Ich weiss nicht, was Sie gerade hoeren; nicht unwahrscheinlich Musik aus Ihrem Mediaplayer, Festplattenzirpen, Buerogeraeusche vielleicht, sehr wahrscheinlich soeben auch das Signal eines Rechners, das Ihnen anzeigte, es sei eine neue Mail fuer Sie eingegangen. Ich jedenfalls sitze, an diesem und einigen anderen Abenden und Morgen im Oktober 2005, an meinem Notebook und schreibe diesen kleinen Text. Nebenher spielen einige Alben von Bob Dylan, das letzte Album von Metric oder Supergrass, Paul McCartney oder Nada Surf. Paul Weller.
Doch was sagt das? Was sagte das Ihnen? Wissen Sie jetzt genauer, was ich und wie ich es hoere? Und umgekehrt: Kann ich ueberhaupt ahnen, was Sie hoeren in diesem Moment, da Sie diese Zeilen lesen – und wie Sie es hoeren? Wir muessten uns wohl zusammensetzen [medial vermittelt oder im gleichen physischen Raum], um das alles von einander zu erfahren; und wir muessten beginnen, einander Geschichten zu erzaehlen. Wir muessten und wuerden uns dabei bemuehen, einander moeglichst klar darzulegen, wie die einzelnen Klaenge oder Klangschichtungen beschaffen waren, die wir da hoeren konnten – und wie wir sie wahrnehmen und erleben konnten. Weiterhin wuerden wir versuchen, einander zu erzaehlen, wie das eben Gehoerte, wenn es denn ueberhaupt [Pop-]Musik war, sich im Zusammenhang der Entwicklungen und Veraenderungen von Produktionsstilen dieses Musikers oder jenes Projekts darstellt. Wir wuerden, am Ende, von uns selbst erzaehlen. Wie wir mit Musik und Klaengen leben – auch wenn gerade keine Musik laeuft.
Der britische Musikkritiker und DJ Kodwo Eshun hat diese Art und Weise, um Klaenge herum erlaeuternde, entfaltende und sich erklaerende Erzaehlungen zu fabulieren – persoenlich grundiert und dabei hochfiktional, ja imaginativ -, Kodwo Eshun hat dieses Sprechen >Sonic Fiction< genannt. Diese >Klang Erzaehlungen<, die von physiologischen und psychosomatischen Resonanzen herruehren, muenden dabei in einem koerperlich-gedanklichen Resonieren. Hoeren wir Klaenge, so durchdringen unseren Koerper Vibrationen, die nicht folgenlos bleiben. In Worten und [Tanz-]Gesten, mimischen Aeusserungen, ja in unserer ganzen Bewegungsform und unserem Lebensstil tragen wir diese rhythmisch-klanglichen Anregungen fort, die uns erreicht, umspuelt und durchzittert haben. Das klingt eigenartig? Kaum. Wir sind diese Art des Sprechens gewohnt, wenn wir ueber Geschmaecker oder Gerueche sprechen. Da nur eine Person die jeweils entsprechenden Molekuele in ihren Metabolismus aufnehmen kann, und diese wiederum mit der bakteriologischen Flora und den Eigengeruechen des Koerpers reagieren, kann nur diese eine Person - Sie oder ich - etwas schmecken. Diese Geschmackserfahrung laesst sich aber nicht transportieren; ausser im Erzaehlen von Empfindungen und Erlebnissen, Erinnerungen und Andeutungen. Sprechen wir aber von Klaengen, so sieht jede Aeusserung darueber sich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, lediglich einer Selbstbespiegelung zu dienen und private Phantasierei zu sein. Ein Vorwurf, den ambitionierte Musik- und auch Kunstkritik hoeren muss seit den >Herzensergiessungen eines kunstliebenden Klosterbruders< [1797], eine Unterstellung, die die gern parodierten Monologe der Kunstkritik ebenso trifft wie die als privatsprachlich oder gar fachidiotisch gebrandmarkten Reviews der