Marshall McLuhan verkuendete 1964 das Ende des Autos. Der sonst treffsichere Amerikaner hatte sich beim magischen Kanal >Auto< verschaetzt. Das mit dem Untertitel >Die mechanische Braut< versehene Kapitel endet mit der Prophezeiung, dass im naechsten Jahrhundert das alte Auto vom Elektroauto abgeloest werde. Wie falsch diese Vorhersage war, verdeutlicht die Tatsache, dass zehn Jahre nach der Niederschrift seines Buches die Oelkrise Gruende genug geliefert haette zu einer umfassenden Infragestellung des PKW mit Verbrennungsmotor. Doch exakt jene Krise erschien in der Kommentierung durch die Massenmedien wie eine gesellschaftlich ubiquitaere Beziehungskrise. Sie machte deutlich, wie sehr sich Mensch und Auto mittlerweile liebten. Eine Trennung stand nicht zur Diskussion.
Dabei haette ausgerechnet der grosse Theoretiker der Prothesen und der Verdinglichung menschlicher Unverwundbarkeits-Phantasmen die Dimension der gesellschaftlichen Neurose erkennen muessen, die mit dem Auto kommuniziert wird. Die Selbstamputation aller Faehigkeiten zur Fortbewegung angesichts der Prothese Auto, war im Verlauf des 20. Jahrhunderts soweit fortgeschritten, dass ein Leben ohne die Prothese fortschreitend unmoeglich wurde. Und zwar schon von der Logistik her: die Verbindung zwischen Arbeitsplatz und Wohnort, der Nachschub fuer die Haushalte, die Konzeption von Urlaub und Tourismus all diese Elemente des buergerlichen Lebens wurden weitgehend zusammengehalten vom Prinzip Auto. Diejenigen ohne Auto oder gar Fuehrerschein wurden zur Parias einer automobilen Gesellschaft.
Auf dem Naehrboden dieser Nuetzlichkeit konnte der Ueberbau und die erotische Verklaerung des Autos wild wuchern. Die wachsende wirtschaftliche Bedeutung der Automobilindustrie versah diesen Ueberbau mit schlagkraeftigen Argumenten: Wer sich gegen das Auto stellte, wurde zum Widersacher der Gesamtgesellschaft und ihres Wohlstandes ebenso wie zum Feind des Kapitalismus, der nicht nur in Deutschland sein Wohlergehen zu grossen Stuecken der Produktion von Automobilen verdankte.
Kein Zufall sicherlich, dass das franzoesische Staatswesen nachhaltig erschuettert wurde, als die Arbeiter von Renault die Studentenrebellion im Mai 1968 unterstuetzten. Das Lahmlegen der Automobilindustrie war als Symbol des Lahmlegens des Gesellschaftssystems von hoher symbolischer Praezision. Ebenso erschienen die autofreien Sonntage 1972/73 als Trauma einer Verwundbarkeit, die deshalb so schmerzhaft war, weil sie in das Mark des buergerlichen Selbstverstaendnisses traf. Paradox wurde jenes Gefuehl der Verwundung deshalb empfunden, weil eben jene Kinder und Jugendlichen, welche beim Spielen mit der Carrerabahn, den ferngesteuerten Porsches und den kleinen metallenen Spielzeugautomobilen die Seligkeit und Sicherheit ihrer ersten Traeume erfuhren, nun den sonntaeglichen Gang in die Kirche mit den Eltern und Grosseltern zu Fuss oder im Schlitten gezogen geradezu idyllischer empfanden als die uebliche, sehr viel kuerzere Fahrt im Auto.
Auf die Krise folgte in den 1970er und 1980er Jahren die Entfaltung der Ueberfuelle. Wenn weder die Vernunft noch die Politik dem Auto ein Ende setzten, entwickelte sich hier eine Dynamik der Selbstzerstoerung, welche die Idee der Fortbewegung als Zentralidee des Autos nach und nach aushebelte. Der Stau des Verkehrsflusses hat den Fortschrittsoptimismus, der mit den neuen Fortbewegungsmitteln verbunden war, zerstoert. Treffender noch: Er hat diesen Traum der schnellen und unmittelbaren Austauschbarkeit von Orten ins Internet verschoben, dass heisst ins digital Imaginaere, in einen neuen Raum. Das Phantasma der Selbstsetzung als Akt der Freiheit durch das Reisen mit dem Auto ist durch diese Verschiebung des Traumes weitgehend unberuehrt geblieben. Es ist die klassisch buergerliche, individuelle Freiheit durch Revolutionieren und Anpassen erkaempft welche sowohl beim Flanieren als auch beim Rasen kultiviert und bestaerkt wird.
Zwar bieten auch die neuen Schnellzuege bzw. Ueberschallflugzeuge ein kollektives Reisen an, dessen Ungeruehrtsein an der Umwelt grenzenlos ist, aber es laesst sich vom Einzelnen nicht gestalten. Das eigene Eigene und dessen imaginaere Ueberhoehung findet nur am Steuer bzw. zu Fuss statt. Das Scheitern der Kritik am Auto ist ein Scheitern an falsch gewaehlten Bezugssystemen. Die kultische wie libidinoese Fixierung auf das Auto benoetigt eine Reflexion in Entsprechung zur Religionskritik. Und diese darf die kulturelle Valorisierung des PKWs nicht nur dekonstruieren, sondern muss sie zugleich mitbetreiben, um die Autos runter von den Strassen und rein in die blank gefegten Garagen zu bekommen.