Im Turbo-Modus: Wie die EU den Faschismus und Kapitalismus im Osten vorantreibt

Im Schnelldurchlauf wurden die Gebiete der ehemaligen osteuropäischen Staaten in den Kapitalismus “überführt”. 30 Jahre später ist überall im Osten unverkennbar, dass das Ganze kein Wohltätigkeitsprojekt Westeuropas war. Wie die Künstlerin und Philosophin Marina Gržinić zeigt, ist das ehemalige Jugoslawien ein Paradebeispiel für ein turbo-kapitalistisches Laboratorium, das durch EU-Interessen “reguliert” wird und deshalb so reibungslos funktioniert, weil man gleichzeitig auch den Prozess der Faschisierung auf “turbo” geschaltet hat. Ein wütender Zwischenruf.

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“We gonna smash their brains in / Cause they ain’t got nofink in ’em”
Linton Kwesi Johnson, 1979

Ich möchte nicht Teil einer “Black” Box sein, sondern der “faschistischen weißen (suprematistischen) Box der EU-Politik und -Realität” entgegentreten – der einzige Ort, an dem das Denken über Post-Jugoslawien möglich ist. Um die gegenwärtige turbo-faschistische Logik des gesamten Raums des nicht existierenden Post-Jugoslawiens zu verstehen, schlage ich vor, ein Diagramm zu betrachten. Es zeigt die zeitliche und räumliche Realität, die die Veränderungen im globalen neoliberalen Nekrokapitalismus hervorbringt. Wenn ich vor dem Hintergrund des vorliegenden Textes über meine früheren Arbeiten nachdenke, so erscheinen sie mir surrealistisch. By the way, als “surreal” werden Slawen im Allgemeinen wahrgenommen. Nichtsdestotrotz: Die starken Positionen der jüngeren Generation sind eine Kraft, die niemand auslöschen oder unter den Teppich kehren kann.

Die Wege des Turbo-Faschismus

Die ehemaligen osteuropäischen Staaten, vor allem das ehemalige Jugoslawien, ist ein turbo-neoliberales kapitalistisches Laboratorium, das die verstärkten Prozesse der Deregulierung, der Sozialisierung und der Nekropolitik innerhalb des globalen Kapitalismus weiterführt. Turbo-Faschismus war ein Begriff, der von Žarana Papić (2002) vorgeschlagen wurde, um in den 1990er Jahren auf dem Balkan, speziell in Serbien, hegemonialen Nationalismus zu konzeptualisieren. Also nationale Separatismen, chauvinistische und rassistische Ausgrenzung oder Marginalisierung von (alten und neuen) Minderheitengruppen.

Das alles sind Prozesse, die eng mit patriarchaler, diskriminierender und gewalttätiger Politik gegen Frauen und ihre bürgerlichen und sozialen Rechte verbunden waren und sind. Ich beziehe mich auf die Wortschöpfung der verstorbenen serbischen Theoretikerin und feministischen Wissenschaftlerin Žarana Papić, die den Prozess Ende der 1990er Jahre in Serbien mit den Worten beschrieb: “Ich bezeichne das frei als Turbo-Faschismus”.

Sie fährt fort: Es ist natürlich bekannt, dass Faschismus ein historischer Begriff ist; dass die Geschichte von Nazi-Deutschland nicht dieselbe ist wie die von Miloševićs Serbien. In der postmodernen und feministischen Theorie sprechen wir jedoch von “sich verschiebenden Konzepten”, wenn eine neue Epoche mit einigen Ergänzungen Konzepte erbt, die zu einer früheren gehören, wie der feministische Begriff des sich verschiebenden Patriarchats. Meiner Meinung nach sollten wir uns nicht vor der Verwendung “großer Begriffe” fürchten, wenn sie bestimmte politische Realitäten genau beschreiben. (Papić 2002)

Ich denke, dass das, was als die Hauptcharakteristika der turbo-faschistischen Elemente der postsozialistischen Übergangsstaaten gedacht ist, die auf einen voll entwickelten neoliberalen globalen Kapitalismus zusteuern (der seinen eigenen postmodernen Faschismus birgt), hervorragend auf den gegenwärtigen Moment vieler ehemaliger osteuropäischer Staaten, wie Slowenien, Serbien, Polen, Ungarn, Bulgarien usw., übertragen werden kann. Deshalb zitiere ich Žarana Papić Bezeichnung des Turbo-Faschismus im Präsens.

