Wer den Geist der Autostadt sucht, kann einen kleinen Huegel unweit der Stadt Salo besteigen. Dort findet der Gestaltungs-Archaeologe einen Themenpark der Fahrzeug-Technik, der unschwer als die Maquette der Selbststilisierung fuer den Volkswagen-Konzern zu erkennen ist. Von Gabriele d´Annunzio, >poeta aviatore<, erdacht und zusammen mit dem Architekten Giancarlo Maroni ausgefuehrt, ist das nach dem italienischen Koenig >Il Vittoriale< genannte Gelaende eine Keimzelle politischer Landschaftsarchitektur. Man moechte glauben, dass so etwas nur in einer Zeit entstehen kann, wenn die Luft schwirrt von den Rufen nach >Neuen Menschen<.
Die >symbolischen Rundgaenge< der >Citadelle< am Seeufer sind stark vom Futurismus gepraegt. Die Auswahl der Exponate ist bestimmt durch die Ereignisse vor 1927, in denen sie eine Rolle spielten. Insoweit ist das Vittoriale ein technisch-nationalkundliches Museum jener historischen Anekdoten, die kurz darauf in den italienischen Faschismus muendeten. Hier finden sich Bomben auf griechischen Stelen als Buesten praesentiert. Ein ganzes Gebaeude widmet sich einem Premiumklasse-Fiat, mit dem d´Annunzio nach Wien fuhr [gesponsert von Fiat]. Ein ganzes Gebaeude fuer ein Torpedoboot, ein Gebaeude fuer ein Flugzeug [gesponsert von >Fly Flot<-Gesundheits-Schuhe], ein aus Marmor geschnittenes Schiff im Massstab 1:1, Nave Puglia, das halb mit dem Berg verwachsen ist. Fuer jedes Stueck Technik eine eigene Gebaeudeaesthetik und ueber allem thronend ein Rondell mit Sarkophagen, gefuellt mit den Helden der Bewegung. Alles eingebettet in ein kuenstliches >Italien in Miniatur<, mit Huegeln, Seen, Flusslaeufen, einer Mini-Toskana. Die Parallelen zu Wolfsburg draengen sich auf: eine ekklektizistische Rummel-Architektur hier wie dort, getragen von schwuelstigen Manifestationen der Ideologie ihrer jeweiligen Schoepfer. Im Unterschied zu konventioneller Architektur, die durch ihren Nutzwert lebt, sind Themenpark-Architekturen physische Substrate von Verkaufsideen, Hardware fuer Medienspiele, die gespielt werden wollen. Unter den denkbaren Programmen sind besonders jene geeignet, die sich mit zyklisch vorkommenden Traditionen verbinden lassen: Weihnachten, Ferien oder Jahreszeiten. Mir ist eine Inszenierung der Autostadt Wolfsburg in Erinnerung, die das Erwachen der Jahreszeit Fruehling zelebrieren sollte. Ort des geplanten Festes waren die Gaerten um die Gebaeude der Autostadt herum, am Fuss der grossen Schornsteine des alten Werkes gelegen. Diese Gartenanlage wird von allen Projektbeteiligten mit grosser Hartnaeckigkeit als >Landschaft< bezeichnet. Es ging beim >Fruehlingserwachen< darum, sie in allen Aspekten erfolgreich zu beherrschen. Nicht genug, dass die Kombination aus Gras, Wasser und Steinen bereits in erotisch schwellenden Huegeln auf spezielle Art flach gelegt war: jetzt sollte sie auf Befehl erbluehen. In Deutschland ist die Kombination der Begriffe Landschaft und Bluete spaetestens seit zehn Jahren ein Skandal. Ich habe niemals vor dem >Fruehlingserwachen<, noch seitdem wieder eine solche Manifestation von Fuehrungsstil oder aehnliche Ekstasen des Beherrschungswillens erlebt, wie bei der Planung dieser Veranstaltung. Ich will niemanden mit Details langweilen, aber dass die Auftraggeber den Dienstleistern Gutachten ueber den Zeitpunkt [Datum, Uhrzeit] des Aufgehens von Blumenzwiebeln abverlangen, laeutete fuer mich als stillen Beisitzer der Verhandlungen eine neue Aera des