Syrien-Konflikt: Existiert ein dritter Weg?

Die Meinungen über den zunehmend blutigen Konflikt in Syrien konzentrieren sich auf zwei Szenarien: Entweder man respektiert das Assad-Regime oder man favorisiert eine Intervention des Westens. Die Bloggerin, Nahost-Expertin und Internet-Aktivistin Jillian C. York rückt die blinden Flecken des Diskurses ins Blickfeld und fragt: Gibt es einen dritten Weg?

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Als die Unruhen in Syrien begannen, benutzten noch viele Twitter-Profile eine kleine syrische Flagge als Avatar. Egal, ob pro-Assad, pro-Opposition oder pro-Etwas-Ganz-Anderes – alle konnten sich auf das gleiche Symbol einigen: waagerecht die Farben Rot, Weiß und Schwarz und auf der Mitte, im Weißen, zwei grüne Sterne. Denn in Syrien ist man Syrer, egal, welche Position man zum Regime bezieht.

Ein isolierender Nationalismus war unter Syrern zu Beginn der Aufstände noch Teil jeder politischer Unterhaltung. Opposition und Befürworter des Regimes vertraten beide zu gleichen Teilen die Ansicht, Syrien sei eine Sache der Syrer und syrische Angelegenheiten also ausschließlich von Syrern zu diskutieren. Inzwischen, mit dem Anstieg der Opfer in dem blutigen Konflikt, haben sich die oppositionellen Gruppierungen Syriens auf der Suche nach Hilfe in ihrem Kampf zunehmend dem Ausland zugewandt. Gleichsam versuchen die „anti-imperialistischen“ Gruppierungen, den Oppositionellen ihren Rückhalt abzulaufen.

Persönliche Verwicklungen

Bevor ich weiterschreibe, möchte ich meine Karten auf den Tisch legen: Syrien ist für mich ein persönliches Thema. Meine Verbindungen dahin sind stark, facettenreich, mithin auch freundschaftlich. Aber ich bin keine Expertin: Meine Zeit in Syrien war kurz, und meine Studien des Landes akademischer Natur. In Damaskus ist es mir manchmal schwer gefallen, die Horrorgeschichten meiner Freunde über Missbrauch, Unterdrückung und Folter in Einklang zu bringen mit der schönen Ruhe dieser Stadt, in die ich seit damals verliebt bin.

Als im März 2011 die ersten Proteste aufkeimten, war ich zwar enthusiastisch, aber auch vorsichtig. Ich weiß um die Komplexität der syrischen Lebenswahrheit, die ethnische Vielfalt und die schwierige Stellung des Landes innerhalb der Welt. Ich unterstütze meine Freunde, die ihr Leben riskieren, wenn sie protestieren, Fotos und Videos machen, Berichte verfassen und zu der Presse sprechen. Meine Sympathien gehören der Opposition.

Ich bin nun Zeugin einer Tragödie nicht nur der skrupellosen Gewalt des Regimes gegen das Volk Syriens, sondern auch der Polarisierung von Kommentatoren, den Medien und – vorrangig – von Syrern. So habe ich in den letzten Monaten fast täglich Meinungen über Syrien gelesen. Diese Obsession entstand aus einem einfachen Grund: Die US-Medien, besonders die New York Times und die Washington Post, zitierten immer wieder dieselben zwei Syrer – beide leben im Ausland. Es war unerträglich. Die Medien außerhalb den USA waren auch nicht besser. Und da ich meine Freunde in Syrien nicht über ihre Meinungen löchern wollte, habe ich mir vorgenommen, stattdessen so viele Meinungen wie nur möglich zu lesen. Was ich bei meinen Recherchen herausfand, frustrierte mich.

Zwei Meinungsbilder ohne verlässliche Umfragewerte

Unter den Meinungsbildern, seien sie aus Syrien oder aus dem Ausland, taten sich zwei als vorherrschend hervor: Das erste vertritt den Standpunkt des Syrischen Nationalrats, dem Apparat der syrischen Opposition im Exil. Dieser Bereich von Meinungen reicht von der Position des Nationalrats, der eine Intervention verlangt, bis hin zu den militaristischen Rufen – wie dem von Daniel Byman in Foreign Policy – nach einer Intervention aus dem Ausland. Das zweite Meinungsbild entsteht im Dunstkreis der Anti-Imperialisten. Sie vermeiden es weitestgehend, das Assad-Regime zu verurteilen, und implizieren, dass jede Alternative eine schlechtere sei.

