Klarnamen-Debatte: Was bringt Anonymität im Netz?

Als das soziale Netzwerk Google+ vor kurzem verkündete, dass es nur Klarnamen erlaubt, entzündete sich eine heftige Debatte um die Frage der Anonymität. Musikredakteur, Blogger und Berliner Gazette-Autor Martin Hufner kommentiert die Diskussion. Und er fragt: Welche Funktion hat Anonymität im Internet überhaupt?

Es ist interessant, zu beobachten, wie Phänomene und Probleme verschwimmen, nur weil man sich wenig und zu kurz gefasste Gedanken macht. Die aktuelle Diskussion über den Wert oder Nutzen von Anonymität im Internet ist so ein Fall. Da hat man beispielsweise Anonymität als Inbegriff des Schutzes der Privatsphäre und auf der anderen Seite die Anonymität des Individuums in der Masse. Einmal eine Art Schutzmechanismus zur Wahrung der Identität und im anderen Fall deren Auflösung.

Anonymität in sozialen Medien

Im Fall der sozialen Medien prallt beides aufeinander: Der Wunsch nach Einzigartigkeit und Individualität, eine Art umgedrehten Egoshootings und gleichzeitig die Furcht vor Erkennbarkeit, das berüchtigte “Wenn das mein künftiger Arbeitgeber liest/sieht/hört”.

Ich nehme an, die meisten wollen dabei vor allem “ihre” Daten selbst in der Hand haben. Markiert man jemanden auf einem Foto, kommt es vor, dass dieser die Markierung wieder löscht. Die vielfach bemerkte logische Inkonsequenz ist dabei, dass man im Fall von Facebook zum Beispiel, auf diese Bühne tritt, wohlwissend, dass man die Daten einem Netzwerkbetreiber überantwortet, zugleich nichtwissend, was dieser damit machen kann.

Die Konsequenz, sich einen anderen Weg zu suchen, beschreiten aber dann doch nur wenige. Denn man rechnet gegen. Welches Risiko nehme ich in Kauf, welches Datenrisiko bin ich bereit einzugehen, auf der einen Seite, auf der anderen, welchen Benefit ziehe ich daraus?

Keine Maske der Unkenntlichkeit im Biergarten

Zu denken, man könne dem entgehen, wenn man sich “anonym stellt”, dürfte nicht ausreichen. Denn genauso wie es ein Misstrauen gegenüber Datensammlern gibt, gibt es ein Misstrauen gegen Anonyma.

Was sage ich in einem Biergarten, was gebe ich dort preis. Man wird wohl die Situation taxieren. Wenn dabei das Gegenüber immerhin erkennbar ist, seine Reaktionen wahrnehmbar sind, wird man einigermaßen eine eigene Position dazu finden. Bleibt das Gegenüber unbekannt auch in seinen Reaktionen, wird man vermutlich vorsichtiger agieren. Es sei denn man setzt sich selbst eine Maske der Unkenntlichkeit auf. (Auch hier erkennt man, wie Kommunikation durch die Umstände strukturiert wird.)

Ganz im Gegensatz dazu besteht auch die Möglichkeit, jemanden absichtlich seiner Personalität zu berauben. Man macht die Person zu einer Sache. Das Verfahren wird zur Maßregelung benutzt. In Gefängnissen werden unter Umständen Namen zu Nummern, ihre Individualität wird geschrumpft.

NutzerInnen sozialer Netzwerke: “Denunzianten ihrer selbst”

Man stelle sich einmal eine Gesellschaft vor, in der nur mehr Anonyma untereinander in Beziehung stehen. Keine Person ist als solche erkennbar. Wie sähe das wohl aus? Alle verdecken sich, niemand ist erkennbar. Wäre das reizvoll? Würde das dazu führen, dass sich alle plötzlich ohne Zwang und Angst äußern könnten? Vielleicht wäre das wirklich der Fall, nur wen würde das wirklich angehen und interessieren?

