Europas Durst nach mehr Demokratie

Während die Berliner im Rahmen der Europawahl über das Tempelhofer Flugfeld abstimmten, waren in Thessaloniki die Bürger dazu aufgerufen, über die Privatisierung des städtischen Wasserwerks abzustimmen. Diese Abstimmung wurde von der Regierung in Athen für illegal erklärt. Berliner Gazette-Autor Florian Schmitz berichtet von einer Wahl, die in den Medien unterging.

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Parallel zur ersten Runde der diesjährigen Kommunalwahlen in Griechenland waren die Bürger von Thessaloniki dazu aufgerufen, über die Privatisierung des städtischen Wasserwerks abzustimmen. 98% der Wähler votierten ‚Oxi’ und sprachen sich somit gegen den Verkauf der Firma EYATH aus. Aber: Das Referendum ist informell. Noch am Tag zuvor erklärten das Innenministerium und der oberste Gerichtshof in Athen die Abstimmung für illegal. Und trotzdem gaben 218.000 Menschen ihre Stimme ab.

Organisiert wurde das Referendum durch die Bürgerinitiative Soste To Nero und nicht von der Stadt. „Es ist ein informelles und kein öffentliches Referendum“ , erklärt Giannis Konstantinidis, Professor für Ingenieurswissenschaften und Mitinitiator der Initiative. „Die Stadt Thessaloniki verfügt nicht über die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen. Aber wir glauben, dass wenn genügend Leute abstimmen, dies Druck auf die Regierung ausübt.“

Ebenso wie die zahlreichen weiteren Privatisierungsvorhaben Griechenlands, ist auch dieses von der TROIKA zwar nicht offiziell auferlegt, aber erwünscht. Warum aber gerade die EYATH zum Verkauf steht ist fragwürdig. „Das Unternehmen ist schuldenfrei und kann einen Jahresgewinn von 30 Millionen Euro vorweisen“ , erklärt Jorgos Archontopoulos, organisatorischer Dreh- und Angelpunkt der Bürgerinitiative, sowie Vorsitzender der EYATH Mitarbeitervertretung.

Das Unternehmen in Thessaloniki soll zum einen Teil an die französische Firma ‚Suez’ gehen, die 2008 mit ‚Gaz de France’ fusionierte und zu 35% dem französischen Staat gehört. Zum anderen interessiert sich ‚Mekorot’ für das Wasser in Thessaloniki, ein Betrieb, der zu 100% in den Händen des Staates Israel liegt. „Das ist ja nicht einmal eine richtige Privatisierung, die ja dazu führen soll, Unternehmen aus dem Besitz von Staaten heraus zu führen. Das ist einfach Monopolisierung“ , kritisiert Archontopoulos.

Referendum trotz Verbots aus Athen

Die Hoffnung der Veranstalter war es, durch die organisatorische Kopplung an die Kommunalwahlen eine repräsentative Anzahl Bürger an die Urnen zu bringen. Die Rechnung ging auf. Mehr als die Hälfte der Wähler stimmten auch für das Referendum ab. „Viele Menschen kommen zur Abstimmung und nehmen nicht an der Kommunalwahl teil“ , berichtet eine freiwillige Helferin in einem Wahlbezirk im Ostteil der Stadt, wenige Stunden vor Schließung der Wahllokale. Zum Schluss gaben 40% der gut 500.000 Wahlberechtigten ihre Stimme ab – ein Erfolg, der die kühnsten Erwartungen der Organisatoren übertraf.

Unerwartete Unterstützung kam von der Regierung aus Athen. Am Samstag Mittag, keine 24 Stunden vor Öffnung der Wahllokale, erklärten Innenministerium und der oberste Gerichtshof das Referendum für illegal. Sie begründeten dies mit den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen, untersagten den Veranstaltern des Referendums ihre Urnen in den Wahllokalen aufzustellen und kündigten Strafen an für alle, die Wahllisten aushändigten. „Das ist nur ein Bluff der Regierung“ , kommentierte Juán Antonio Julián, Koordinator der internationalen Wahlbeobachter, das abrupte Vorgehen der Regierung. „Wir glauben sogar, dass dies der ganzen Sache noch einmal an Schub verliehen hat.“