Diese Gruppe sorgt sich sehr zu Recht über die möglichen Folgen einer Intervention, die ich nur oberflächlich betrachten werde. Das erste Bedenken gilt dabei dem allgemein in der arabischen Welt gefürchteten Kulturimperialismus. Gefolgt wird dieses von den legitimen Ängsten vor einem Bürgerkrieg. Danach kommt eine Reihe Bedenken bezüglich existierender Interventionen durch fremde Mächte in Syrien, vom Nationalen Demokratischen Institut über die CIA bis hin zum Arabischen Rat.

Was bleibt, ist die Tatsache, dass es keine verlässlichen Umfragewerte von Syrern in Syrien gibt, die die Behauptung, die Mehrheit würde Assad noch immer unterstützen, belegen könnten. Das Problem besteht darin: Die eine Seite (wie Shadi Hamid) verwendet das Fehlen von Statistiken, um zu implizieren, der Syrische Nationalrat repräsentiere definitiv den Willen des syrischen Volkes, während auf der anderen Seite Koryphäen wie Ed Husain und Sharmine Narwani diskreditierte oder komplett unwissenschaftliche Umfragen auf Facebook verwenden.

All das weist darauf hin, dass es einen ernsthaften Mangel an Verständnis vor Ort gibt. Einige, darunter auch Narwani, rügen die Medien dafür, nicht verifizierte Behauptungen weiterzugeben, ohne diese vom Staat zu verlangen. Die offensichtliche Antwort darauf ist, dass keine wirkliche Verifikation möglich ist, solange das Regime die Türen für die ausländischen Beobachter verschlossen hält.

Gibt es einen dritten Weg?

Joseph Massad skizziert in Al Jazeera einen dritten Weg. Er vergleicht Syrien mit dem Irak von vor zehn Jahren und schreibt: „Die Irakische Exilopposition bestand gemeinsam mit den Befürwortern des US-Imperialismus und dem Chor der US-amerikanischen Intellektuellen, die pro-Krieg waren, darauf, dass es nur eine von zwei Wahlmöglichkeiten gibt: für oder gegen Saddam. Die USA und ihre irakischen Partner haben ihr Ziel erreicht, aber die anschließende Vernichtung des Iraks, die Auflösung der Staatsstrukturen und die Zerstörung der gesellschaftlichen Einheit sind der deutlichste Beweis dafür, welche Folgen diese Wahl für die Iraker und ihr Land hatte.“

Massad reflektiert die Wiederholung dieses Entweder-Oder-Szenarios in Libyen, wo die gleiche „mit uns oder gegen uns“-Mentalität vorherrschte und fügt hinzu: „Durch die Rufe nach militärischer Intervention beschwört die syrische Exilopposition ohne Originalität dieselben infantilen und tückischen Entscheidungen, die die anti-imperialistischen und pro-demokratischen Araber und Nicht-Araber der bereits bankrotten Exiloppositionen Iraks und Libyens hatten, nämlich, dass es nur eine Wahl gibt: für oder gegen Assad.“

Ich finde Massad spricht sehr wichtige und richtige Punkte an. Angesichts seines Erfahrungsschatzes aus dem Irak glaube ich nicht, dass er nur Lippenbekenntnisse macht. Aber wie es Maysaloon in dem besten Artikel, den ich seit Monaten über Syrien gelesen habe, formuliert: Massads Einwände sind etwas lebensfern.

Hier ist das Problem: Weil er für einen dritten Weg streitet, also für einen einheimischen Aufstand ohne externe Unterstützung, deutet Massad nicht nur an, dass solch eine Möglichkeit existiert, er glaubt auch, dass sie ausreichend Unterstützung gewinnen könnte. Genau wie Joshua Fousts Meinung, dass Russlands UN-Veto nur ein Ergebnis der Intervention in Libyen war, den Fakt außer Acht lässt, dass Russland sich bereits an den Landesgrenzen befand, bevor eine NATO-Intervention Libyens überhaupt zur Diskussion stand, so ignoriert Massad, dass viele Syrer die Aufstände nicht unterstützen.

