Kampf um das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt

Indigene und Umweltschützer leisten seit Jahren Widerstand gegen ein gigantisches Stausee-Projekt am Fluss Xingu in Brasilien. Diplom-Kriminologe und Berliner Gazette-Autor Thomas Barth spricht über wirtschaftliche Zusammenhänge, Menschen im Kampf um das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt und die Rolle Europas – unsere Rolle. 

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Brasilien bleibt auch unter der Präsidentin Dilma Rousseff bei einem problematischen Großprojekt: Das Wasserkraftwerk Belo Monte ist das drittgrößte weltweit – nach dem Drei-Schluchten-Staudamm in China und dem binationalen Itaipu-Werk an der Grenze Brasiliens zu Paraguay. Am Rio Xingu (sprich: Tschingu), einem großen Nebenfluss des Amazonas, wird seit den 1980ern, der Zeit der Militärdiktatur, gegen eine Kultur- und Naturvernichtung gigantischen Ausmaßes gekämpft. In Gefahr sind einzigartige indigene Völker (bis zu 50.000 Menschen) und ein unvergleichliches Biotop, denn Amazonien beherbergt bis zu einem Drittel der Tier- und Pflanzenarten weltweit.

Brasilien verfolgt weiter die Strategie, den massiven Ausbau der Wasserkraft zu einem Motor der Industrialisierung zu machen. Doch Kritiker weisen darauf hin, dass die Menschenrechte der Indigenen verletzt werden, dass womöglich ein Ethnozid durch Krankheiten und Abschiebung in Slums droht, dass Naturschätze unwiederbringlich vernichtet werden.

Im letzten Jahr konnten Kläger das Bauprojekt trotz Genehmigung durch die brasilianische Umweltbehörde stoppen, doch nur für drei Monate. Bundesrichter Carlos Eduardo Castro Martins sah keine juristischen Gründe, die Arbeiten am drittgrößten Wasserkraftwerk der Welt im Bundesstaat Para weiter zu verzögern. Blockaden der “Transamazonica”-Überlandstraße wurden von der Polizei geräumt – trotz anhaltender Proteste auch von prominenten Künstlern wie Regisseur James Cameron, Rocksänger Sting und Alien-Jägerin Sigourney Weaver.

Countdown am Xingu

Derzeit erreicht ein neuer Dokumentarfilm von Martin Keßler die Öffentlichkeit in Deutschland: „Count-Down am Xingu II“ (61 min). Offizielle Premiere war vorige Woche im Berliner Kino Babylon. Keßler bereiste Brasilien und führte zahlreiche Interviews, dokumentiert in eindringlichen Bildern Naturzerstörung und Widerstand. Die Kamera geht nahe an die Menschen heran, fängt ihre Emotionen ein, zeigt die indigene Kultur der Arara, einem Fischervolk am Xingu, ohne sich in farbiger Folklore zu ergehen. Vielmehr beherrschen Bilder vom Widerstand den Film: Demonstrationen, Aktionen gegen die Bulldozer des Energiekonsortiums, politische Debatten.

Zu Wort kommt vor allem der Bischof von Altamira, Dom Erwin Kräutler. Er leistet vor Ort Widerstand und erhielt 2009 den alternativen Nobelpreis für seinen Einsatz im Dienste der Indigenen und der Natur Brasilien. Kräutler hält derzeit Vorträge in seiner Heimat Vorarlberg (Österreich) und beklagt im Film die Wortbrüchigkeit der Betreiberfirma Norte Energia beziehungsweise des Konzerns Eletronorte/Eletrobras. Die Wirtschaftsbosse beschweren sich ihrerseits über die Aggressivität der Indigenen. Gleichzeitig weisen sie auf ihren Respekt für indigene Gemeinschaften hin.

Bischof Kräutler hält dagegen, dass es Norte Energia gelungen sei, die Opfer der Umsiedlungen zu entzweien, indem einige mit (relativ bescheidenen) Abfindungen und fragwürdigen Versprechungen geködert wurden. Regierung und Konzerne verschanzten sich hinter einer Mauer des Schweigens und der Desinformation.

Menschenrechte vs. “full aluminium body”

Kräutlers Einsatz ist es vermutlich zu verdanken, dass der europäische Widerstand gegen Belo Monte bislang hauptsächlich in Österreich stattfindet. Aber das soll sich nun ändern. Denn es sind auch maßgeblich Firmen aus Deutschland mit ihren Interessen vertreten: Siemens, Voith Hydro und Mercedes werden im Dokumentarfilm genannt.