De:Bug. In all diesen Beispielen bemuehen die AutorInnen sich allerdings hoechst ernsthaft darum, ein Sprechen und Denken in armen Multiple Choice-Phrasen zu vermeiden und vielmehr der individuellen Empfindungsgenauigkeit Raum zu geben. Klangoekologen um Raymond Murray Schafer und Barry Truax im kanadischen Vancouver haben seit den spaeten 1960er Jahren auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, das individuelle Gespuer fuer Klanggestalten – auch ausserhalb von Musik - nicht zu verlieren. Sie haben den >Soundwalk< oder auch das >Sound Diary< sowie entsprechende graphische und literarische Aufzeichnungsformen entwickelt, um Kommunikation ueber Klangerleben ueberhaupt moeglich zu machen. Mit anderer Zielrichtung arbeitet seit den 1980er Jahren auch der Komponist und Musiktheoretiker Denis Smalley an einer beschreibungsgeeigneten Begrifflichkeit speziell fuer elektroakustische Musik. All diese Ansaetze, dem Sprechen ueber Klaenge neue Methoden und Anerkennung zuteil werden zu lassen, machen deutlich: Kommunikation ueber Klaenge und mit Klaengen - musikalisch gebunden oder auch nicht - verlangt eine genuin andere Art des Sprechens und Konzipierens als dies Schrift- und Bild-Kulturen gewohnt sind und jahrhunderte- ja jahrtausendelang eingeuebt haben. Diesem Projekt sieht sich auch der Studiengang >Sound Studies – Akustische Kommunikation< der Universitaet der Kuenste Berlin verpflichtet, deren Studienleiter ich bin. Ab April 2006 werden hier KlanggestalterInnen und KlangberaterInnen ausgebildet, die in Teams und Entwicklungsprozessen der Stadtplanung oder Unternehmenskommunikation, der Architektur oder AV-Medienproduktion, in kuenstlerischen und in wissenschaftlichen Projekten einer >hearing perspective< [Sam Auinger / Bruce Odland] Stimme und Gewicht verleihen - die Bewerbungsfrist fuer den Jahrgang 2006 laeuft uebrigens noch bis zum 14. November 2005. Meine Kollegen und meine Kollegin Sabine Breitsameter, experimentelle Radioproduzentin und renommierte Publizistin zum Thema, Karl Bartos, Kraftwerk-Musiker von 1975-1991 und damit einer der Mitbegruender elektronischer Popmusik sowie Carl-Frank Westermann, Corporate Sound-Entwickler der Berliner Agentur MetaDesign, arbeiten gemeinsam mit mir daran, einer Berufspraxis hierfuer die noetige Ausbildung und Fundierung zu geben. Autodidaktisch wird sie schon laengst ausgeuebt, im allzuhaeufig schlechtesten Fall aber oft nur modisch und von momentanen Vorlieben gepraegt - ohne fundiertes Wissen um die Wirkung und Moeglichkeiten von Klaengen. Klanganthropologie uebernimmt im Rahmen des Studiengangs dabei die Aufgabe einer kulturwissenschaftlichen Grundlagenwissenschaft vom Erleben der Klaenge. Arbeitsmaterial und Untersuchungsmedium sind hier die vielen Aeusserungen menschlicher Kultur, vor allem aber die [Fach-]Sprachen, Soziolekte und Idiolekte des Handwerks, der Kunst, der Wissenschaft und der Passion. So erkundet sie Klangumgebungen und Klangerfahrungen und misst das Kontinuum zwischen kuenstlerischen, gestalterischen, konzeptuellen und wissenschaftlichen Wegen des Hoerens aus. Das Erforschen der Prinzipien, Motive und Stile all dieser >Klang Erzaehlungen< wird dabei zunaechst am Anfang stehen. Und wir werden sehen, welche Sprachen sich hier gebildet haben, gerade beginnen hoerbar zu werden oder kuenftig noch zu entdecken sind.