Alte Protest-Hasen: Was junge Aktivisten zwischen New York & Kairo von den “Yes Men” lernen können

Anonymous, Occupy, arabischer Frühling – das Internet spielt bei den aktuellen Protesten eine wichtige Rolle. Was viele vergessen: Protest 2.0 hat eine lange Geschichte. Berliner Gazette-Autor Clemens Apprich hat darüber mit Mike Bonanno gesprochen. Er ist Mitbegründer der „Yes Men” – einer international agierenden AktivistInnengruppe, die durch ihre künstlerisch-witzigen „Media-Hacks“ Ende der 1990er Jahre bekannt wurde und für die aktuellen Bewegungen eine wichtige Inspirationsquelle ist. WAS BLEIBT von dem frühen Engagement der Gruppe und was können junge AktivistInnen von ihnen lernen?

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Wie kam es zur Gründung von The Yes Men?

Mike Bonanno: Wir wurden 2000 von Konrad Becker zur World-Information.Org-Konferenz nach Brüssel eingeladen. Damals haben wir diese abgefahrene Comicfigur namens „Captain Euro“ für uns entdeckt; das war die Erfindung einer Londoner PR-Agentur, die sich Twelve Stars Communications nannte, um damit die „Europäische Vereinigung“ zu bewerben.

Das war ein wirklich eigenartiger Cartoon über eine europäische Retterfigur, die den Kontinent gegenüber dem bösen „Dr. Divider“, einem ehemaligen Financier und windigen Spekulanten von Antiquitäten, verteidigen musste.

Wir haben dann beschlossen, den ersten US-amerikanischen Fanclub von „Captain Euro“ zu gründen, haben uns Kostüme gebastelt und sind in voller Montur zu dieser Agentur gefahren. Die Leute von Twelve Stars Communications waren freilich ganz erstaunt, dass ihr Comic nunmehr auch in den USA auf Interesse stieß, zumal sie ja in Europa selbst einen schweren Stand hatten; bis auf ein paar EU-ParlamentarierInnen interessierte sich nicht wirklich jemand dafür. Und über diesen Auftritt haben wir ein Video gemacht, das wir dann auf der Ausstellung von World-Information.Org in Brüssel vorstellten.

Das war im Grunde unser erstes Projekt, in dem wir uns für jemand anderen ausgaben und damit auch in den physischen Raum gingen. Das war gleichsam ein Wendepunkt in unserer, also Andys (Anm. d. Red.: gemeint ist Bonannos Partner Andy Bichlbaum a.k.a Jacques Servin) und meiner Arbeit, weil wir aus unserer Rolle hinter den Kulissen heraustraten und von nun an mit diesen gefälschten Identitäten direkt in die jeweilige Situation zu intervenieren begannen. Das war auch der Zeitpunkt, an dem wir beschlossen haben, neue Namen anzunehmen.

Kurz nach Brüssel hattet ihr dann zum ersten Mal die Möglichkeit, als Vertreter der Welthandelsorganisation (WTO) aufzutreten.

Ja, ganz genau! Wir hatten ja bereits 1999 die Domain http://gatt.org registrieren lassen – eine Bezeichnung, die auf das „General Agreement on Tariffs and Trade“ (GATT) zurückgeht und die lange Zeit synonym mit der späteren Welthandelsorganisation verwendet wurde. Dort haben wir eine gespiegelte Seite mit unseren eigenen, sehr absurden Inhalten ins Netz gestellt.

Im Mai 2000 wurde dann über diese Adresse angefragt, ob der damalige WTO-Generalvorsitzende Mike Moore an einer Konferenz über internationales Handelsrecht in Salzburg teilnehmen könnte. Wir haben im Namen Moores höflich abgelehnt, schlugen mit Dr. Andreas Bichlbauer aber einen geeigneten Ersatz vor. Und so fuhren Andy und ich im Oktober desselben Jahres nach Salzburg, wo Dr. Bichlbauer einen Vortrag über die vermeintlichen Stärken des freien Handels hielt.

Wir wurden dabei von der schweiz-österreichischen Gruppe Übermorgen unterstützt, die uns die Zugtickets von Wien nach Salzburg besorgt hat. Außerdem hatten sie damals gerade die Website Vote-Auction.net von James Baumgartner, den ich noch aus den Staaten kannte, übernommen und während des US-Präsidentschaftswahlkampfes behauptet, damit einen einfachen und anonymen Weg anbieten zu können, die eigene Stimme an den Höchstbietenden zu verkaufen.

