Dein Job oder dein Klima: Wie der gerechte Übergang in Bulgarien von Kapitalist*innen gekapert wurde

Der European Green Deal (“Europäischer Grüner Deal”) wird immer wieder als Mechanismus zur Kapitalakkumulation kritisiert – und nicht als ein Weg zu mehr Klimagerechtigkeit. In Bulgarien ist die Regierung nicht in der Lage, die öffentliche Zustimmung für den Deal Aufrecht zu erhalten, der vermeintliche Umweltschutz ist nicht einmal mehr ein Vorwand: Die Absorption von EU-Geldern ist zum unmittelbaren, wenn auch unsicheren Ziel geworden, und die Zukunft der Arbeit liegt wieder einmal in den Händen gieriger Kapitalist*innen und nicht in den Händen der Arbeiter*innen, wie Stoyo Tetevenski in seinem Beitrag zur BG-Textreihe “Allied Grounds” argumentiert.

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Klimadebatten haben in Bulgarien einen schweren Stand. Einerseits haben liberale Nichtregierungsorganisationen und die Grüne Partei eine Bewegung initiiert, die sich auf den Naturschutz und den Widerstand gegen die Abholzung der Wälder und die Überflutung der Küsten konzentriert und im Zuge dessen auch beträchtliche Sichtbarkeit erlangt. Doch es wurde versäumt, kohärente Klimaforderungen zu formulieren, die über die Forderung nach Umweltschutz hinausgehen. Auf der anderen Seite hat die radikalere Bewegung, die von einer Handvoll linker Kollektive und Aktivist*innen repräsentiert wird, noch keine Alternative hervorgebracht, die den liberalen Status quo in Frage stellt und das Problem der Kohleindustrie überwindet – ein strategischer Sektor für die bulgarische Wirtschaft, der Zehntausende von Menschen beschäftigt und mehr als ein Drittel der verbrauchten Energie produziert.

In diesem Zusammenhang wurde der European Green Deal (EGD) eingeführt, begleitet vom Diskurs des sogenannten “gerechten Übergangs”, der die Sprache der radikalen Klimagerechtigkeitsbewegungen aus dem Westen aufgreift. Leider ist die Sprache das Einzige, was er mit den transformativen Botschaften dieser Bewegungen gemeinsam hat: Der EGD ist ein Plan für eine neue kapitalistische Transformation, und seine Hauptaufgabe besteht darin, unter der Schirmherrschaft nationaler Regierungen und großzügiger EU-Finanzierung neue Bereiche der Akkumulation zu schaffen. Es handelt sich um einen neuen Mechanismus der staatlichen Intervention zugunsten des grünen Kapitals: Die Unternehmen werden ihre technologische Basis verbessern, finanziert durch öffentliche Mittel, während die Regierungen Marktreformen durchführen, die die Neoliberalisierung des Marktes und die Privatisierung öffentlicher Ressourcen vorantreiben.

In Bulgarien beispielsweise kommt nur ein kleiner Teil der Mittel öffentlichen Unternehmen oder Bürger*innen zugute, während der überwiegende Teil für private Unternehmen bestimmt ist. Gleichzeitig muss die Regierung, um Mittel aus dem Konjunkturprogramm zu erhalten, den Energiemarkt bereits 2026 vollständig liberalisieren, was die Preise anfällig für Preisschwankungen und Energiekrisen macht, wie die, die auf die Erholung nach der COVID-19-Pandemie folgte und durch den Krieg in der Ukraine noch verschärft wurde.

Europäischer New Deal in Bulgarien

In diesem Artikel werde ich versuchen, den Verlauf der Debatten über den European Green Deal in Bulgarien zu skizzieren. Ich schlage zwei Dinge vor. Erstens werde ich argumentieren, dass das Versprechen des grünen Übergangs, der das Wachstum von den Kohlenstoffemissionen entkoppelt und neue und aufregende wirtschaftliche Möglichkeiten bietet, wenig Legitimität genießt, da die Hegemonie des neoliberalen Projekts bröckelt. Zweitens hat die herrschende Klasse in Ermangelung eines öffentlichen Konsenses über die Idee eines grünen Übergangs all ihre Bemühungen auf die Frage der “Absorption” von EU-Mitteln konzentriert – oder besser gesagt, auf die Drohung, sie zu verlieren – und damit alle Möglichkeiten für eine öffentliche Debatte über den Übergang selbst verschlossen. Die Frage des EGD wird so in die unpolitische, fast technische Frage umgewandelt, wie die EU-Mittel absorbiert werden können, und jede Gegenstimme wird als rückständig oder anti-europäisch konstruiert.

