Ein Streifzug durch Technologieparks in Deutschland offenbart: Wie die Wolken am Himmel befinden sich die urbanen Infrastrukturen der sogenannten „Cloud“ in ständiger Transformation. Anders jedoch als die Wolken am Himmel hinterlassen sie jedoch eine immobile Materialität: versiegelte Flächen und Beton, sowie ein undurchschaubares Geflecht an privaten Besitzverhältnissen, wie der Autor und Aktivist Christoph Marischka in seinem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism” zu denken gibt.
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Die Wolken am Himmel wirken auf uns schwerelos, fluide oder gar immateriell, wobei wir wissen, dass dies nicht wahr ist: Sie bestehen aus riesigen Mengen Wasser und bergen Differenziale in teilweise katastrophischem Ausmaß. Davon unbenommen gilt auch die digitale „Cloud“ irgendwie als immateriell oder zumindest lightweight und energiesparend. Diese Assoziation erscheint als Voraussetzung, dass Digitalisierung und Informationalisierung kontrafaktisch, aber teilweise erfolgreich, als nachhaltig beworben werden. Ein Unfall des Wissens, von dem ein Set von Akteur*innen – auch mit rein finanziellen Interessen – profitiert.
Die hier beschriebenen und verallgemeinerten Beobachtungen gehen auf umherschweifende Besichtigungen zurück – insbesondere von Rechenzentren und Technologieparks in Westdeutschland, darunter Stuttgart, Frankfurt/Offenbach, Bochum, Paderborn und Hannover Ende 2021/Anfang 2022 sowie den unmittelbaren Auseinandersetzungen um das „Cyber Valley“ in und v.a. um Tübingen in den drei vorangegangenen Jahren.
Das materielle Zentrum
Wir wissen eigentlich, dass die „Cloud“ aus Rohstoffen gebaut ist und diese fortwährend verbraucht. Sie gilt als „kritische Infrastruktur“ und wird mit öffentlichen Mitteln gesichert, während sie private Gewinne produziert. Ihre materielle Realisierung geht einher mit massiven Verschiebungen des Eigentums und einer dieselbewölkten Logistik von Erde und Zement.
So wird Zement offensichtlich gebraucht, um die Rechen- und Datenzentren selbst zu bauen – die zunehmend als Orte der städtischen wie ländlichen Gentrification und Verdrängung in Erscheinung treten. Sie benötigen Flächen und zumindest eine gewisse Nähe zu logistischen, administrativen und/oder finanziellen Knotenpunkten, sogenannten Hubs. Sie basieren auf einer kontinuierlichen Stromversorgung, die nicht nur unternehmerisch, sondern zunehmend für die öffentlichen Infrastrukturen kritisch ist. Die Rechen- und Datenzentren speisen sich gerne aus lokalen, regenerativen Energiequellen und fördern diese, erfordern aber auch eine nationale Absicherung der Stromversorgung mit Gas oder Atomkraftwerken sowie eine Versorgung der Notstromaggregate mit Diesel.
Wo auch immer diese Rechen- und Datenzentren gebaut werden, wird der Asphalt von verschiedenen Richtungen aufgerissen, werden Kabel verlegt und wieder begraben. Und andersherum: Wo auch immer neue Autobahnen oder Zugverbindungen gebaut werden, werden auch Breitbandverbindungen verlegt. Neue Knotenpunkte entstehen jenseits der alten Städte. Diese Städte expandieren und investieren. Sie investieren in neue Kraftwerke, Straßen, Fahrradwege und Jogging-Strecken, welche den Raum zwischen landwirtschaftlich genutzten Flächen, Technologieparks und gleichzeitig entstandenen Wohngebieten erschließen und restrukturieren.
Das unmittelbare Vorfeld
Was die Wolken im Himmel tatsächlich mit ihren imaginierten Entsprechungen am Boden gemein haben ist deren Fluidität – die schiere Unmöglichkeit, ihre sich beständig ändernden Grenzen zu definieren.
