Das in der serbischen Region Jadar gefundene Mineral gilt als Schlüsselelement für die Betterien von Elektroautos und somit als unverzichtbar für den “grünen Übergang”. Die Befürworter*innen des grünen Kapitalismus haben es allerdings nicht leicht: Sie sehen sich mit lokalen Landwirten konfrontiert, die behaupten, sie bräuchten keine grüne Transformation, weil sie bereits grün seien. Letztendlich liege die Zukunft in der Landwirtschaft, wie Mihajlo Vujasin in seinem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism” festhält.
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Der Fluss fließt durch ein fruchtbares grünes Tal, umgeben von Weiden, Hainen und Feldern. Rio Tinto plante, hier eine Lithiummine zu eröffnen – im Tal des Flusses Jadar in Serbien.
Auf einem nahe gelegenen Feld wächst Mais, der über zwei Meter hoch ist. Obwohl der Sommer in diesem Jahr sehr trocken war, war der Mais groß und gesund. Einer der Einheimischen, die in der Opposition gegen den Lithiumabbau aktiv sind, erklärt, dass diese Region, das Tal der Flüsse Jadar und Korenita im Einzugsgebiet des Flusses Drina in Westserbien, sehr reich an Grundwasser ist. Deshalb ist sein Feld auch so fruchtbar. Wasser ist Reichtum, und die Zukunft liegt in der Landwirtschaft, sagt Zlatko.
Das Mineral Jadarit, das einen gewissen Prozentsatz an Lithium enthält, wurde vor etwa 20 Jahren in diesem Gebiet gefunden. Die Meinungen über den Abbau sind geteilt. Der multinationale Konzern Rio Tinto ist an der Ausbeutung dieser Ressourcen interessiert. Es wurden Verfahren eingeleitet, darunter Forschung, Landerwerb und Genehmigungsverfahren. Die Regierung hat das Projekt jedoch Anfang 2022 gestoppt.
Die Anwohner*innen waren entschieden dagegen und konnten das Projekt stoppen – nachdem ihr Widerstand zu einer landesweiten Bewegung mit einer Reihe von Blockaden und Protesten im ganzen Land angewachsen war.
Dieses Tal ist eine Fabrik unter freiem Himmel, eine Lebensmittelfabrik. Wir brauchen hier keine grüne Agenda. Wir sind schon alle grün, sagen die Bewohner*innen des Tals der zwei Flüsse.
Die Einheimischen wurden zu Umweltaktivist*innen, die in der SEOS, der Vereinigung der Umweltorganisationen Serbiens, zusammengeschlossen sind. Da das Jadar-Projekt nur eines von vielen möglichen Bergbauprojekten sei, bestehe die Gefahr, dass Serbien zu einer Bergbaukolonie werde, sagen sie.
Bergbauforschung und Abbaugenehmigungen sind seit Monaten ein Thema in der Öffentlichkeit. Jeder weiß, dass dies ein Wendepunkt ist. Wenn das Bergwerk im Jadar-Tal eröffnet wird, könnten die Bergbauunternehmen 30 weitere Abbaustätten eröffnen. Laut dem Entwurf des Raumordnungsplans des Landes bis 2035 sind landesweit zahlreiche Standorte für neue Bergbauprojekte vorgesehen. Der Entwurf muss jedoch noch angenommen werden.
Opferzonen
Opferzonen ist ein Begriff, über den man in diesem Zusammenhang nachdenken sollte. Er ist in der Kontroverse um die Energiewende aufgetaucht. Hinter dem Begriff steckt politisches Kalkül. Er stammt ursprünglich nicht aus dem Bereich der Energie oder der Ökologie. In diesem Begriff manifestiert sich: Die Verbindung zwischen Extraktion und Politik ist in die Realität des grünen Kapitalismus übergeschwappt.
Wir sind jetzt umgeben und bedroht von den Aussteiger*innen des Extraktivismus. Überflüssig zu erwähnen, dass Extraktivismus keine Lösung ist. Man muss eine Lösung finden.
Das Jadar-Projekt wurde gestoppt, aber Aktivist*innen vermuten, dass das Unternehmen versuchen wird, es dennoch zu realisieren. Politiker*innen beklagen die verpasste Chance namens Lithiumabbau. Sie fordern eine mögliche Revision. Das Mineral ist in Serbien entdeckt worden, und Europa braucht es. Die Welt braucht es, wie sie sagen. Es ist nicht schwer, daraus eine Schlussfolgerung zu ziehen.
Die Menschen im Tal sagen, dass sie ihre Häuser nicht verlassen werden, obwohl einige bereits ihr Dach überm Kopf verloren haben. Sie wollen verhindern, dass das fruchtbare Tal eine Opferzone für die Rohstoffe wird, die die neue grüne Industrie benötigt. Sie wollen nicht zu ökologischen Flüchtlingen werden.
Einheimische und Aktivist*innen protestieren jetzt vor dem Sitz der Regierung. Sie fordern den Rücktritt des Präsidenten und der Regierung sowie die Auflösung des Parlaments.
Nichts weniger als das. Schließlich läuft der Staat nicht mit Batterien.
Unsichere Felder
Auch wenn das Jadar-Projekt aktuell ruht, gibt es wie gesagt die Befürchtung, dass dies nur vorübergehend ist. Die neue Runde hat begonnen, und der Protest richtet sich mit entschiedenen politischen Forderungen an die Regierung. Die Umweltschützer*innen konzentrieren sich auf die Forderung, den Abbau von Lithium und Bor dauerhaft zu verbieten. Eine Antwort der Regierung steht noch aus.
