Im Rahmen des ErsatzStadt-Projekts zu staedtischem Alltag im globalen Massstab zeigt >Kabul/Teheran 1979ff< ueber 60 Dokumentar- und Spielfilme aus dem Iran und Afghanistan und hat hierzu ueber zwanzig RegisseurInnen und SchauspielerInnen, Exilierte und Zurueckgekehrte eingeladen. Uns interessiert hierbei die staedtische Gesellschaft in Kabul und Teheran, die Lage der afghanischen Fluechtlinge, die Funktionalisierung der prekaeren Situation von Frauen und die Rolle des Kinos in beiden Laendern. Wir markieren den Uebergang auf das Jahr 1979 und folgende: Mit dem sowjetischen Einmarsch eskaliert der Buergerkrieg in Afghanistan, waehrend im Iran der Schah gestuerzt wird und die islamische Republik entsteht.
Seit der islamischen Revolution von 1979 gingen zwei Millionen IranerInnen ins Exil; zugleich fanden nach dem Einmarsch der 4. Armee Millionen AfghanInnen in den Nachbarlaendern Zuflucht. Afghanistan ist das Land mit der hoechsten Zahl von Vertriebenen und MigrantInnen, sowohl im Land selbst als auch ausserhalb. Der Nachbar Iran hat weltweit die meisten Fluechtlinge aufgenommen, und das seit knapp 25 Jahren. Geschaetzte 4 Millionen afghanische Fluechtlinge lebten im Iran, viele davon in der Hauptstadt Teheran, deren Bauboom massgeblich von AfghanInnen bewerkstelligt wurde.
>Afghanistan ist ein Land ohne Bilder<, schrieb der iranische Regisseur Mohsen Makhmalbaf zur Zeit der Taliban-Herrschaft. Iranische Filme gewinnen Preise auf internationalen Festivals; zugleich steht Kino im Iran selbst fuer Modernitaet. Die iranische Filmszene unterstuetzt und beeinflusst die wieder entstehende afghanische Filmproduktion. Iranische FilmemacherInnen wie Majid Majidi, Ali Mohammad Ghasemi oder Azita Damandam reflektieren in ihren Filmen das Leben afghanischer Fluechtlinge in Teheran und den Fluechtlingscamps. Makhmalbaf drehte 2001 den Spielfilm >Reise nach Kandahar<, um auf das nahezu vergessene Afghanistan aufmerksam zu machen. Im November 2002 unterstuetzt er den Regisseur Siddiq Barmak bei Dreharbeiten des Films >Osama<, dem ersten afghanischen Spielfilm nach dem Ende der Taliban-Herrschaft. Die Recherche zu >Kabul/Teheran 1979ff< hat insgesamt ein Jahr gedauert und ihr ging eine erste Reise von Sandra Schaefer voraus, wodurch Kontakte zur Filmszene in Teheran und Kabul bestanden. In Kabul haben wir sehr viel Zeit in den dortigen Archiven verbracht, um im Gespraech mit den Filmemachern, Cuttern und Tonleuten und in Sichtungsdurchlaeufen herauszufinden, was es an Filmen zur Stadt und zum Thema Migration gibt. In Teheran ist die Filmszene sehr viel besser organisiert, gleichzeitig aber auch besser kontrolliert. Wir haben uns auf Filme konzentriert, die vor Ort entstanden sind. Und dabei weniger >Klassiker< des iranischen Spielfilms denn kuerzere, experimentelle und unabhaengig produzierte Arbeiten ausgewaehlt. Hinzu kommen historische Aufnahmen aus Kabul und Teheran sowie zwei grandiose Spielfilme des weitgehend unbekannten afghanischen Filmemachers und Ingenieur Latif Ahmadi. Teheran ist eine Metropole, die Tradition, Moderne und Postmoderne in all ihren Widerspruechen vereint: Eine 12-Millionen-Region ohne Zentrum, die sich in den letzen Jahren massiv veraendern hat. Kabul befindet sich in der Wiederaufbauphase und wird, selbst wenn die vom Ministerium fuer Staedtebau geplanten Wohnungsprojekte alle realisiert werden koennen, mit in Zukunft wohl 5 Millionen Menschen nicht zu Rande kommen. Die informellen Siedlungen stellen eine Loesung dar, da dem Staat die notwendigen Kapazitaeten fehlen, um ausreichend Wohnraum zu schaffen. ErsatzStadt thematisiert neben Kabul und Teheran zuletzt staedtische Alltagspraktiken in Rio de Janeiro/Buenos Aires [>City of COOP<] sowie an Beispielen aus Lagos, Bombay und Istanbul. Dabei gehen wir von der These aus, dass die Europaeische Stadt, die so gerne als globales Vorbild dient, als ueberregulierter, kommerzialisierter und aesthetisch reduzierter Raum selbstorganisierte Aneignungen und Nutzungen beschneidet. Gleichzeitig wollen wir beim Blick auf Staedte des Suedens weder vorgepraegte Katastrophenperspektiven bedienen noch einen romantischen Blick auf staedtischen Alltag inmitten von Krisengebieten werfen, sondern versuchen, dem jeweiligen staedtischen Alltag unvoreingenommen so nahe wie moeglich zu kommen. Wir untersuchen, wie etwa in >City of COOP<, politische Initiativen und kulturelle Alltagspraktiken, die sich gegen Gewalt, Ausgrenzung und Rassismus zur Wehr setzen, oder wir recherchieren etwa in Istanbul die Stadtentwicklung aus der Sicht der urspruenglich illegal entstandenen Armutssiedlungen, die heute zwei Drittel der Stadt ausmachen. Wenn wir auf solche Erfahrungen und Lebensweisen in verschiedenen globalen Metropolen zurueckgreifen, stellen wir das europaeische Vorbild in Frage und versuchen herauszufinden, was die Bewohner der jeweiligen Staedte voneinander lernen koennen.