In auswaertigen Aemtern

In Berlin ist es sehr schwer, die Geschichte der Stadt zu ignorieren. Ich habe mich oft so gefuehlt [und fuehle mich auch heute noch oft so], als haette ich nicht genug Kenntnisse und auch keine emotionale Bindung zu den Geschehnissen der Vergangenheit hier in Berlin. Dann fing ich an, mir ueber die Teilnahme meiner Grossmutter bei den olympischen Spielen 1936 in Berlin Gedanken zu machen. Ich wusste, dass sie im finnischen Frauengymnastik-Team gewesen war, welches bei den Spielen eine Performance aufgefuehrt hatte – aber mehr wusste ich nicht. Ich wurde neugierig, denn immerhin hatte sie so oft von ihrer Vergangenheit erzaehlt – warum wusste ich dann nicht mehr ueber ihren Aufenthalt in Berlin?

Als ich nach Helsinki kam, wartete eine Fuelle von Materialien auf mich: Artikel, die sie fuer einen Frauensport-Magazin ueber ihren Trip geschrieben hatte, ihre Tagebucheintraege ueber die Olympiade und auch einige wenige Fotos. Ich zeigte ihr >Olympia< von Leni Riefenstahl. Den Film hatte sie zuvor nicht gesehen und er loeste bei ihr einige Erinnerungen an das Ereignis aus. Wir waren sehr gespannt darauf, ob das finnische Frauengymnastik-Team oder vielleicht sogar meine Grossmutter selbst in dem Film auftauchen wuerden. Das war nicht der Fall. Meine Grossmutter war sich ziemlich sicher, denn alle weiblichen Gymnastikerinnen in dem Film hatten unrasierte Achseln und ihr Team musste sich an besagten Stellen rasieren. Dann dachte ich ueber ihr Leben nach. Es sah ganz so aus, als waere sie an verschiedenen >falschen< Orten zur >falschen< Zeit gewesen: Hamburg 1937, Rio de Janeiro 1946-1950, New York und Washington 1950-1954, Bukarest 1968- 1972. War es Zufall, dass sie an all diesen Orten sowohl als die Gattin eines Diplomaten, als Aerztin und auch als Taenzerin/ Gymnastikerin gewesen ist? Das treibende Moment waehrend meiner Recherche war der Konflikt zwischen Politk und persoenlicher Zuneigung. Mit einiger ihrer Meinungen und Handlungen stimme ich ueberhaupt nicht ueberein, aber andererseits ist sie ja meine Grossmutter, die mir sehr nahe steht. Das Video >You Go Where You Are Sent<, das das Resultat meiner Auseinandersetzungen mit der Geschichte meiner Grossmutter darstellt, zeigt diese Reibung insbesondere waehrend unserer Diskussion: Wenn ich meine Grossmutter etwas fragte, dass sie als >Politik< einstufte, antwortete sie mir nicht und zwang mich somit dazu, subtile Kritik innerhalb meiner Erzaehlung einfliessen zu lassen. Erzaehlerische Mittel nutzte ich vor allem dann, wenn ich mit ihrer Beschreibung der Situation nicht uebereinstimmte. Ich dachte, dass es sehr wichtig waere, dass ich selbst erzaehle, denn immerhin sprach ich ja auch ueber meine eigene Geschichte. Ein anderes Hauptthema meiner Videoarbeit sind die verschiedenen Arten, auf die meine Grossmutter ihr Heimatland repraesentierte: als finnische Gymnastikerin in Nazi-Deutschland und als Diplomatenfrau eine Taetigkeit, der sie ja bereits seit den 1940ern nachging, wobei sie ihr Land selbst in solchen Zeiten repraesentierte, in denen Regierungen an der Macht waren, die mit ihren politischen Ueberzeugungen nicht korrespondierten. Der Titel des Videos >You Go Where You Are Sent< ist ein Zitat meiner Grossmutter, das sich auf den Dienst der Diplomaten fuer ihr Land bezieht: man geht dort hin, wo man eben hingeschickt wird. Mich interessierte, wie sie versuchte eine Balance zwischen ihren verschiedenen Verpflichtungen zu erreichen. Die Pflichten der Diplomatenfrau hatten Prioritaet, aber wann immer sie konnte, praktizierte sie auch als Aerztin. Ich glaube nicht, dass es so etwas, wie eine >reine< Dokumentation gibt. Kein technisches Hilfsmittel ist in der Lage, die Realitaet wirklich exakt wiederzugeben. Mich interessieren die Machtstrukturen, die das Dokumentieren mit sich bringt. Die entscheidende Frage ist: Wer dokumentiert? Wer und Warum? Ich naeherte mich ihrer Geschichte durch die Bilder, die ich aus ihren Photoalben heraussuchte. Ihre Alben sind eine Kombination aus persoenlichen Schnappschuessen und offiziellen Photos von verschiedenen diplomatischen Ereignissen. Ich suchte ungefaehr einhundert Photos heraus, die mich interessierten und sie beschrieb sie