Das macht alles noch komplizierter, gibt aber auch Anlass zur Sorge. Die Menschen gehen Tag und Nacht auf die Barrikaden, um die Bergbauerkundungen zu stoppen. Das Ganze hat sich zu einem spannenden Schachspiel entwickelt. Es ist ein Kampf zwischen David und Goliath, so sagen die Einheimischen.
Was sind die Voraussetzungen? Lithium ist eine Chance, sagt der Staat wieder. Abbau ist eine Chance, wird Serbien oder ein anderes Land sagen. Und: Es ist eine einmalige Chance, Serbien hat etwas, was ganz Europa braucht.
Lithium ist die Zukunft der Energie, Extraktion ist die Zukunft. Das Narrativ drängt sich auf.
Hinterfragen wir die Logik dieser Syllogismen: seltenes Metall und Chance. Eine Chance für wen? Wenn wir sie verpassen, wie sieht dann die Zukunft für uns aus?
Seltene Erden auf dem Dorf
In seiner Einleitung zu Open Veins of Latin America stellt Eduardo Galeano fest, dass die Armut der Menschen aus dem Reichtum des Landes resultiert. Der Rückblick auf die fünf Jahrhunderte Kolonialgeschichte bestätigt dies.
Und in Serbien riecht es in der Atmosphäre nach seltenen Metallen. Die Art von Seltenheit, die die für das Energiegleichgewicht notwendige Spannung erzeugt. Es handelt sich um saubere und grüne Energie, direkt aus dem Abbaugebiet.
Inzwischen kündigt die Wissenschaft einen weiteren Durchbruch an. Graphen und Natrium-Ionen-Batterien zeichnen sich als neue technologische Lösungen ab. Vielleicht könnte alles ohne Lithium getan werden.
Elektroautos werden die Welt nicht retten. Genauso wenig wie E-Bikes oder Motorroller. Geräusch- und rauchlose Fahrzeuge werden in den Städten unterwegs sein. Aber wahrscheinlich weniger in Serbien, insbesondere nicht im Jadar-Tal. Zumindest nicht in naher Zukunft. In absehbarer Zeit wird es keinen elektrischen Traktor im Dorf geben.
Lithium ist eine Rarität, direkt aus der Opferzone. Der geplante Lithiumabbau ist so kalkuliert, dass er kostengünstig ist, abzüglich des lokalen Widerstands.
Ist eine Rechnung dieser Art nicht reiner Eskapismus?
Technologie, Arbeitskräfte oder natürliche Ressourcen
Während ich dies schreibe, stehen vereinigte Landwirte und Umweltaktivist*innen vor dem Sitz der Regierung – und sie werden dort bleiben, bis die Forderungen erfüllt sind, sagen sie. Während Sie dies lesen, wird der Protest vielleicht schon vorbei sein.
Wie auch immer die Situation gelöst wird, diese Spannung zwischen der Expansion des Kapitals und den Umweltkämpfen wird bestehen bleiben. Es gibt scheinbar ungleiche Machtverhältnisse, sicher ist jedoch, dass eine Pattsituation gibt.
Theoretisch gibt es im Kapitalismus nur wenige Treibstoffe. Jeder basiert auf Ausbeutung, entweder der Technologie, der Arbeitskraft oder der natürlichen Ressourcen. Letzteres ist oft die Ausbeutung von Ressourcen im Ausland, an der Peripherie, in Opfer-Zonen.
Alles, was sie verkaufen, gehört uns, sagen sie bei den Protesten. Einheimische und Landwirte werden darauf hinweisen, dass dieser Kampf jenseits der Ideologie der parlamentarischen Politik liegt; er ist weder links noch rechts.
Melodien von weit weg und doch so nah
Im Gegensatz dazu findet der ökologisch aufgeklärte Verbraucher nicht weit von diesem grünen Tal entfernt, dass alles kompliziert ist. Im Radio läuft der Song der Rockband Midnight Oil, aber der Text wurde abgeschnitten:
How can we dance when our earth is turning,
How do we sleep while our beds are burning?
Im Song heißt es weiter, die westliche Wüste sei der Ort, an dem die indigene Gemeinschaft seit jeher lebe. Und der Fluss fließe rot; er wird die Welt mit neuem Gold, Öl, Lithium und Aktien versorgen.
Das Lied wird von einer Werbung unterbrochen. Als ob sie sich nicht hören wollten: Solange der Akku hält, solange sich unsere Erde dreht.
Die Betten brennen
Eines der großen Paradoxa der aktuellen Bemühungen um eine globale Energiewende ist, dass sich Opferzonen auftun. Der Kapitalismus braucht Transformation, das grüne Kapital sucht neue Märkte, aber vor allem auch neue Rohstoffe.
Und der Fluss fließt rot; er wird die Welt mit neuem Gold, Öl, Lithium und Aktien versorgen.
Wenn wir, in einem wundersamen Twist ausschließen, was das wirklich bedeutet, bleiben wir bei den Extremen. Es bleibt eine Wunde in der Form einer Mine. Vergessen wir all das, dann bleibt nur eskapistische Extraktion.
Am Ende des Songs findet ein zukünftiger umweltbewusster Bürger auf der anderen Seite des Kapitalismus, der bereits grün ist, den Extraktivismus in seiner reinsten Form: weit weg von der Opferzone, wo Bienen summen, wo Honig und Milch fließen.
Aber die Zukunft kann warten. Die Landwirtschaft ist die Zukunft, wie man im Tal sagt: Wir brauchen keine grüne Agenda, wir sind grün genug.
Anm.d.Red.: Dieser Text ist ein Beitrag zur “After Extractivism”-Textreihe der Berliner Gazette; die englische Version ist hier verfügbar. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “After Extractivism”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://after-extractivism.berlinergazette.de