Empathie ist tabu

Sie konstatiert: Der serbische Turbo-Faschismus [sie bezieht sich speziell auf Serbien, aber wir können das auf die postsozialistischen ehemaligen osteuropäischen Länder und auch auf einige alte westeuropäische Länder ausdehnen] hat seine eigenen Konzentrationslager, seine eigene systematische Darstellung von Gewalt gegen Andere, seinen eigenen Familien- und Führerkult, eine explizit patriarchalische Struktur, eine Kultur der Gleichgültigkeit gegenüber dem Ausschluss des Anderen. Es wird sich auf verstärkt auf die eigene Vergangenheit bezogen; Empathie ist tabu, genauso wie Multikulturalismus; es gibt mächtige Medien, die als Befürworter des Völkermords auftreten; es gibt eine nationalistische Ideologie; eine epische Mentalität des Gehorsams gegenüber Autoritäten.

Die Vorsilbe “Turbo” bezieht sich auf die spezifische Mischung aus Politik, Kultur, “geistigen Kräften” und Massenarmut. Also eine Mischung aus ländlich und städtisch, vormodern und postmodern, Popkultur und Heldinnen, real und virtuell, mystisch und “normal” usw. In diesem Begriff steckt, trotz seiner naiven oder unschuldigen Erscheinungen, der Faschismus im eigentlichen Sinne. Wie alle Faschismen beinhaltet und zelebriert der Turbo-Faschismus eine pejorative Umbenennung, Entfremdung und schließlich Beseitigung des/der Anderen. Der Turbo-Faschismus verlangt und stützt sich im Grunde auf diese Kultur der Normalität des Faschismus, die schon lange vor all den Morden in den Kriegen strukturell konstituiert war. (Modifiziert von Gržinić, basierend auf Papić 2002)

Neue Räume für den Kapitalismus

Das oben erwähnte Diagramm trägt den Titel: “Ex-Jugoslawien in den Jahren 1990 bis 2009 – die Rolle Europas.” Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 hat sich die Rolle des “ehemaligen” Westeuropas (meine Anführungszeichen, denn so nennt sich Westeuropa gerne) auf die Neu-/Zusammensetzung des ehemaligen Osteuropas konzentriert und es zweckmäßigerweise in eine nicht mehr existierende, abgeschlossene, obsolete und begrabene “Geschichte” verwandelt. Dieser Prozess nahm die Form des Turbo-Realismus an. Was wir heute bezeugen können, ist die Wiederbelebung eines Leichnams für ganz andere Agenden.

Es war bestimmt keine “humanistische Sensibilität” auf Seiten der politischen Führer im Westen, die für den Fall der Mauer sorgte. Hier taten sich “kluge” politische Eliten im Westen Europas mit “nicht so klugen” (dafür aber umso mehr am Rande des Abgrunds stehenden) ehemaligen kommunistischen Führern zusammen und verkauften den Menschen im ehemaligen Osteuropa das Ganze als einen Akt der “Befreiung vom kommunistischen Totalitarismus”. Dies war das Ergebnis der Wiederholungslogik des Kapitals, das um jeden Preis neue Räume erschließen musste.

Die Gründung der Treuhandanstalt im Jahr 1990 in Westdeutschland, die (in einer Turbozeit nach dem Fall der Berliner Mauer) alle staatlichen Unternehmen im ehemaligen Ostdeutschland turboprivatisierte, spricht klar für diese These.

Vom Nationalstaat zum Kriegsstaat

Die turbo-faschistische Realität des ehemaligen Raums Jugoslawien ist mit einem anderen, wiederum allgemeineren, Prozess zu verbinden, der nach 2001 stattfand und den Santiago López Petit als einen Wandel vom Nationalstaat zum Kriegsstaat bezeichnet. In der Tat bedeutet dieser Wandel, dass die ehemaligen imperialen kapitalistischen Kolonialstaaten (die so genannte kapitalistische Erste Welt, also die westeuropäischen Staaten und die Vereinigten Staaten) in Kriegsstaaten umgewandelt wurden.

Gleichzeitig blieben die postsozialistischen Länder (oder neoliberal-turbo-faschistische Länder) nur Nationalstaaten ohne internationale Souveränität, aber mit genügend innerstaatlicher Macht, um homophoben Terror und die systematische Auslöschung der sozialistischen Geschichte zu kontrollieren und voranzutreiben; was die Unterdrückung aller gegensätzlichen oder alternativen und emanzipatorischen linken Praktiken und Interventionen beinhaltet.