Anonymität ist doch nur dann tatsächlich produktiv, wenn aus den Intentionen der Handelnden eine personale Struktur hervorgeht. Es gibt genügend Beispiele von Menschen, von denen ich nicht weiß, wer sie personalausweistechnisch sind (wie sie aussehen, wo sie wohnen, was sie arbeiten), von denen ich aber ahne, was sie fühlen, was sie denken und wie sie fühlen und wie sie denken. Informelle Mitarbeiter (IM) ihrer eigenen Persönlichkeit sozusagen. Und das macht auch einen Reiz aus.

Die strukturelle Funktionalität von “Anonymität” ist meines Erachtens nicht klärbar. Mir persönlich wäre es natürlich lieber, außer bei Kunstfiguren, dass man sich namentlich erklären kann. Und zwar so, dass eben Kritik durch die Person getragen werden kann, ohne dass sich daraus negative Folgen ergeben. Anonymität nehmen aber momentan beide in Anspruch: derjenige, der sich nicht traut, etwas zu sagen, weil er Repressalien befürchtet genauso wie derjenige, der einfach nur ein fieses Früchtchen ist, um jemandem zu schaden – der aktiv tätige IM wie der Denunziant.

17 Kommentare zu “Klarnamen-Debatte: Was bringt Anonymität im Netz?

  1. also interessante ergänzung zur debatte, die zwei dimensionen von anonymität im netz waren mir vorher gar nicht so klar – danke!

  2. auch ein Ansatz:
    Karjalainen – Finnland | Freitag, 29. Juli 2011
    Anonymität im Netz macht verantwortungslos

    Der mutmaßliche Attentäter von Oslo und Utøya Anders Breivik hat sich Ermittlungen zufolge häufig anonym in Internet-Foren aufgehalten. Die liberale Tageszeitung Karjalainen fordert neue Spielregeln für die Foren: “Es ist bedauernswert, dass die Möglichkeit anonym zu schreiben im Menschen das Allerschlimmste wachruft. Viele Internetforen weisen ein trauriges Niveau auf. … Sie sind voll von hässlicher Sprache, Verleumdungen, Drohungen und regelrechten Hasstiraden. Die Allerwenigsten würden sich erlauben, solche Texte zu tippen, wenn sie mit ihrem eigenen Namen dafür einstehen müssten. … Das sollte auch für das Internet eine grundlegende Bedingung sein. Die Autoren müssen sich wieder daran gewöhnen, dass sie für ihre Meinungen in Internet-Foren auch die Verantwortung tragen.”

    http://www.eurotopics.net/de/home/presseschau/archiv/article/ARTICLE91171-Anonymitaet-im-Netz-macht-verantwortungslos

  3. Wenn aber bei Kommentaren die User vollkommen anonym sind, birgt das in sich den Vorteil, dass es eher zu einer produktiven Diskussion kommen kann, da es sich vollkommen um die Sache dreht und nicht um die “Person”/ Benutzer, mit dem man gegf. schon Kontakt hatte…

  4. Hallo zusammen,

    ich glaube so wenig an das eine wie das andere. Es ist keine Neuigkeit, dass Anonymität gewisse Hemmschwellen verringert. Für etwaige Übeltäter ist es in der der Regel wichtig, dass sie unerkannt bleiben.

    Aber umgekehrt ist es wohl eher unwahrscheinlich, dass die Anonymität von Personen “eher” zur einer freier geführten Kommunikation führt, in der Hoffnung, man konzentriere sich dann besser auf die Sache selbst. Solche Verfahren gibt es aber tatsächlich, zum Beispiel bei manchen Kompositionswettbewerben, wo Partituren anonym eingereicht werden oder bei Instrumentalvorspielen, wo die Personen hinter einer Wand spielen. Man kann sie hören, nicht sehen. Bei letzteren verlässt man sich aber nicht allein auf diese “objektive” Maßnahme. Denn für die auszuübende Tätigkeit ist das “Können” nur ein Aspekt. Das ist der eine Punkt.