Vielschichtige Collage: Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, stellt die Perspektiven des European Green Deal vor; ein Bienenschwarm; das rußige Gesicht eines Bergarbeiters in Bulgarien. Artwork: Colnate Group, 2023 (cc by nc).
Artwork: Colnate Group, 2023 (cc by nc)

Zum Scheitern des grünen Übergangs als nationales Projekt für Klimagerechtigkeit trugen eine Reihe von Faktoren bei. Erstens wurde keine klare Alternative zur Schließung der Kohleminen vorgeschlagen. Von Anfang an war unklar, was mit den Kohlearbeiter*innen geschehen würde und wie die Energieversorgung des Landes gesichert werden sollte. Die zugrundeliegende Annahme, dass die Marktkräfte diese Fragen regeln werden, ist in Bulgarien nach dem Übergang zum Kapitalismus Anfang der 1990er Jahre, der Millionen von Menschen zur Auswanderung zwang, um dem Hunger zu entgehen, und der dazu führte, dass ganze Regionen – eigentlich alle Regionen mit Ausnahme der Bergbauregionen – entvölkert und unterentwickelt wurden, stark delegitimiert. Die Strategie der Regierung besteht darin, die Energiekomplexe durch eine Art Sonderwirtschaftszone zu ersetzen, in der der Staat für die Sanierung des Bodens und der Infrastruktur sorgt, während Unternehmen kommen und neue Arbeitsplätze für die Entlassenen schaffen sollen. Da dies den Prozess weitgehend in den Händen privater Unternehmen ohne Garantien belassen würde, wurde dem Versprechen dieses Übergangs von vornherein nicht getraut.

Zugehörigkeit zur europäischen Zivilisation

Zweitens gab es nie einen transparenten und partizipativen Prozess, um die Prioritäten festzulegen und zu bestimmen, wo die Mittel für die betroffenen Gemeinden und Lieferketten am nützlichsten wären. Da wir uns in einer anhaltenden politischen Krise mit wechselnden Regierungen befinden, haben sich auch die Pläne für die Minen geändert. Ursprünglich sah der Recovery and Resilience Plan vor, die Kohlekraftwerke in Gaskraftwerke umzuwandeln und sie als Zwischenlösung bis 2030 zu betreiben. Dann wurden die Gaspläne aufgegeben und stattdessen eine neue Giga-Fabrik für Batterien vorgeschlagen. Nun, da auch diese aufgegeben wurde, sieht der neue Plan eine Reihe von dezentralen kleineren Batterien im ganzen Land vor.

Damit wurde der Öffentlichkeit vermittelt, dass es wirklich egal ist, wie der Plan aussieht, solange wir nur das Geld bekommen. Während dieser Diskurs zusehends mehr öffentliche Aufmerksamkeit erlangte, wurde das Versprechen des EGD nach dem Einmarsch in die Ukraine vollständig aufgegeben, und stattdessen wurde ein neuer Diskurs lanciert. Ein Diskurs, der sich darauf konzentriert, “europäisch” und “zivilisiert” zu sein, der den Wiederaufbau- und Resilienzplan einschließt und den Schwerpunkt auf die Aufnahme von Mitteln als Selbstzweck verlagert. Die Fertigstellung des Plans ist zu einem Symbol für die Zugehörigkeit zur europäischen Zivilisation geworden – alle, die sich dagegen wehren, sind im Grunde gegen die europäische Zukunft Bulgariens.