Auf der Suche nach Lösungen

Welcher Natur die Fehler des Nationalrats und der Freien Syrischen Armee sind, es bleibt die Tatsache, dass es einen einheimischen und echten Aufstand in Syrien gibt. Wie Maysaloon würde ich fragen: Machen die Fehler seitens der syrischen Revolution ihre Sache „weniger unterstützenswert im Licht der Unterdrückung, gegen die sie ankämpft?“

Denjenigen, die es wagen, die Unterdrückung in Syrien zu leugnen, habe ich nichts zu sagen – außer: Ihr seid blind. Dem Rest, der zwar anerkennt was passiert, aber wegguckt: Ich bin nicht überrascht. Ihr erinnert mich an diejenigen, die zwar die palästinensischen Leiden anerkennen, aber die der Israelis für wichtiger halten. Für mich gibt es keinen Unterschied: Unterdrückung ist Unterdrückung, egal ob sie von einem Besatzer oder einer besetzenden, fingiert gewählten Dynastie herrührt.

Aber zur Frage der Intervention selbst bin ich weniger eindeutig gestimmt. In Bezug auf Libyen habe ich den Mund gehalten und mich entschlossen, Libyer in ihrer Opposition des Irren Gaddafi zu unterstützen, bin aber davor zurückgeschreckt, eine Intervention zu unterstützen. Mit Syrien, da ich geliebte Menschen in Damaskus, Aleppo und Swaida habe, ist es für mich sehr viel schwieriger, ambivalent zu bleiben. Ich weiß, dass sich einige unehrlich verhalten und eine Intervention alles noch schlimmer machen könnte. Ich weiß auch, dass jeder Tote, der durch die Hand der Regierung stirbt, ein Toter zu viel ist, egal, ob die oft genannte Zahl von 5.000 Opfern oder die noch geringere von 3.000 Toten stimmt oder nicht.

Das ist nur meine Art zu sagen, dass ich nicht weiß, was ich denken soll. Ich befrage meine Freunde in Syrien regelmäßig und erkenne, dass sie in ihren Schlussfolgerungen sehr zögerlich sind. Letzten Endes stimmen ihre Schlussfolgerungen mit der von Rime Allaf in der New York Times überein:

„Es ist unwichtig, wie viel Unterstützung Bashar al-Assads Regime noch hat, auch ist es schlussendlich egal, warum seine Anhänger sich immer noch an die Illusion klammern, sie könnten an der Macht bleiben. Das Regime lebt seit fast einem Jahr von Morden, Folter und Inhaftierung, und ist dennoch nicht fähig, den Widerstand zu brechen, der jetzt begonnen hat sich zu bewaffnen und zu verteidigen. Es ist eine Frage der Zeit und es ist unklar, wie die Veränderung bewirkt wird, aber die Mehrheit der Syrer sind sich sicher: Wir haben das Ende einer Ära erreicht.“

Leider habe ich, wie Allaf, keine Lösungen anzubieten.

Anm. d. Red.: Aus dem Englischen übersetzt von Anne-Christin Mook. Die Aufnahmen im Text sind Standbilder aus einem YouTube-Video des Nachrichtensenders CNN.

5 Kommentare zu “Syrien-Konflikt: Existiert ein dritter Weg?

  1. Gute Zusammenfassung der Meinungen – fernab von scharz und weiss. Ich hab auch neue Stimmen gehört, die ich in den Printmedien nicht lese.

  2. Spätestens nach dem Versagen der UNO in Ruanda hätte die Weltgemeinschaft daraus lernen müssen, im Sinne von Nachsitzen. Wie htte die Lehre aussehen können? Mein unbedarfter Schnellschuß: Die Errichtung einer mittelgroße militärische Eingreiftruppe für den Fall der Fälle. Die hätte jetzt in Syrien zum Einsatz kommen können, hätte im Grenzbereich neutrale Territorien eingerichtet, unter Gewaltanwendung. Und nach einem mehr oder weniger festen Zeitplan wird der syrischen Regierung ein Ultimatum gestellt. Selbstredend, dass dies nur mit Rußland und China zusammen funktioniert. Hätte, hätte – aber nichts dergleichen ist überlegt worden. Wie lange liegt Ruanda zurück? Ein Trauerspiel.

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