    Der andere: In der Regel weiß ich im Netz nicht, ob die Person, die unter einem bestimmten Namen etwas sagt, auch die Person ist, die diesen Namen trägt. Ich könnte da oben eintragen, ich wäre Klaus Wowereit oder Magdalena Taube. Die Identität der Person ist für einen Nutzer ziemlich ungewiss. Anders sieht es angeblich für den Schnüffler von Daten aus; also für jemanden, der investigativ vorgeht; Ermittlungsbehörden etc. Wobei ja selbst die nur von einer Mutmaßung ausgehen, dass eine technische Adresse einer realen Person zugeordnet werden kann. Ob tatsächlich diese oder jene Person dann diese oder jene IP ist, ist wieder eine andere Frage.

    Eigentlich betreten wir ganz normalen Nutzer das Netz mit einem Haufen von Mutmaßungen. In einem Interview mit Leuten aus einer Untergruppe von Anon. auf gulli.com wurde sinngemäß gesagt, dass sich diese Leute untereinander auch nicht kennen. Damit steigt aber das Risiko, dass sich Leute einschleusen können, deren Ziel Unterwanderung und Aushorchung sein könnte. Der Schutz der Anonymität selbst wird zum Bumerang – oder kann es werden.

    Und noch ein Punkt: Für manche Kommunikation ist es besonders wichtig, dass die Person mit der man redet, diejenige ist, die sie sein soll. In diesem Moment muss man Verfahren entwickeln, die hochkomplex sind, um die Datensicherheit zu gewährleisten. PGP und so. Wenn das Ziel der Anonymität vor allem die personale Sicherheit sein soll, die angeblich die Anonymität gewährleisten soll, muss man in der informationellen Kommunikation die Hosen runterlassen. Eigentlich verdreht.

  5. gute Differenzierung: “Da hat man beispielsweise Anonymität als Inbegriff des Schutzes der Privatsphäre und auf der anderen Seite die Anonymität des Individuums in der Masse.”

  6. Aber es geht meines Erachtens noch um etwas anderes, zumindest, wenn man das Ganze nicht so sehr von “sich selber” aus, vom Individuum aus denkt, sondern von der anderen Seite sozusagen: Wer will Anonymität abschaffen?

    Das sind ja nicht in erster Linie die Nutzer von sozialen Netzwerken und vergleichbaren Foren, die sich unwohl fühlen, wenn sie nicht wissen, mit wem sie es zu tun haben. Sondern es sind die Betreiberfirmen dieser Netzwerke und der Staat. Die wollen totale Transparenz, d.h. totale Aufhebung von Anonymität. Warum? Es geht um Geschäfte und Macht, es geht um Herrschaft.

    Nicht umsonst nennen sich selbst ernannte Verteidiger der digital-planetarischen Gerechtigkeit “Anonymous”. Sie setzen mit ihrem Namen, der bei ihren Aktionen immer als Unterschrift sichtbar wird, ein Zeichen für die willkürlicher werdenden Akte wirtschaftlicher und staatlicher Macht.

    Nicht, dass ich “Anonymous” befürworte, ich will mit diesem Beispiel aufzeigen, worum es bei der Klarnamen-Debatte auch geht. Hier steht auch die Souveränität und Autonomie des Bürgers/Konsumenten auf dem Spiel.

  7. Da muss man aber doch auch trennen zwischen Staat und Betreiberfirma. Sich einem sozialen Netzwerk anzuschließen ist ein Entschluss, den man selbst in der Hand hat. Und wenn man es unter dem Namen Anders Anderson machen will oder unter dem Namen Peter Müller, eine temporäre Mailadresse einrichtet zudem über einen Anonymisierungsserver reingeht, was steht da auf dem Spiel. Aber wer hat was davon?