Und er behielt Recht. Die Polizei hielt sich im Hintergrund. Keiner der internationalen Beobachter, die in Delegationen aus Deutschland, Schweden, Italien, den Niederlanden, Bulgarien, Frankreich und Österreich angereist waren, meldete besondere Vorkommnisse. Sie lobten sogar die gute Organisation von Seiten der Veranstalter, besonders vor dem Hintergrund der abrupten Änderungen, die nach dem Athener Verbot vorgenommen werden mussten. Die Wahlurnen wurden vor den offiziellen Wahllokalen positioniert und die Wahllisten auf Vor- und Nachnamen reduziert, um jede Verbindung zu den Kommunalwahlen auszuschließen

Der europäische Gedanke ist basisdemokratisch

Obwohl das Referendum in Thessaloniki gerade in den deutschen Leitmedien nahezu unkommentiert blieb, ist es als Teiletappe auf dem Weg zu einem demokratischeren Europa zu werten. Und für Griechenland, in dem die letzte Volksabstimmung 1974 die Monarchie abschaffte, ist das Referendum ein historisches Ereignis. Dabei gibt es viele Beispiele dafür, dass die Bürger mitentscheiden wollen.

Die European-Citizens-Initiative-Kampagne Right2Water, die sich mit mehr als 2.000.000 Millionen Stimmen europaweit allgemein gegen die Privatisierung von Trinkwasser aussprach, sowie ähnliche nationale Aktionen beispielsweise in Berlin und Paris, zeigen, dass man nicht länger dazu bereit ist, Entscheidungen mitzutragen, von denen man weiß, dass sie sich negativ auswirken.

Für das Referendum waren viele Unterstützer aus ganz Europa nach Thessaloniki gereist, unter ihnen auch Claus Kittsteiner vom Berliner Wassertisch. In zahlreichen öffentlichen Auftritten und Interviews warnte er vor den Folgen der Privatisierungsmaßnahmen, die aus Städten wie Berlin und Paris lange bekannt sind: Stellenabbau und steigende Preise bei eindeutigem Qualitätsverlust. „Man sagt den Griechen, dass sie sparen sollen, aber mit dem Verkauf der Wasserwerke bewirken sie genau das Gegenteil“ , erklärt Kittsteiner.

Ein vereintes Europa führt nicht am Volk vorbei

Das für viele bereits totgeglaubte Europa hat in Thessaloniki vor allem eines gezeigt: Trotz Krisenpolitik und Zwangsprivatisierungen, trotz mangelnder Transparenz der Verwaltungen und der Wirtschaft: Politik ist Sache des Volkes. Der Weg zu einem vereinten Europa darf nicht an der Einbeziehung der Bürger in politische Entscheidungen vorbeiführen. „Es geht hier nicht einfach um Wasser, sondern um die Demokratie als solche“ , erklärt auch Janna Tsokou von Soste To Nero.

Die Stadt Thessaloniki und die Bürgerinitiative können die Abstimmung als großen Erfolg verbuchen. Der hohe organisatorische Aufwand hat sich schon allein deswegen gelohnt, weil ein Großteil der Bürger zumindest aufgeklärt werden konnte. Dass der Verkauf der Wasserwerke gestoppt wird ist unwahrscheinlich. Darüber ist man sich bewusst. In Athen reagiert man gar nicht auf das Referendum und schweigt an gegen die eindeutige Meinung von knapp 220.000 Bürgern. Gerade die Art und Weise der Regierung, das Referendum in letzter Sekunde verhindern zu wollen und das demokratische Grundbestreben der Bürger von Thessaloniki schlichtweg für illegal zu erklären macht deutlich, wie es um die Demokratie in Hellas steht.

Die faschistische ‚Goldene Morgenröte’ konnte bei er Kommunalwahl ihren Stimmanteil auf 15% verdoppeln, die Jugendarbeitslosigkeit wird zum Normalfall und die halbherzigen Verwaltungsreformen treffen niemals jene, die durch Korruption und Vetternwirtschaft die Krise mitverursacht haben. Die Regierung in Athen hat bewiesen, dass sie mit der Situation im Land überfordert ist. Eine direktere Beteiligung der Bürger wird daher immer notwendiger, vor allem um den Griechen nicht den letzten Glauben an die Demokratie aus der Seele zu treiben.

Dabei aber geht es nicht nur um Griechenland an sich, sondern um ganz Europa. Wenn die europäischen Völker nicht lernen, sich, wie im Fall von Thessaloniki, auszutauschen und zu unterstützen, sondern sich weiter von ihren Regierungen zurück in eine nationalstaatlich orientierte Politik treiben lassen, die die Abhängigkeiten der europäischen Länder untereinander einfach ignoriert, ist das europäische Projekt zum Scheitern verurteilt.

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