Ein dritter Faktor war die Entscheidung der Gewerkschaften, die Idee eines gerechten Übergangs aufzugeben und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, die Minen so lange wie möglich offen zu halten. Dies ist zum einen auf eine realistische Einschätzung ihrer Macht zurückzuführen: Die Gewerkschaften sind schwach und verfügen nur über ein geringes ideologisches oder Protestpotenzial. Andererseits hat eine solche Haltung die Gewerkschaften weiter marginalisiert und sie in das Lager der Verweigerer gestellt.

Schließlich haben auch klimabezogene Organisationen wie Greenpeace und Friends of the Earth einen Beitrag zu diesem Thema geleistet. Während diese Organisationen wichtige Schritte zur Verteidigung eines gerechten Übergangs unternommen haben, haben sie sich oft auf die radikalen Bewegungen für Klimagerechtigkeit berufen, um eine Rhetorik zu ergänzen, die überraschend kapitalistisch ist. Beide Organisationen unterstützen beispielsweise die Liberalisierung des Stromsektors, d.h. die Abschaffung der staatlichen Regulierung des Strompreises, was sie mit Dezentralisierung gleichsetzen. Ein weiteres Beispiel, das mir in den Sinn kommt, ist eine Greenpeace-Aktion, die während der Debatten über die Zukunft der Minen den Slogan “No jobs on a dead planet” projizierte. Dieser Slogan ist für die Bewegung für Klimagerechtigkeit von zentraler Bedeutung: Wie Antje Dieterich und Daniel Gutiérrez in einem kürzlich erschienenen Artikel betonen, versucht diese Bewegung zu zeigen, wie verkorkst die Situation ist: Wir sind gezwungen, Arbeit zu verrichten, die den Planeten zerstört und letztlich unsere Lebensperspektiven zunichte macht.

Bedrohung der Arbeiter*innen

Natürlich sind die vorhandenen Ressourcen nicht so organisiert, dass diese größte Herausforderung bekämpft werden kann, weil die Ressourcen den Interessen des Kapitals untergeordnet sind, aber was wir in Bulgarien sehen, ist, dass die weitgehend liberale Umweltbewegung diese Tatsache ignoriert und sich stattdessen auf die Opfer konzentriert, die wir alle bringen müssen, um es irgendwie zu schaffen. Wir sehen also eine Umkehrung der radikalen Umweltbotschaften. Und ein völliges Vergessen der Tatsache, dass die Bergleute und ihre Gemeinden die Umweltbewegung als nichts anderes sehen können, als eine Bedrohung ihrer Lebensweise und der Möglichkeit, am Ende des Monats ausreichend Geld zu haben, um Essen auf den Tisch zu stellen. Und sie haben Recht, denn es gibt keine “Volksbewegung”, keine Massenmobilisierung und natürlich auch keinen politischen Willen, eine Lösung durchzusetzen, die diese Gemeinden über Wasser hält.

Und das bringt mich zu meinem Hauptpunkt: Was wir im Diskurs der politischen Elite sehen, ist, dass sie nicht einmal versuchen, die Öffentlichkeit von den angeblichen Vorteilen des EGD zu überzeugen, noch von der Notwendigkeit, Klimaschutzmaßnahmen zu verfolgen. Stattdessen konzentrieren sie sich zynisch auf die Akquise von EU-Mitteln als Selbstzweck. Dagegen müssen wir für eine radikale Alternative kämpfen, die sowohl sozialistische Planung von oben als auch Massenmobilisierung von unten beinhaltet. Wir haben keine Zeit. Es geht um ihr Geld oder unser Klima.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel ist ein Beitrag zur Textreihe “Allied Grounds” der Berliner Gazette und er bautet die Argumentation aus, die der Autor bereits in seinem “After Extractivism”- Videovortrag entwickelt hat und später auf der Konferenz Future Cities, Future Climates: Urban Crises of Late Capitalism, organisiert vom KOI in Sofia, Bulgarien, zur Diskussion gestellt wurde. Weitere Inhalte finden Sie auf der “Allied Grounds”-Website. Schauen Sie mal rein: https://berlinergazette.de/de/projects/allied-grounds

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