    Ich habe so manches Blog unter einem Kunstnamen gestartet, niemand hatte was davon.

    Gegen die Ansprüche des Staates auf Zugriff würde ich sagen, müsste man schon Schutzmaßnahmen ergreifen. Und wenn sie sich aus dem Grundgesetz in Deutschland ergeben sollten, warum nicht? Unversehrheit der Person, Würde des Menschen …

    Es gibt noch einiges Möglichkeiten. Doch das Herdentier will gesehen und geliebt werden. Da ist das Internet die selbstverschuldete Falle, pointiert gesagt. Zu Volkszählungszeiten in den 80er Jahren sah das anders aus. Da waren im Vergleich minimale Informationen schon in der Kritik.

    PS: Die Diskussion in anderer Form wurde früher ja auch viel in Newsgroups geführt. Da gab es welche, wo es nicht gern gesehen wurde, wenn kein “Realname” verwendet wurde und eben andere.

    PPS: Mich ärgert zudem, dass alle diese Aktionen immer nur reaktiv sind. Was muss *ich* an meinem Verhalten ändern, um mich abzusichern statt, was muss ich an der *Struktur* ändern, damit ich so leben kann, dass mir keine Gefahr droht.

  8. @#8: ich stimme dir natürlich zu, dass Staat und Konzern nicht identisch sind und man da differenzieren muss.

    “Aber wer hat was davon? Ich habe so manches Blog unter einem Kunstnamen gestartet, niemand hatte was davon.”

    Das ist meines Erachtens die falsche Frage. Es geht um die Freiheit, einen Kunstnahmen wählen zu können. Diese Entscheidung soll man selbst fällen können. Es geht hier also um das Menschenrecht auf Anonymität. Und wenn ich mir angucke, wer DAVON ETWAS NICHT HAT, dann ist das in erster Linie der Konzern. Der kann seine Datenauswertungen nicht mehr so effizient und gewinnbringend betreiben.

    “Grundgesetz in Deutschland… Unversehrheit der Person, Würde des Menschen…”

    jawohl!

    “das Herdentier will gesehen und geliebt werden. Da ist das Internet die selbstverschuldete Falle, pointiert gesagt.”

    Solche Psychologisierungen sind sind treffend auf den Punkt genau, aber was ist, muss noch lange nicht sein, was sein soll bzw. sollte, speziell in seinen politischen Konsequenzen nicht.

    “Mich ärgert zudem, dass alle diese Aktionen immer nur reaktiv sind. Was muss *ich* an meinem Verhalten ändern, um mich abzusichern statt, was muss ich an der *Struktur* ändern, damit ich so leben kann, dass mir keine Gefahr droht.”

    jawohl!

  9. Ich finde den Aspekt, den Krystian in die Diskussion einbringt, schon enorm wichtig, denn darum ging es letztendlich ja bei der Google+ Debatte.

    Zudem deutet Martin in dem Text auch die politische Dimension an, wenn er sagt, dass manche User den Schutz der Anonymität brauchen, um in repressiven Systemen überhaupt Aussagen tätigen zu können.

    Anonymous und auch Subcommandante Marcos, der auf dem Bild oben zu sehen ist, sind schöne Beispiele dafür, wie man diesem Schutzmechanismus noch eine weitere Facette abgewinnen kann: Anonymität als (politische) Waffe einzusetzen. Vielleicht keine Antwort auf das Problem der Reaktivität, das Martin in #8 anspricht, aber immerhin ein Ausweg aus der Passivität.

  10. Krytian, nur zu einem Punkte, da will ich nachhaken: Du schreibst:

    Es geht hier also um das Menschenrecht auf Anonymität. Und wenn ich mir angucke, wer DAVON ETWAS NICHT HAT, dann ist das in erster Linie der Konzern. Der kann seine Datenauswertungen nicht mehr so effizient und gewinnbringend betreiben.