Nationalismus spielt als atavistisches Format der Ideologie eine wichtige Rolle. Dieser Prozess des turbo-neoliberalen Faschismus deckt sich mit der allgemeinen Situation im neoliberalen globalen Kapitalismus und seiner Produktion eines geräumten, privatisierten Raums, der zu einer Entpolitisierung führte. Schließlich verweist das Diagramm auf die Regulierung des Gedächtnisses wie auch der Geschichte. Das Gedächtnis ist eine Frage der Biopolitik, und die Geschichte ist das Hauptterrain der Nekropolitik: Sie wird ständig angegriffen, ausgelöscht, umgeschrieben und evakuiert.

Die Rolle der Europäischen Union

Im Jahr 2021 weitet der neoliberale globale Nekrokapitalismus die Kontrollgesellschaft durch “flexible und fluktuierende Netzwerke” aus. Es wird behauptet, dass digitale Technologien Vernetzungs- und Austauschprozesse ermöglichen, die sich im “immateriellen” Raum der Information abspielen und quasi “frei” sind. Wenn wir uns aber vorstellen, dass die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und ihre Eigentümer die “freie Welt” der Kommunikation monopolisieren und als Eigentümer dieser Protokolle und Netzwerke Profite machen, sehen wir, dass Privateigentum und Profit ihre wichtigsten Regulatoren sind. Daher sind Nationalismen, Chauvinismen, Rassismen, homophober Wahnsinn und Antisemitismus alles Prozesse, die genau dazu benutzt wurden und werden, um die verschärfte Enteignung durch die Ausbeutung des Westkapitals zu kanalisieren.

Das globale Kapital setzt den Nationalstaat unter Druck, die rechtlich-politischen Barrieren zu beseitigen, die die bedingungslose Mobilität des transmultinationalen Kapitals verhindern. Dies ist eine der Hauptfunktionen der Gesetzgebung der Europäischen Union, die auf den gesamten Raum der EU übertragen wird. Die zivilisatorische Mission der alten Bourgeoisie der westlich-kolonialen europäischen Staaten zeigt, dass der Kern der EU nicht eine wohlwollende Mission ist, um den ehemaligen osteuropäischen Staaten zu helfen, “voranzukommen”, sondern ein Weg, um die neue Regulierung effektiver zu machen.

Die EU hat in der Vergangenheit vor allem mit so genannten “Gentlemen Agreements” gearbeitet, die geächtete Transaktionen und gewaltsame Kolonisierungsprozesse verdeckt hielten. Das Kapital im globalen neoliberalen Kapitalismus drückt gezielt auf die rechtlich-politischen Staatsschranken. Die Tatsache, dass wir in dieser so genannten neoliberalen globalen Welt leben, bedeutet nicht, dass wir von Grenzen befreit sind, sondern dass sie “entfernt” werden, damit die Mobilität des transnationalen Kapitals floriert, während andere Grenzen gleichzeitig verstärkt werden.

Rassismus konstituiert die Festung Europa

Was jetzt nötig ist, ist Rassismus als zentrale Kategorie des abstrakten Staates zu verstehen. Es geht nicht darum, Rassismus zu denunzieren und dann zu sagen, dass die Repressionsapparate des Staates die Regelungen gegen Migrant*innen und Jugendliche der zweiten und dritten Generation verschärft haben (obwohl die Folgen des 2001 begonnenen Krieges gegen den Terror ein radikalisiertes Diskriminierungsverfahren gegen diejenigen, die als Muslime identifiziert werden, durchgesetzt haben).

Es geht darum, anzuerkennen, dass wir in Europa ein vollständig errichtetes Gebilde eines rassifizierten Staates und eines globalen Kapitalismus haben. Daher ist es unsere Aufgabe, die Frage zu stellen, welche Art von politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen (sowie diskursiven) Dispositionen die rassifizierten Koordinaten des Nationalstaats und die rassifizierten epistemischen Koordinaten der zeitgenössischen neoliberalen globalen kapitalistischen Governance zu solchen gemacht haben.

Was sich vielleicht geändert hat, ist nicht nur das, was über rassistische Politiken bekannt ist, sondern wie normalisiert sie heute in Slowenien und Europa geworden sind. Die unerkannte, aber spürbar sichtbare, wenn auch verleugnete rassistische Geschichte, wird dann innerhalb anderer Themen der Sicherheits- und Schutzpolitik der EU normalisiert. Was Ende dabei herauskommt ist die “Festung Europa” mit ihrer neoliberalen, rassifizierten und ausbeuterischen Struktur. Rassismus und Rassifizierung sind gewaltsame Verfahren der Inklusion mit Hilfe von Exklusion; es ist nichts anderes als Apartheid innerhalb und ohne den Nationalstaat.

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