Wenn ich an die ersten Jahre meiner Kindheit zurueckdenke, dann kommen mir vor allem Szenen aus Santa Isabel in den Sinn, einem kolumbianischen Dorf des Tolima-Bezirks, in dem ich geboren wurde. Die Arbeit auf dem Feld meiner Familie und der Verkauf der darauf erwirtschafteten Produkte auf dem Dorfmarkt, haben sich in meinem Gedaechtnis wohl am staerksten eingebrannt.
Spaeter habe ich eine ganze Reihe von Jobs gehabt. Ich habe in Goldminen gearbeitet, Zeitungen verkauft und bisweilen auch in dem Gehoeft meines Opas ausgeholfen. Dann brach in den 1950er Jahren eine Zeit der Gewalt an. Meine Familie verlor alles und musste nach Ibague ziehen, wo ich noch immer lebe.
Als ich mein Ingenieurs-Studium im Bereich der Agrarwissenschaften an der Universidad del Tolima beendet hatte, machte ich noch einen Master als Bibliothekar an der Catholic University of America und arbeitete in den darauffolgenden Jahren in zahlreichen Bibliotheken. Meine Beziehung zu Kultur wurde in Folge dessen immer weiter vertieft und weil ich das professionalisieren wollte, nahm ich ein weiteres Studium des Kulturmanagements auf. Gleichzeitig bildete ich mich in Sachen Menschenrechte weiter.
Ich war schon zu Beginn meiner Studien als Autor hervorgetreten und hatte auch zahlreiche Ideen, um Kulturprojekte zu realisieren, unter anderen kam mir frueh die Idee, ein Museum zu erschaffen. Je deutlicher mir die Tragweite des Buergerkrieges in meinem Land vor Augen trat, desto klarer wurde mir, dass ich meine Qualifikationen nutzen musste, um solche Ideen zu verwirklichen.
Unsere Gemeinde war zerfurcht von den staendigen Gefechten. Zahllose Menschen hatten ihr Zuhause verloren, weil ihre Haeuser zerstoert wurden oder weil sie fliehen mussten. Die Region war verarmt. Die Abwesenheit des Staates hatte darueber hinaus ein Klima der Rechtlosigkeit entstehen lassen. Die Bevoelkerung wurde dadurch noch mehr verunsichert. Der Verlust der kulturellen Identitaet war die Folge und zugleich die Spitze des Eisbergs.
Seit meiner Kindheit haben Ausgrabungen und archaeologische Funde unterschiedlichster Art mein Leben begleitet: Von Grabstaetten aus der Inkazeit bis hin zu Staetten von Arte Rupestre. Je mehr ich davon sah und je systematischer ich mir diese Welt zu erschliessen begann, begriff ich, dass darin ein Schluessel zu unseren Problemen liegen koennte. Sollten solche Hinterlassenschaften unsere zerrissene Gemeinschaft nicht mit einem neuen Sinn erfuellen? Vor diesem Hintergrund wurde das Projekt >Arte Rupestre y Cultura Popular< geboren, in dessen Mittelpunkt Petroglyphen stehen. Die gesamte Gemeinschaft ist an diesem Projekt beteiligt. Alle helfen mit, das Vorkommen dieser altertuemlichen, in Stein gemeisselten Sprache zu erfassen. Es gilt den Bestand zu lokalisieren und zu kartografieren. Dann muss er fotografiert und katalogisiert werden. Im zweiten Schritt geht es darum, die Petroglyfen einer breiteren Oeffentlichkeit zugaenglich zu machen. Dazu organisieren wir Spaziergaenge zu den entsprechenden Stellen, an denen Schulklassen benachbarter Doerfer teilnehmen, begleitet von Eltern und Vertretern der jeweiligen Gemeinde. Ausserdem geben wir Radio-Interviews, schreiben Artikel, publizieren Buecher, uvm. Die fremde Sprache der Petroglyphen kommt uns in Zeiten, da uns die von dem Dauerkrieg zerfurchte Realitaet haeufig so sehr befremdet, ueberaus gelegen. Es ist als koennten wir mit ihr unsere kulturelle Identitaet noch einmal neu erfinden. Die Petroglyphen sind Hinterlassenschaften einer vorkolonialen Vergangenheit, in der unsere Gemeinde einen gemeinsamen Nenner erblicken kann. Vielleicht auch einen gemeinsamen Ursprung. Die Zeichen, die bisweilen ihren Bildcharakter verlieren und zu Strichen und Strichgruppen verkuerzt werden, erscheinen mystisch, zumal es zahlreiche Bezuege zur schamanistischen Kosmografie, sowie zum Kosmos der Mythen gibt. Meine Aufgabe besteht darin, aufzuzeigen, dass gerade darin die Gemeinsamkeiten mit der Kultur unserer Gegenwart bestehen. Weil es trotz der grossen Unterschiede Kontinuitaeten gibt. Kulturelle Zeichen, die die Welt von gestern mit unserer Zeit teilt. In diesem Sinne bin ich wohl ein Uebersetzer. Sollte in Zukunft ein Woerterbuch fuer diese Sprache entstehen, so wuerde ich mir wuenschen, dass es nicht allein von Leuten wie mir verfasst wird, sondern von der gesamten Gemeinde.