Als sich apokalyptische Visionen um die Jahrhundertwende verbreiteten, wurde auch der Untergang des Schreibens prophezeit. Intuitivere Kulturtechniken als das Schreiben erschienen in Zeiten der so genannten “digitalen Revolution”, die inzwischen zu einem Massenphänomen geworden war, als zeitgemäßer – Kulturtechniken etwa, deren Grundlage das Sprechen, Hören oder Sehen ist. Irgendwie schienen sie besser zu der damaligen Aufbruchstimmung zu passen. Doch etwas anderes ist passiert.
Die Aufbruchstimmung der Nuller Jahre stand im Zeichen des Mobilen. Medientechnologien wurden drahtlos – nicht nur für einen kleinen Teil der Gesellschaft wie noch in den 1980er Jahren als die ersten Mobiltelefone auf den Markt kamen, sondern für die großen Massen. Und so schien sich ein tieferes Verschmelzen dieser Technologien mit einer Gesellschaft zu vollziehen, die drauf und dran war, vollends in Bewegung zu geraten – Mobilität galt als das neue Paradigma für das Zusammenleben im 21. Jahrhundert.
Das Handy und das “Verschwinden des Schreibens”
Das Mobiltelefon war nicht das einzige, aber wohl das schillerndste Symbol dieser Aufbruchstimmung: Man sah es bei Flüchtlingen auf dem Balkan, bei Geschäftsleuten in den Metropolen Afrikas und bei Passagieren in Tokios überfüllten U-Bahnen.
Ganz nebenbei schien die immer kleiner werdende Universalmaschine Handy das Verschwinden des Schreibens einzuläuten – die damals aufkommenden SMS-Kulturen konnten als das letzte Aufflackern der altehrwürdigen Kulturtechnik angesehen werden.
Die Miniaturisierung des Geräts brachte nicht zuletzt eine Miniaturisierung der Keyboards mit sich, was, so dachte man, nur dazu führen konnte, dass man dem Schreiben fortan den Rücken kehren würde. Wie sollte man auf immer kleiner werdenden Tastaturen überhaupt noch tippen können? Geschweige denn wollen? Und war nicht die Stimmerkennungstechnologie zum Greifen nahe – und damit auch die Möglichkeit, das gesprochene Wort in Texte zu verwandeln?
Eine Neudefintion des Schreibens
Das Verschwinden einer Kulturtechnik wird meistens heraufbeschworen, wenn sie einer grundlegenden Transformation unterworfen ist. In diesem Sinn kann die Rede vom Verschwinden nur ein Symptom für Prozesse sein, die hinter der Rede als solche opak bleiben und deshalb genauer unter die Lupe genommen werden sollten.
Solche Prozesse vollziehen sich meistens auch im Inneren von landläufigen Definitionen. Und wenn eine Definition bei genauerer Betrachtung auf den Prüfstand gestellt wird, erweist sie sich häufig als unangemessen und obsolet. Dies gilt auch für die Definition des Schreibens.
Das Schreiben wird häufig auf einen Aspekt reduziert. Und zwar auf das bloße Hervorbringen von Schrift: Wörter, Sätze, Aufsätze, Bücher. Das Mobiltelefon als Schreibmaschine ist in diesem Zusammenhang ein gutes Beispiel: Die besagten Prognosen vom Verschwinden des Schreibens bezogen sich fast ausschließlich auf das Tippen.
Die kleinste Schreibmaschine der Welt galt den Menschen zugleich als letzter Schreibmaschinentypus in der Geschichte, weil man auf ihr nicht mehr so bequem tippen kann. Doch kann Technologie-gestütztes Schreiben tatsächlich auf bloßes Tippen reduziert werden?
Schreiben in Zeiten der Autovervollständigung
Etliche Jahre nach dem Bekanntwerden der unter Mobiltelefon-NutzerInnen verbreiteten Krankheit namens Daumenarthritis tippen heute immer mehr Menschen auf dem Mobiltelefon oder auf anderen mobilen Schreibmaschinen wie Laptops, Netbooks, Smartphones, iPhones und iPads.
Dieses Schreiben bringt zwei Typen von Text hervor. Einerseits Texte, die in der Nähe der klassischen AutorInnentätigkeit angesiedelt werden. Beispielsweise SMS-Romane, Facebook-Poesie oder Twitter-Journalismus. Andererseits kategorisch unliterarische, unjournalistische und unwissenschaftliche Texte, die nicht als Teil der Wissensproduktion angesehen werden: Kurznachrichten, Statusmeldungen, PIN-Codes, Login-Daten, Passwörter, Links, etc.