Während uns die Rechen- und Datenzentren zunächst als räumlich klar von der Umwelt abgegrenzte und eingezäunte Territorien mit wenig, diskretem Personal und somit als praktisch autark erscheinen, erfordern sie doch anhalte Wartung, Schutz und Versorgung mit Betriebsstoffen. Obgleich davon vieles automatisiert ist, braucht es Menschen, die den Zugang, den Wareneingang und die Müllentsorgung kontrollieren; Dienstleister, die Rasen mähen, Insekten bekämpfen, die Flure sauber halten, Nahrung und Betriebsstoffe liefern und mehr oder wenig kontinuierlich Hardware austauschen.
Die Unternehmen, welche für den Unterhalt und die Verwaltung der Rechen- und Datenzentren zuständig sind, befinden sich meist in deren – mehr oder weniger unmittelbaren – Nähe. Manchmal bilden sie auch räumlich das unmittelbare Vorfeld der Rechenzentren in sehr einfachen Bürogebäuden diesseits des Stacheldrahtes und der gut gesicherten Zugänge zum Rechenzentrum selbst.
Diese Vorhöfe der Rechenzentren bestehen aus einem typischen Mix an Unternehmen, zumindest was ihre Präsenz auf Schildern an der Einfahrt und den Parkplätzen angeht. Ein oder zwei von ihnen wurden konkret als Betreiber des jeweiligen Rechenzentrums gegründet, drei bis fünf international tätige Unternehmen wie Bosch, Siemens, Atos und Spie sind für einzelne, aber für Außenstehende schwer abzugrenzende Aspekte des Betriebs zuständig und eine vergleichbare Anzahl namenloser lokaler Unternehmen für die Sicherheit, das Personalwesen oder was auch immer. Manchmal gibt es dann auch noch Schilder oder zumindest einzelne Parkplätze, welche die Präsenz eines der bekannten Weltunternehmen wie Microsoft oder google proklamieren, die auch in der Verwaltung von Daten und Datenzentren aktiv sind. Die Geschäftsbeziehungen und Besitzverhältnisse zwischen diesen Konzernen, welche die „Cloud“ letztlich konstituieren, sind wie die inneren Strukturen der Wolken am Himmel allenfalls zu erahnen – und in ständiger Transformation begriffen.
In anderen Fällen bilden diese Vorhöfe den Kern eines nahe gelegenen Technologie-Parks, der meist erst kurz zuvor am Rande der alten Städte auf der grünen Wiese errichtet wurde und Anlass war zum Ausbau bestehender Verkehrs-Infrastrukturen aus öffentlichen Mitteln. Auch hier finden sich meist ein kleineres Kraftwerk und neue Wind- oder Solarfelder in der Umgebung. Wie schon bei älteren Gewerbegebieten, ging auch deren Errichtung mit der Privatisierung und Umverteilung von Land, der Zerstörung von Ökosystemen und Baumaßnahmen einher. Wie auch die älteren Gewerbegebiete ist ihr Bau eine treibende Kraft bei der Ausdehnung des Urbanen, der Versiegelung von Flächen und der Transformation der vorherrschenden oder auch nur möglichen Formen der Einkommensgenerierung.
Die unterstellte Präferenz der vermeintlich jungen und gut bezahlten Arbeitskräfte im Tech-Sektor für lokal und biologisch angebaute Produkte steht jedenfalls zumindest in einem Spannungsverhältnis zum Raum und den Chancen, die ihre modernen Fabriken dem Anbau von Lebensmitteln lassen. Vielleicht sind aber auch diese Vorlieben ein Mythos, denn um die Mittagszeit werden die Technologieparks durch Schwärme von Fahrzeugen geflutet, welche Fast-Food aller Art in die Büros liefern. Bäckereien und Restaurants gibt es dort nämlich nur selten und wenige, von Bioläden ganz zu schweigen. Obwohl meist gut an den öffentlichen Nahverkehr angebunden, scheinen zu jedem Technologiepark auch größere Parkhäuser zu gehören.
Wolkenstädte
Vor Ort erwecken diese Orte oft einen ganz anderen Eindruck als ihre Internetauftritte in der Cloud, wo sie modern, dynamisch, prosperierend und bevölkert dargestellt werden. Sozusagen in der ersten Reihe, nahe den Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs, finden sich tatsächlich oft einigermaßen repräsentative Gebäude, auf denen Fahnen neben dem Haupteingängen, die Logos von bekannten Firmen tragen – die gar nicht wirklich präsent sind. Die Cafeterien im Eingangsbereich sind meist verwaist, und stattdessen neben der ungenutzten Theke einfache Snack-Automaten aufgestellt. Selbst der Empfang ist oft schon verlassen oder mit schlecht bezahltem und billig uniformiertem Personal irgendeiner Sicherheitsfirma besetzt.