    Und warum gibt es Konzerne? Weil die etwas verkaufen wollen, unter anderem. Das mag man vielleicht nicht chic finden, aber jeder Verkäufer braucht seinen Käufer. Normalerweise. “Kauft nicht bei Facebook?” geht ja wohl eher als Slogan nicht. In dem Moment, wo aber in der Tat niemand da ist, der eine Alternative bieten könnte, wird es schwierig, sich auszuklinken. Es sei denn, man will das. Am einfachsten wäre es natürlich, wenn Facebook einen direkten Obolus von seinen (benutzten) Nutzern verlangen würde. Schnell wären wohl viele weg. Sie machen es aber durch die Hinterhand: Sie setzen die Daten der Nutzer gewinnbringend ein. (Jedenfalls munkelt man das.) Und das scheint den Massen wohl billiger. Anonyme wären für diese Konzerne Schmarotzer, nicht verwertbares Material. Ich halte es unter den gegebenen Bedingungen für legitim, wenn der Konzern so vorgeht, sofern er dieses Vorgehen transparent gestaltet.

    Punkt 2: Menschenrecht auf Anonymität. Ich hatte einen Briefwechsel mit Betreibern eines Anonymisierungsservers. Die sagten das auch, das stehe hier und da. Ich denke, das ist Frage der Interpretation, ich würde das verneinen und dies als Menschenrecht zu deklarieren. Interessant war aber das Abwimmeln nach der Vogel-Strauß-Methode. Ich sagte, dass einige Nutzer ihres Dienstes gegen dessen Nutzungsbedingungen verstoßen würden. Die Antwort war, dass sie das nicht gut finden, aber nichts machen können oder wollen, weil sie sonst die Idee ihres Dienstes ad absurdum führen würden. Klar! Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß. Ich finde, so einfach darf man es sich mit den Menschenrechten auch nicht machen. Die Betreiber beriefen sich auf Artikel 19, wo es um Meinungsfreiheit geht.

    Nehmen wir mal Artikel 1: “(Die Menschen) sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen.” So gesehen ist der Verstoß sekündlich und an jedem Ort.

    Usw. Es wird häufig von Menschen und Personen geredet, das Wort Anonymität finde ich nicht. Auch nicht auf Umwegen. Aber ich lasse mich gerne belehren.

  11. Also das Thema scheint die Leute zu bewegen, wenn sogar kleinere Lokalblätter wie der Nord-Berliner das Thema aufgreifen. Allerdings muss ich dir hier widersprechen: “Anonymität ist doch nur dann tatsächlich produktiv, wenn aus den Intentionen der Handelnden eine personale Struktur hervorgeht.” 1. Wird nicht wirklich klar was du meinst und 2. geht es in deinem Sinne um Anonymität die aber durch soziale Rollen ausgeglichen wird. Das ist dann aber keine Anonymität. Den Bäckern muss ich nicht persönlich kennen, trotzdem ist er nicht anonym. Man kennt sowohl seine Motive wie auch seine Handlungsabsichten. Zur Not ist er zur Rechenschaft zu ziehen. Unpersönlichkeit ist keine Anonymität. Zweiteres ist entweder ein bewusster Vorgang um in einer Interaktion oder der Gesellschaft unter Umgehung bestimmter Regeln zu agieren oder es ist ein Prinzip auf welchem moderen Gesellschaftlichen aufbauen. Die Anonymität verhindert hier aber keine Handlungen, sondern macht sie erst möglichl, weil jeder immer wieder andere Rollen annehmen kann. Dadurch wird erst eine funktionale Ausdifferenzierung möglich, oder anders ausgedrückt: diese garantiert eine effizientere Arbeitsteilung.