Ich meine, dass das Schreiben dieser Texte enorm viel über unser Wissen aussagt und auch darüber wie unser Wissen organisiert wird. Denn es sind solche Texte, die die Welt, in der wir leben, wie kaum andere schriftliche Artefakte zusammenhalten.
Nehmen wir Facebook als Beispiel. Dieses soziale Netzwerk wird von seinen weltweit über 500 Millionen NutzerInnen im zunehmenden Maße mobil genutzt. Frei nach dem von der Zuckerberg-Firma geprägten Motto: “Du brichst auf? Bleib in Verbindung!“ Wenn ich nicht die ganze Zeit eingeloggt sein möchte, aber dennoch immer auf dem Laufenden bleiben will, selbst dann, wenn ich unterwegs bin, kann ich mich benachrichtigen lassen, wann immer etwas Neues im Netzwerk passiert.
Dabei handelt es sich meistens um Ereignisse, die mir nicht nur via Text bekannt, sondern im Zweifelsfall auch via Text ausgelöst werden. Wie unterschiedlich diese Ereignisse sein können, zeigt sich nicht zuletzt an den Kontoeinstellungen im Bereich “Benachrichtungen“. Hier kann ich auswählen, worüber ich per Email oder SMS benachrichtigt werden möchte. Es gibt circa 60 Kategorien. Und es werden immerfort mehr.
Von diesen verschiedenen “Ereignis-Typen“ wird ein Großteil von Schreibvorgängen ausgelöst, die nur selten mehr umfassen als einige wenige Tastenkombinationen. In nicht wenigen Fällen kommt dem Schreibvorgang das Gedächtnis des Netzwerks sogar zuvor und komplettiert automatisch angefangene Wörter oder Namen – die so genannte Autovervollständigung, die man auch schon von Google kennt. Wenn ich beispielsweise den Hinweis auf eine Veranstaltung mit einem Freund oder einer Freundin teilen möchte, aktiviere ich den “Teilen“-Button und muss dann nur noch die ersten Buchstaben seines oder ihres Namens eingeben, um den Adressaten festzulegen.
Kommt das Schreiben zu sich selbst?
Diese Textproduktion ist kein Anzeichen für das Verschwinden des Schreibens, sondern vielmehr dafür, dass das Schreiben in gewisser Weise zu sich selbst kommt. Zumindest, wenn man in Anlehnung an Jacques Derrida davon ausgeht, dass Schreiben in erster Linie nicht Kommunizieren bedeutet, sondern Registrieren. Im Sinne von Einschreiben, Eintragen, Erfassen, bzw. Aufnehmen, Ablegen, Speichern.
So gesehen erklang kein Kassandraruf als Boris Groys im Jahr 2000 bei der Tagung “Elektrolit – Lesen und Schreiben im digitalen Zeitalter” seiner Beschwerde, das Schreiben bereite ihm unzumutbare körperliche Mühen, die Forderung folgen ließ, fortan sollte man als AutorIn allenfalls nur noch editieren – aber eben nicht mehr tippen müssen. Wenn wir nicht mehr (so viel) tippen sollen, dafür aber (mehr) editieren, dann verschwindet nicht das Schreiben, dann zeigt es sich transformiert, gewissermaßen von einer anderen Seite.
Wenige Jahre später leistete der Philosoph Maurizio Ferraris argumentatorischen Beistand als er in seiner vielfach übersetzten “Ontologie des Mobilen“ mit Blick auf das Mobiltelefon als Schreibmaschine sagte: Schreiben ist in erster Linie markieren und löschen.
Steht die veränderte Wahrnehmung der Kulturtechnik für Verschiebungen innerhalb der Kulturtechnik selbst? Ist das Schreiben unter den Bedingungen mobiler Technologien nun ein ganz anderes Schreiben als zuvor? Und wenn ja, welche Auswirkungen hat eine solche Verschiebung für die Arbeit von AutorInnen?
Annäherung an mobile Textkulturen
Die Arbeit von AutorInnen: Das ist die Arbeit am Text als Träger von Informationen und Ideen, von Wissen und Öffentlichkeit. Wir müssen fragen, wer diese Arbeit heutzutage verrichtet und wer dabei bislang nicht berücksichtigt worden ist. Dabei schwenkt der Blick zwangsläufig von den Ausnahmeerscheinungen auf die breite Masse. Und er schwenkt von den vermeintlichen Haupttätigkeiten des Autors/ der Autorin auf jene Nebentätigkeiten, die nicht zum klassischen AutorInnen-Handwerk gerechnet werden. Beispielsweise auf all die kleinen Handgriffe, die ein effizientes Teilhaben an einem Netzwerk wie Facebook garantieren.
