglichkeit als sie in einem viel weniger integrierten Weltsystem haben sollte. Dies ist insbesondere in kleineren und abhängigen Volkswirtschaften in der Peripherie der Fall.

Lösungen für absackende Volkswirtschaften?

Zum Beispiel ist das kroatische Bankensystem heute zu 95 Prozent in ausländischem Besitz und das ökonomische System ist zutiefst abhängig vom Euro, da Einsparungen und Transaktionen häufig in Euro erfolgen. Und während der Finanzsektor aufgebaut wird, läuft die Industrie auf Grund. Der Raum zum Manövrieren ist sehr begrenzt und die Volkswirtschaft wird diesen Einschränkungen oft nicht gerecht.

Gerade in der aktuellen Dynamik der wirtschaftlichen Krise, in der Entscheidungen sehr ungewissen Ausgang haben, wird die politische Klasse in erster Linie die Meinung der Wirtschaftsexperten achten – die sich allerdings auch nicht ganz sicher sind, was die Folgen der einzelnen wirtschaftspolitischen Entscheidungen sein werden. Unter diesem Druck, dringend Lösungen für die absackenden Volkswirtschaften zu finden, hat sich die politische Entscheidungsfindung entkoppelt von sozialen Entscheidungsprozessen, den Beratungen über einen allgemeinen Plan oder der gesellschaftlichen Entwicklungsrichtung.

Dies führte zu einer Situation, in der derzeit die dominierende politische Interpretation der Krise zu einem Problem des Staates wurde. Das bedeutet, dass Gesellschaften ihre Mittel verlieren und dass die öffentlichen Ausgaben gekürzt werden müssen, und nicht die von Finanzinstitutionen generierte, verschwenderische Verschuldung. Diese politische Lähmung wird da noch verschärft, wo internationale politische Integration und die damit verbundene rechtlich-administrative Rationalität – wie im Falle der Europäischen Union – schrittweise die Möglichkeiten der Nationalstaaten beschnitten haben, um wirksam mit Instrumenten der Wirtschaftspolitik zu handeln oder Volkswirtschaften und ihre sozialen Systeme zu schützen oder zu stärken.

Die Konsequenzen in der Zukunft

Jetzt erfordert die Lösung der wirtschaftlichen Krise und der schrecklichen Folgen für die Sozialpolitik die Entwicklung von Institutionen zur demokratischen Entscheidungsfindung und Sozialpolitik auf der Ebene des integrierten EU-Raumes. Andernfalls wird weiterhin das Wirtschaftliche vom Politischen und das Politische vom Sozialen entkoppelt.

So wurde die Legitimitätskrise freigelegt und radikalisiert durch die aktuelle Krise der Wirtschaftspolitik. Angesichts dieser wirtschaftlichen Integration sind die nationalen Volkswirtschaften innerhalb ihrer nationalstaatlichen Grenzen (der einzige geeignete Rahmen der demokratischen Entscheidungsfindung) unregierbar geworden.

Politische Entscheidungsträger werden nun zunehmend einen Jongleurakt an der höchst ungewissen Arbeit des Krisenmanagements vollführen, während sie nur den Wählerkreis des medialen Publikums ansprechen, das mehr denn je eine flüchtige und orientierungslose Meinung hat. Und dies ist ein sehr kritischer und potenziell explosiver Moment, der eine Neudefinition der demokratischen Prozesse bedeuten könnte, eine Verwandlung in etwas populistisches oder sogar eine Restauration von autokratischeren und nur nominell demokratischen Regierungssystemen.

Anm.d.Red.: Der Beitrag, dessen erster Teil hier erschien und dessen letzter Teil in den nächsten Tagen erscheint, entstand im Rahmen der Berliner Gazette-Konferenz Digital Backyards. Die Fotos stammen von Craig Wherlock und erscheinen hier mit dessen freundlicher Genehmigung.

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