Geschaeftslebens ein. Ich war gewarnt: Auf der ICE-Fahrt zur Besprechung hatte ich einen Artikel in der >Zeit< gelesen, in dem der Architekt der Autostadt in Wolfsburg Gunter Henn sich dahingehend aeusserte, dass die klassischen Organisationsformen und - institutionen unseres Soziallebens, Staat, Parteien, Kirchen, sich selbst durch mangelnde Erfolge disqualifiziert haetten und jetzt durch die einzig tragfaehige Einrichtung, den Konzern, ersetzt wuerden. VW bilde die Speerspitze dieser Entwicklung. Daher habe er als Gestalter des kuenftigen Formungs- und Fuehrungsprinzips die delikate Rolle auszufuellen gehabt, nicht nur Ideale [sogenannte Firmen-Philosophie] in Gebaeude zu uebersetzen, sondern auch die Landschaft gemaess ihrer Aufgabe zu gestalten. Das passte zum im >Spiegel< publizierten Piechschen Diktum von den >guten Genen, die man weitergeben muss<. Am Eingang der Autostadt bekommt man ein entsprechendes Papier in die Hand gedrueckt, aus dem zu entnehmen ist, dass man hier nicht mit Lamborghinis oder Skodas, sondern mit polierten, schwarzen Bloecken des Wissens konfrontiert wird und der Geburt seines Autos beiwohnen kann - in der Tat wird es durch einen betonisierten Uteralkanal den neuen Eltern zugefuehrt, nachdem sie - schoene neue Warenwelt! - zuvor die erwuenschten Eigenschaften bestimmt haben. Den Markt praegen, den Kunden erziehen. Dieser Prozess wird mit postreligioeser Terminologie als Erwartung und Bestimmung deklariert. Viele Tore werden dabei aufgestossen: ploetzlich denkt sich das Maybach-Redesign von allein mit der Silberpfeil-Farbe aller neuen Audis zusammen. Oder: man versteht mit einem Schlag, wofuer es einen neuen >Phaeton< braucht fuer ein Land, das an einem anderen >Lichtbringer< so lange gelitten hat. In der >Glaesernen Fabrik< Dresden [ebenfalls von Henn entworfen und nicht von ungefaehr an die lokale Beruehmtheit, die >Glaeserne Frau< angelehnt] wird die Geburtsmetapher weiter aufs Aeusserste strapaziert, modern aufgemotzt als die Klinik der technischen Reproduktion: wieder sollen Wesen aus neuem Fleisch erzeugt werden, flinke, zaehe, harte Produkte. Es kann kein Zufall sein, dass Peter Sloterdijk, der Nachhall der Menschenpark-Debatte liegt noch in der Luft, gerade hier seine philosophischen Exkurse mit Bergsteigern und Theologen eroeffnete. Doch zurueck zu >Il Vittoriale<, der grandiosen Inszenierung der Leistungen von Technik fuer eine neue Gesellschaft: Hygiene, als Begriff der Aufklaerung und Chance zur Selbstheilung einer aelteren, als unsauber gedachten Form der Gemeinschaft verstanden, verbindet sich im 20. Jahrhundert mit dem Bild der Hege. Zygmunt Baumann stellt das sehr bildhaft dar, wenn er von der Arbeit der Gaertner spricht, die das Unkraut im Garten der Gesellschaft jaeten. An die Stelle der Gaertner tritt in der kommenden Epoche die Technik der kuenstlichen Reproduktion, die im Vorfeld pflegt und gar nicht erst wachsen laesst, was unerwuenscht sein wird. Das Auto bekleidet dabei die Funktion einer Zange, mit der die Nachkommen ans Licht befoerdert werden. Noch halb ein Werkzeug zum Transport, halb schon eine zweite Haut, vollgestopft mit den Elementen, die die Zukunft des Fleisches computieren werden als eine Art >mobiles body area network<. Vor diesem Hintergrund verstehen sich Geburtsmetaphern als Erlaeuterungen gesellschaftlicher Innovation und von Menschenhand geschaffene kuenstliche [Kauf]Paradiese als Orte, in denen das Neue wachsen kann.