Der Blick auf die Masse und der Blick auf die vermeintlichen Nebenschauplätze des Schreibens – er erfasst wie mobile Textkulturen den Wandel der Wissensproduktion (vollziehen). Die Haupttätigkeit von AutorInnen und damit das, was wir zum Handwerkszeug derselben zählen, zeigt sich hier grundlegend transformiert. Anders gesagt: Auf den Nebenschauplätzen des Schreibens können heute ziemlich deutlich jene Veränderungen abgelesen werden, die sich auf den angestammten Hauptschauplätzen bislang nur unter der Oberfläche ereigneten.
Was also bedeuten die mobilen Textkulturen als Massenphänomen für die Arbeit von AutorInnen? Was sind die Bedingungen des Wandels? Diese Bedingungen können bestenfalls im Zuge einer schlaglichtartigen Vermessung nachgezeichnet werden.
Die drei Panels des Symposiums Mobile Textkulturen wenden sich drei verschiedenen Gebieten zu und gehen folgenden Fragen nach: Liegt den mobilen Textkulturen eine besondere Ökonomie zu Grunde? Wie strukturieren sie Öffentlichkeit? Welche gesellschaftlichen und politischen Implikationen haben mobile Technologien? Die Eröffnungs-Performance (am kommenden Freitagabend) und der Workshop setzen sich mit diesen Fragen auf künstlerische bzw. explorative Weise auseinander.
super thema! (von meinem iPhone gesendet:)
dein Artikel ist sehr präzis und richtig – aber heißt es, das Schreiben komme zu sich selber? ist es schon nicht vorher zu sich gekommen? ja immer schon vorher, ach vor dem handschriftlichen und vor der mechanischen bzw. elektronischen Schreiben?
Schreiben heißt doch nicht Registrieren, wie Du sagst : es heißt keinen schon gegebenen Sinn vor sich zu haben, den Sinn öffnen…
natürlich sind alle Technologien sehr bedeutend in unserem Leben und Denken – das heißt aber sie bieten bestimmte Ziele dar, z.B. schnell/weit kommunizieren oder auch neue Formen schätzen (neue Tippcharakteren z.B.) aber kommunizieren bleibt das Selbe: Distanz, Rühren, (Un)verständnis, Unendlichkeit des Sinnes…
IHR scheint wirklich eine Ausgeprägte Tendenz zu haben, jeden Neuen SCHEISS, der mit dem Wörtlein “Digital” aufgepeppt daherkommt – oder von “der Industrie” ge-hyped wird, für etwas TOTAL NEUES – und Reflektierens-Wertes zu nehmen. Peinlich – Oberflächliche Menschen. Was für ein Dummes Gequatsche: Als würden auf den Kleinen Prahlerisch gezückten Smartphones wirklich NEUE Texte entstehen.
einfach abbestellen wenns dich nervt. peinlich ist doch dein kleinliches geblubber, ich meine ich habe auch so meine kritik an der BG, aber ich finde es doch falsch einen vermutlich rein persönlichen frust so deplatziert hier einzubauen…. naja … viel spaß noch in deinem leben ….. :)
[…] ein Symposion über “mobile Textkulturen” (mehr hier).[…]
Neubestimmung des Schreibens,
schöner Versuch, interessantes Thema, als ich dann aber den Herren auf der Bahnsteigbank sah – musste ich an seine Buchbesprechung auf der FBM am Vorwärts Stand denken. Da konnte ich dann nicht mehr weiterlesen … Schade!
Mercedes Bunz sagt in einem Interview mit ZEIT Online:
“Software sucht mittlerweile nicht nur nach Wissen, sondern generiert es auch – wie Journalismus. WolframAlpha, eine Suchmaschine, die mit wissenschaftlichen Datensätzen arbeitet, kann beispielsweise die Frage beantworten, wie das Wetter am Tag war, an dem Angela Merkel geboren wurde. Zudem werden Softwareprogramme entwickelt, die aus Eckdaten Fließtexte erstellen – Algorithmen lernen also zu schreiben. StatsMonkey, ein Projekt des InfoLabs der Northwestern University aus Chicago erstellt aus den Eckdaten eines Spiels einen Spielbericht.”