Die Lügen der Regierung werden angeklagt, das Kraftwerk wäre nötig für Elektrizität, die das brasilianische Volk dringend brauche – in Wahrheit würde mit dem billigen Strom Aluminium hergestellt. Ein Werbespot von Mercedes verdeutlicht, worum es wirklich gehen könnte: Schnellere Luxuskarossen dank „full aluminium body“. Die Aussage ist klar: Menschenrechte und Naturschätze stehen hier gegen den Komfort von ein paar Privilegierten.

Vom Krieg der Wirtschaft

In Keßlers Doku kommen viele Aktivisten und Indigene zu Wort, die sich nicht mit Abfindungen begnügen wollen, wie die junge Sheila Juruna Machado, die vor allem ihrer Enttäuschung über die Justiz Luft macht. Sie glaube nicht mehr an die Gerechtigkeit in Brasilien. Im Interview mit dem etwas betreten wirkenden Staatsanwalt von Altamira, Claudio Terrdo Anaral, wird die einseitige Rechtsprechung deutlich.

Auch Bischof Kräutler beklagt Gefälligkeitsurteile zugunsten der Wirtschaftsinteressen, Prozessverschleppung und Rechtsbeugung zur zügigen Fortführung des Bauprojekts. Gezeigt werden Bäuerinnen, Fischer, Bootsbauer, Dorfbewohner vor der Kulisse ihrer zerstörten Häuser. Dem Argument, es würden bei diesen gewaltigen Erdarbeiten, die jene beim Bau des Panamakanals übersteigen, 100.000 Arbeitsplätze geschaffen, begegnet der Film mit der Dokumentation schlechter Arbeitsbedingungen.

Unter dem Strich handelt es sich um ein von der Regierung in Brasilien geduldetes und gefördertes Wirtschaftsverbrechen. Der auch vom Verein „Business Crime Control“ (einer nicht-unternehmensnahen Alternative zu „Transparency International“) geförderte Film schließt mit dem Statement, der Filmemacher fühle sich im Nachhinein wie ein Kriegsberichterstatter – eines Krieges der Wirtschaft gegen die Umwelt und die Menschen.

Anm.d.Red.: Foto von Russell Lee aus der Library of Congress.

9 Kommentare zu “Kampf um das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt

  1. auf den Straßen fahren Mercedes Benz Fahrzeuge und die Frage ist: denkt jemand anders über diese Fahrzeuge nachdem er/sie diese Zeilen gelesen hat? diesen Film gesehen hat?

  2. Warum steht da kein Aufruf,
    auf jede Mercedes-Frontscheibe mit Wachsmalkreide
    groß “Xingu vivo!” zu schreiben?
    Natürlich nur an Mercedesbesitzer für ihre eigene Windschutzscheibe -sonst wärs ja ein Aufruf zu Straftaten (Lachbeschädigung).

    XINGU VIVO!
    —da könnte die Pflanze ausgerottet werden, die das ultimative Heilmittel gegen Krebs enthält, wenn die Ökoschweine so weitermachen… und die Indios gehen auch vor die Hunde.

  3. Das blöde Alu können die doch überall herstellen:
    z.B. in den russischen Weiten der Taiga, da gibts genug Platz für Staudämme und unendlich viel Raum mit wenig Besiedlung, wenig Ökologie.
    Schröder mag den Putin doch auch
    und Merkel hat die Verträge nicht gekündigt, trotz Jaulen aus Washington ;)

  4. Was kann IIIIIIICH den schon tun?
    Beim Naseputzen z.B.: Was hat das Papiertaschentuch mit Regenwald zu tun? Jeder dritte
    gefällte Baum wird zu Papier verarbeitet. Um den immensen Bedarf an
    Zellstoff zu stillen, werden nicht nur tropische Regenwälder abgeholzt, mit
    teilweise bis zu 700 Jahre alten Bäumen, sondern auch riesige Flächen in
    Schweden oder Kanada. Jährlich verschwinden dadurch etwa 15 Millionen Hektar
    Wald. Das sind alle zwei Sekunden ein Fußballfeld!

    Damit sich Hygienepapiere besonders flauschig anfühlen, werden dem Zellstoff
    Eucalyptusfasern beigemengt. Von Südafrika bis Brasilien gibt es erbitterten
    Widerstand gegen die Ausbreitung der Plantagen für Eucalyptusbäume, denn
    Millionen Menschen verlieren dadurch ihr Land und ihren Lebensunterhalt, die
    Artenvielfalt schwindet und der Wasserhaushalt wird gestört.
    Ethify Tipp: Taschentücher und Klopapier nur aus recycliertem Papier oder
    mit FSC-Zertifikat

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