Eric Packer, der Protagonist von Don De Lillos, >Cosmopolis< ist ein erfolgreicher und steinreicher Vermoegensverwalter. Beispielhaft verkoerpert er den sloganhaften Titel des US-amerikanischen Managermagazins Forbes vom 27. Dezember 1999: >Everyone Ought to be Rich<. Als der Vorzeige-Entrepreneur an einem Tag im April 2000 seinen Arbeitstag beginnt, hat dieses eindringlichste aller Versprechen der New Economy noch nichts von seiner Strahlkraft verloren: Alle tuefteln in ihren Garagen an visionaeren Produkten, um am naechsten Tag an die Boerse zu gehen. Alle koennen in der IT-Branche ueber Nacht zum Internetmillionaer werden.
Das Statussymbol dieses Serve-and-Volley-Lebensgefuehls ist die Limousine. Das Luxusvehikel ist nicht nur Ausdruck des neu erworbenen Vermoegens. Die Neureichen von nebenan koennen darin auch den Lifestyle des Strukturwandels perfektionieren: Mobilitaet und flexible Arbeit, die zentralen Losungen der New Economy, koennen in der Limousine auf ungekannte Weise kultiviert werden. High-Tech-Ausstattung wie Satellitentelefon und Internetanschluss verwandeln das Auto in ein mobiles Buero, in dem auch Geschaeftstreffen und Vorstandssitzungen abgehalten werden koennen.
>Lifestyle<, ein als Magazin inszenierter Katalog des Modekonzerns Diesel, treibt das utopische Potenzial des Luxusvehikels in fiktiven Reportagen auf die Spitze: Mombasa Beach wird darin als Zentrum des weltweiten Internetkapitalismus imaginiert. Neben bunten Stimmungsbildern wimmelt es von Fakten: Beeindruckend, wie viele High-Tech-Unternehmen neu gegruendet werden! Unglaublich, wie viele Limousinen die Innenstadt unsicher machen! Schlagzeilen wie >Long Limos, Long Queues< signalisieren, dass die Staumeldungen von den Strassen Afrikas neuerdings nicht abzureissen scheinen und bei einem Fortbewegungstempo von 10 km/h in erster Linie der Komfort der Innenraeume zum Tragen kommt. Bei unertraeglichen Aussentemperaturen kann man sich im gekuehlten Limousineninterieur zuruecklehnen, abschalten und Champagner trinkend die Aktienkurse in der aktuellen Tageszeitung studieren. Wofuer es nach Feierabend noch so dienlich sein kann, das veranschaulicht Madonnas Videoclip >Music<: tanzen, singen, trinken in einem mobilen Ambiente mit multimedialer Rundumbetreuung. Goldkettchenbehangen sitzt die Pop-Ikone auf dem ausladenden Ruecksitz und traellert was von Buendnissen zwischen Rebellen und der Bourgeoisie - Lyrics, die umgehend im New-Economy-Repertoire klassenuebergreifender Heilsbotschaften aufgenommen werden. Don De Lillo erweist sich als sachkundiger IT-Historiker mit Gespuer fuer die popkulturellen Codes jener Branche, wenn er Packer seinen Arbeitstag in einer mit allen digitalen Finessen versehenen Limousine verbringen laesst. De Lillos Beschreibungen des Multimedia-Arbeitsplatzes beeindrucken dabei am meisten: >Er liess den Blick ueber die Datenschirme schweifen. Sie waren in abgestufter Entfernung vom Ruecksitz aufgestellt, flache Plasmamonitore in verschiedenen Groessen, einige zu einem Cluster gruppiert, ein paar andere projizierten einzeln aus seitlichen Einbauschraenken. Die gesamte Anordnung war eine Videoskulptur, ansprechend und luftig, mit protetischem Potenzial, und jedes Geraet war so gebaut, das es herausschwingen, zuklappen oder unabhaengig von den anderen arbeiten konnte.< Bemerkenswert ist allerdings nicht nur De Lillos Liebe zum technischen Detail und die philosophisch angehauchten Metaphern, die er dort hineinzudichten weist. Bemerkenswert ist auch, dass er die Limousine zum Dreh- und Angelpunkt einer individuellen Wirklichkeitserfahrung macht. Mit seinen Beschreibungen des diesem geschlossenen System eigenen Point-of-View erweitert er das Bild der Limousine als Ikone des digitalen Kapitalismus: Immer wieder macht De Lillo Diskrepanzen anschaulich zwischen den Bildern von der Wirklichkeit wie sie Packers Monitore liefern [gespeist mit Daten aus den Netzen von Sicherheits-, Finanz- und Nachrichtendiensten], den Bildern von der Realitaet wie Packer sie durch die Windschutzscheibe seines Luxusvehikels wahrnimmt, und den Bildern, die mit teils ueberwaeltigender Kraft ueber Packer hereinbrechen, wenn er die rohe Strasse betritt, konfrontiert mit menschlichen Koerpern, die sich gegen die Abstraktion des globalen Kapitals behaupten< [Allan Sekula]. Die Diskrepanzen dieser Wirklichkeitserfahrung nehmen mit der Zeit dramatisch zu. Parallel dazu beginnen weltweit die Kurse zu wackeln, geraten die Finanzmaerkte ins Trudeln, Entwicklungen, die sich immer erbarmungsloser dem analytischen Zugriff des uebrigens gerade erst 28 Jahre alten Vermoegensverwalters versperren. Als Packer merkt, dass er die abrupten Schwankungen nicht mehr lesen kann, die durch den Yen verursacht werden, [die Waehrung >bildet< sich einfach nicht mehr fuer ihn >ab<], beginnt ihm sein Leben zu entgleiten. Bewusst inszeniert er mit kuehlem Pathos einen Kontrollverlust, der einen ersten Hoehepunkt wohl dann erreicht, als er seinen Leibwaechter mit dessen eigener Waffe auf einem Basketballplatz hinrichtet. Dieser individuelle Kursverfall wird als Grenzwerterfahrung beschrieben, aus der Sicht eines todessehnsuechtigen Kandidaten, der Lust am nihilistischen Scheitern empfindet. Als Packer am Ende ist, wirkt auch seine Limousine wie ein Wrack: Zerbeult, zerkratzt, zerschunden, eingedellt, besprueht und bemalt, eine Ikone des Verfalls, die lange, ihrer Zeit vorauseilende Schatten wirft. Ja, sie wird zum ausrangierten Schiff, das keiner mehr haben will, das aber auch hoffnungslos auf seine Entsorgung wartet. Kurz, ein Geisterschiff, das Folgeerscheinungen der New Economy, wie deren Fortleben in den Reihen des Sports, Militaers und der Luftfahrt als das orientierungslose Treiben eines Zombies erscheinen laesst.