dann. Waehrenddessen stellte ich ihr Fragen. Die Photographien gaben mir Zusatzinformationen ueber ihre Geschichte, manchmal widersprachen sie auch dem, was sie sagte. Zum Beispiel beschrieb sie die Hochzeit von Freunden, einer brasilianischen Frau und einem finnischen Mann, aber hinter dem Paar war ein Text auf Deutsch zu sehen. Ich ging mit ihr die ausgewaehlten Bilder zunaechst auf Finnisch durch, dann auf Deutsch, was ihre zweite Muttersprache ist und schliesslich auf Englisch, was ihr am wenigsten zusagte, obwohl sie die Sprache offensichtlich sehr gut beherrschte. Als wir drei Mal ueber die Photos gesprochen hatten, stellte sich eine gewisse Routine ein. Die Version des Videos, die in der Galerie Barbara Weiss gezeigt wird, ist auf Englisch. Englisch ist von keinem von uns die Muttersprache, so wird die Kuenstlichkeit der Interview-Situation hervorgehoben - unsere Beziehung ist distanzierter als gewoehnlich. Diese Kuenstlichkeit wird auch durch eines der ausgestellten Photos transparent gemacht. Auf jenem Photo ist die Interview-Ausstattung (Mikrophon, Aufnahmegeraet, Computer) rund um das Sofa, auf dem wir sassen, zu sehen. Es war sehr wichtig fuer mich, ihre Biographie aus meiner Perspektive zu betrachten. Ich habe nicht mit meiner Grossmutter darueber verhandelt, welche ihrer Lebensabschnitte portraitiert werden wuerden. Ich waehlte bestimmte Abschnitte aus, von denen ich dachte, sie haetten eine historische Bedeutung. Ich wollte ihre Geschichte aus der gegenwaertigen Perspektive veranschaulichen und jede Form von Nostalgie vermeiden. Der Sound des Videos ist ein Mix von Auszuegen aus unseren Diskussionen als auch meine eigene Erzaehlung. Meine Grossmutter hatte jedoch auch Kontrolle ueber das Video. So wuenschte sie etwa, dass ihr Name nicht in Verbindung mit dieser Arbeit veroeffentlicht werden wuerde. Sie waehlte die Photoalben aus, die ich durchblaettern durfte [die meisten der Photos von dem Trip 1936 waren auf mysterioese Weise verschwunden]. Meine Grossmutter ist eine sehr artikulierte Person, die schon viel Interview-Erfahrung hat. Ich war erstaunt auf welche Weise sie ihre Geschichten formulierte, wenn sie aufgenommen wurde, im Vergleich dazu, wie sie sie mir im Privaten erzaehlte. Der groesste Unterschied lag darin, wie sie ueber die Menschen sprach, die ihr nahe standen. Anstatt Namen zu nennen sagte sie nur noch >Mein Ehemann<, >meine Tochter<. Sie konnte das private Leben ganz klar vom oeffentlichen Leben trennen. Sie hat Erfahrung mit Tanz und Theater und hat verschiedene berufliche Rollen in ihrem Leben gespielt. Die Rolle, sich selbst in einem oeffentlichen Medium zu repraesentieren, war dementsprechend sehr einfach fuer sie. Frauen sind traditioneller Weise immer auf das >Private< festgelegt worden. Der Feminismus mit dem Slogan: >the private is political< sollte mit dieser Unterscheidung zwischen >oeffentlich< und >privat< brechen. Im Gegensatz dazu konzentriert sich der Globalisierungsdiskurs, in dem meine Arbeit auch angesiedelt werden kann, fuer gewoehnlich in erster Linie auf das >Oeffentliche<: Regierungen, Korporationen und internationale Institutionen. Meine Grossmutter nahm am oeffentlichen Leben teil, in dem sie sich - durch die Ehe mit einem Diplomaten - an der Repraesentation einer Nation beteiligte. Sie hatte mit vielen Prozessen zu tun, die fuer die diplomatische Arbeit sehr wichtig gewesen sind: Dinner organisieren, sich um den Haushalt kuemmern und ihren Mann auf Cocktail- Parties begleiten. Auf diese Art befindet sich ihre Rolle an der Schnittstelle zwischen oeffentlich und privat. Sie befindet sich sehr nah an der politischen Macht, verneint jedoch jede Verwicklung in die Politik: >It is not my job, it is the job of my husband. I am a doctor.< Sie wurde fuer ihre Arbeit als Diplomatenfrau nicht bezahlt und ihre eigene Karriere stagnierte. Sie bereut ihre Entscheidung jedoch keineswegs. Sie hat viel gesehen und viel erfahren. Doch nicht fuer jeden ist diese Entscheidung heutzutage noch so einfach. Die Prozentzahl der Diplomaten-Ehegatten, die in Finnland zurueckbleiben, stieg von 6% 1983 auf 12,9% im Jahr 2001 und 2003 waren es sogar 14,3% [Neovius].

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