Oft stehen in diesen Gebäuden ganze Etagen leer oder werden von überregional tätigen Dienstleistern ausgestattet und tage- bis monateweise untervermietet. Die dauerhaftesten Mieter dieser Gebäude sind oft jene öffentlich geförderten Unternehmen, welche für das Management und die Promotion des jeweiligen Standorts selbst zuständig sind oder im Auftrag irgendwelcher lokalen Netzwerke aus öffentlicher Gewerbeförderung und Gewerbeverbänden die vor Ort zugleich präsente und absente (fluide?) Startup-Szene unterstützen sollen.
Nochmal anders sieht es in der zweiten und der dritten Reihe dieser High-Tech-Gewerbegebiete aus, wo die minderwertige Bausubstanz der schnell errichteten Gebäude sofort auffällt, obwohl sie meist noch recht neu sind. Die Briefkästen offenbaren eine große Zahl von Firmen, deren Präsenz eher übergangsweisen Charakter hat. Oft gibt es Briefkästen von Anwalts-Kanzleien oder Steuerberatungen, auf denen gleich ein Dutzend Unternehmen durch teilweise von Hand beschriftete Aufkleber genannt sind.
Das Vermächtnis der „Cloud“
Angesichts der Ausmaße dieser Technologie-“Parks“ und der „Ökosysteme“, die sie hervorbringen sollen, kann es trotzdem sein, dass dort jeweils tausende Menschen in hunderten verschiedenen Firmen arbeiten, von denen vielleicht etwa die Hälfte tatsächlich so viel mit IT zu tun haben, wie das Standort-Marketing behauptet. Diese Unternehmen entwickeln die Dienstleistungen und Technologien zur Verarbeitung von Daten, wie sie die Cloud einerseits möglich macht und andererseits erfordert. Ein großer Teil basiert auf den Erwartungen zukünftiger Profite durch die weitere Digitalisierung und „smarte“ Städte.
Von den meisten wird man niemals etwas hören und viele von ihnen werden in dem explizit „disruptiven“ Umfeld auch nicht lange existieren. Manche werden von größeren Playern eingekauft werden – was dann weniger das Personal oder den Standort, als die Patente einschließt. Einzelne werden vielleicht – zwischendurch – Erfolg haben und wachsen. Sie können dann die leer stehenden Flure und Büros in den Nachbargebäuden mieten. Aber wachsende Unternehmen wollen kaufen und bauen, und sie werden dabei von der Politik unterstützt, die ihre „Leuchttürme“ und “Champions“ in der Stadt bzw. Region behalten will.
Dies erklärt zumindest in Teilen die Tendenz dieser „Ökosysteme“, sich räumlich auszudehnen, während in anderen Ecken der Zerfall längst eingesetzt hat. Wie die Wolken am Himmel befinden sie sich in ständiger Transformation; ihre Auflösung ist absehbar. Anders als die Wolken am Himmel werden sie eine immobile Materialität hinterlassen, versiegelte Flächen und Beton, sowie ein undurchschaubares Geflecht an privaten Besitzverhältnissen. Wie die Parkhäuser im Herzen dieser Ökosysteme, so sind sie selbst nur zu verstehen durch eine politisch forcierte Umverteilung und Inwertsetzung von Fläche – und die billige Verfügbarkeit von Zement. Und wenn die nächste Disruption ein Netzwerk ohne Knoten, Sondermüll der Urbanisierung hinterlässt, wird sie womöglich trotzdem eine Erfolgsgeschichte sein: Move fast and break things – Let‘s go to Mars.
Anm.d.Red.: Dieser Text ist ein Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism” der Berliner Gazette; die englische Version ist hier verfügbar. Weitere Inhalte finden Sie auf der englischsprachigen “After Extractivism”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://after-extractivism.berlinergazette.de