Das hat für einige Aufregung, auch auf CNN, gesorgt und für uns war das eine gute Gelegenheit, das Projekt auch gleich in Salzburg vorzustellen, als eine Möglichkeit, Demokratie und „freien Markt“ näher zusammenzubringen – was dann von den KonferenzteilnehmerInnen auch recht gut aufgenommen wurde.

Ihr habt diese Form des Aktionismus einmal „identity correction“ genannt. Was ist damit gemeint?

Der Begriff beschreibt zunächst einmal den Versuch, mächtige Organisationen, seien diese nun internationale Konzerne oder staatliche Institutionen, genauer zu portraitieren, als diese sich möglicherweise selbst darstellen.

In unseren bisherigen Aktionen haben wir dies auf zwei unterschiedliche Weisen versucht: Einerseits mit dem Mittel der Satire, indem wir mit übertriebenen Forderungen die Ziele der jeweiligen Organisation karikiert und uns damit auch ein Stück weit über sie lustig gemacht haben; andererseits in einem utopischen Sinn, indem wir die Organisation so dargestellt haben, wie wir sie gerne sehen würden.

So verkündete Andy – als WTO-Mitarbeiter Kinnithrung Sprat verkleidet – einmal auf einer Konferenz in Sydney die Auflösung der Welthandelsorganisation und ihre Neugründung entlang von ethischen Prinzipien, die nicht mehr den Großkonzernen, sondern den Menschen und der Umwelt dienen sollten. Die Reaktionen waren überwältigend!

KonferenzteilnehmerInnen haben enthusiastisch applaudiert und gaben Herrn Sprat nach dessen Vortrag wohlmeinende Tipps, wie man die neue Organisation ihrer Meinung nach verändern müsste, um auch tatsächlich den Armen und Bedürftigen zu helfen. Diese Leute hatten zwar nicht die nötige Autorität, um wirklich etwas zu ändern, und sie wären sicherlich auch nicht über Nacht aus dem System ausgebrochen. Aber sie wussten ganz genau, wie man die Probleme lösen könnte.

Wo ließe sich deiner Meinung nach diese Art des Medienaktivismus verorten? Besteht für dich ein Zusammenhang zwischen der Form und dem Inhalt eures Protests, der sich ja in einem spezifischen historischen und soziokulturellen Kontext bewegt?

Ja, ein Großteil der Dinge, die wir tun, macht natürlich nur in einem größeren Kontext Sinn. Die WTO-Geschichten attackierten ja direkt die neoliberale Welthandelsordnung, die in den 1990er Jahren von einer sehr breiten Bewegung kritisiert wurde.

Allerdings haben die Anschläge auf das World Trade Center auch die globalisierungskritische Bewegung in die Defensive gedrängt, zumal die autoritäre Gesetzgebung und deren teils willkürliche Auslegung in Folge von 9/11 massiv gegen die Protestbewegung eingesetzt wurden. Dadurch hat sich auch für uns einiges geändert: Wir mussten nach neuen Wegen suchen, unsere Proteste gegen ein unmenschliches Wirtschaftssystem umzusetzen.

Das ist auch einer der Gründe dafür, dass wir uns mit anderen Organisationen zusammengetan haben, um deren sehr spezifische Kampagnen zu unterstützen. Am Höhepunkt der sogenannten Anti-Globalisierungsbewegung war es einfach nicht nötig, an einem bestimmten Thema zu arbeiten, es war weniger eine taktische, als vielmehr eine strategische Geschichte.

Und was immer du gemacht hast, es hat im Endeffekt auch der Bewegung im Ganzen geholfen. Ich denke, in dieser Hinsicht hat sich einiges geändert, und unsere Antwort darauf war, stärker mit anderen Organisationen zusammenzuarbeiten und auf bereits laufende Kampagnen aufzuspringen.

Ihr habt Euch also von einer taktischen zu einer strategischen Position gewandt?

Für uns ging es mit Sicherheit in diese Richtung: Wir versuchen, von den anfänglichen Hit-and-Run-Aktionen wegzugehen und uns mehr in politische Kampagnen einzuschalten. Wir waren eine Zeit lang recht glücklich mit unseren Media-Stunts, die ja immer auch für sich alleine standen und nicht in eine größere, strategisch angelegte Kampagne eingebunden waren.