  12. Waißt du, Hoefig, Recht haste. Ey.

    Die Möglichkeit ist eine andere, die des Schauspielers – oder des Rollennehmers. Lass mich das mal umdrehen, der Bäcker ist nicht anonym, weil man seine Motive und Handlungsabsichten kennt? Gilt dann umgekehrt, wenn man sie nicht kennt, ist Anonymität möglich. Ist Anonymität dann gegeben, wenn eine Person nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann? Warum sollte das jemand wollen? Es sei denn, er wäre bedroht.

    Punkt 2: Nein, Anonymität geht nicht darin auf. Der Zuhörer im Konzert, der Käufer einer CD, der Leser einer Website; alle sind sie dem Produzenten gegenüber anonym. Sie sind Zahlen, große Zahlen, kleine Zahlen. Ganze Firmen leben davon, zu erkunden, wer da wo hinter den Bildschirmen sitzt, wer was liest oder was kauft. Sie sind da, aber sie sind nicht bekannt. Möglichkeit für Massenkommunikation.

    Punkt 3: Über all das lässt sich herrlich diskutieren. Mein Punkt ist, will ich in einer Gesellschaft leben, in der Anonymität unvermeidlich ist, um ohne Angst leben zu können. Und ich sage: nein. Ich will dort leben, wo ich nicht jeden kennen muss, aber jeden kennen könnte. Anonymität ist für mich keine vertrauensfördernde Technik, sondern prinzipiell und grundlegend einer Kultur des Misstrauens geschuldet.

  13. Horst A. Bruno alias Brunopolik ist ein Pseudonym. Diese Kunstfigur hat sich in den 5 Jahren ihrer Existenz im Netz zu einem Künstler, Querdenker und Internet-Aktivisten profiliert und ist somit durchaus als eine fiktive Person real und erkennbar – verortbar durch eine eigenen E-Mail-Adresse, also virtuell.

    Es gibt viele plausible Gründe, warum die Person hinter dem Pseudonym sich eines Pseudonyms bedient und nicht selbst öffentlich in Erscheinung tritt. Vor allem ist da der Schutz des Individuums und vor allem der Familie zu nennen, weil vielleicht seiner experimentellen Kunst nicht gefolgt werden kann und sie sich durch deren abstrakte, hin und wieder provokative Form im sozialen Umfeld diskriminiert fühlen. Das Pseudonym verhindert viele ganz unergiebige Rechtfertigungs-Diskussionen, zu denen eine Kunst zwingt, die im normalen sozialen Umfeld noch nicht begriffen werden kann. Das Pseudonym ist ein Stück Freiheit der Kunst, die notwendig für sie ist. Nimmt man sie ihr, schneidet man der Individualität und der Kunst einen wesentlichen Teil erbarmungslos und mit vorgeschobenen Argumenten ab. Und das hat nichts mit Feigheit zu tun, sondern ist rationales Kalkül.

    Das Internet und deren Missbrauch bis zu kriminellen Aktionen zerrt das Pseudonym in eine hässliche Ecke, in der es nie war. Wie so manche Erscheinung des neuen Mediums, muss auch hier differenziert werden.

  14. Das würde ich auch nicht bestreiten wollen. Die Diskussion um Pseudonyme ist eine andere. Ich kenne genügend Fälle. Die liebsten sind mir Heinrich Regius, Hektor Rottweiler, Detlef Holz, Jean Amery. Selbst der musikhistorische Anonymus IV.

    PS: Ich musste mir aber auch anhören lassen, als ich mal was gegen Anon. losließ: “Hufi, lass das, die machen unseren Server kaputt, stehen vor der Tür” oder … Klar ist das unangenehm. Niemand will das. Aber auch hier die Frage: Wo beginnt die wirkliche Notwendigkeit des Selbstschutzes und wo verkriecht man sich, bevor etwas passiert in vorauseilende Anonymität.

    Ich meiner umgekehrt, was hat es für einen kurzen kräftigen Rüttler gegeben, als der STERN mit Fotos geschmückt den “Wir haben abgetrieben”-Titel lancierte. 1971.

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