Natürlich können solche kurzfristigen Aktionen Leute anregen, etwas zu tun, aber sie spielen doch keine entscheidende Rolle in der Mobilisierung von Menschen. Das mussten wir auch erst einmal lernen. Mit dem Umbau unserer Homepage versuchen wir nun, eine neue Richtung einzuschlagen, indem wir Tools anbieten, die anderen dabei helfen sollen, sich selbst zu organisieren und wiederum andere zu mobilisieren.

Angesichts der Zunahme an Protesten in und außerhalb Europas stellt sich die Frage, was wir aus den Kämpfen der 1990er Jahre lernen können? Was aus dieser Zeit ist deiner Meinung nach heute noch relevant?

Nachdem die Proteste im letzten Jahrzehnt weitgehend defensiv waren, scheint es derzeit tatsächlich wieder einen starken Zulauf an AktivistInnen zu geben, wobei ich glaube, dass die Protestformen in der Art und Weise, wie sie angewandt werden, einem gewissen Lernprozess unterliegen.

In den späten 1990er Jahren gab es diesen Moment, als es möglich schien, echte Veränderungen in der ökonomischen Ordnung herbeizuführen. Auch wenn wir letztlich in vielen Punkten ganz klar verloren haben, gab es damals zumindest das Gefühl, dass eine breite Koalition aus AktivistInnen etwas erreichen kann.

Und dieses Gefühl scheint heute mit den Revolutionen in Nordafrika und dem Nahen Osten wiederzukehren, auch wenn die Gefahr besteht, dass jene Regierungen, die gerade die autokratischen Regime ersetzen, wiederum ein kapitalistisches System repräsentieren, das an sich immer repressiv ist.

Aber in jedem Fall sind diese Revolutionen inspirierend, und mit ihnen könnte auch jene Einstellung zurückzukommen, die ein Jahrzehnt lang verschwunden schien und mit der die Möglichkeit nach Veränderungen wieder denkbar wird. Also eine Wiederkehr dieses optimistischen Gefühls, das in den 1990er Jahren spürbar war.

Anm. d. Red.: Dieser Beitrag ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung des Interviews, das in dem Buch Vergessene Zukunft erscheint (transcript 2012). Das Foto oben zeigt Andy Bichlbaum bei der WTO-Aktion in Salzburg.

5 Kommentare zu “Alte Protest-Hasen: Was junge Aktivisten zwischen New York & Kairo von den “Yes Men” lernen können

  1. Schönes Interview mit einem Veteran der Aktivisten-Szene! Unübertroffen, diese YES-Men. Vielen älteren Aktivisten kommt dieses Jahr wie ein deja-vu vor – man fühlt sich in die Zeit unmittelbar vor 911 zurückversetzt, also mindestens zehn Jahre zurück. In der Zwischenzeit ist natürtlich viel passiert, in Deutschland z.B. die Hartz-Gesetzgebung. Dadurch haben die occupy Proteste jetzt eine soziale Ausrichtung, die die Aktionen in den 90ern so nicht hatten. Das ist eine Chance. Und in den Gewerkschaften ist das Community Organizing angekommen – 20 Jahre zu spät, aber hoffentlih nicht zu spät. Viele gute Leute, die früher auf den Unis in Gruppen waren haben sich jetzt diesem sozialen Aktivismus zugewandt, auch hier gibt es also noch einiges von den USA zu lernen (man glaubt es kaum). Weiter so!

  2. und auch ziemlich unerhört — also viele von den Aktionen sind sehr unglaublich… wenn man das kennt, dann versteht man bzw. frau vielleicht etwas besser, was ANONYMOUS treiben… also für mich steht das jetzt nicht mehr so komplett ausserhalb der normalen Wirklichkeit, da es ja scheinbar eine Tradition zu geben scheint, sich so richtig aus dem Fenster zu lehnen. Alles auch ziemlich verwirrend. Wer sind diese Leute im Alltag? Ist mein Becker auch einer von denen? Solche Fragen muss ich mir jetzt stellen.

  3. guter Punkt!

    “Und dieses Gefühl scheint heute mit den Revolutionen in Nordafrika und dem Nahen Osten wiederzukehren, auch wenn die Gefahr besteht, dass jene Regierungen, die gerade die autokratischen Regime ersetzen, wiederum ein kapitalistisches System repräsentieren, das an sich immer repressiv ist.”

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