Kein Leben ohne iPad

Verlage und Zeitungshäuser legen große Hoffnungen in das iPad. Aber das neue Gadget ist keine Lesemaschine für Zeitungen und Bücher. Vielmehr ist es eine neue Öffnung für den Einbruch von Multimedia-Anwendungen in unseren Alltag. Ein Leben ohne iPad wird bald nicht mehr denkbar sein. Wir müssen Zeitungen und Bücher noch einmal neu erfinden.

Eins ist klar: Wenn über das iPad gesprochen wird, ist nicht primär das Apple-Produkt gemeint. Gemeint sind vielmehr die vielen Mee-too-Produkte, die den Markt für Tech-Spielzeug überschwemmen werden. Wenn wir davon ausgehen, dass Apple hier einen zukunftsweisenden Trend setzt – und das wird erst die Zukunft zeigen –, dann werden zahlreiche Nachahmer ihr Stück vom Apfel abbeißen wollen.

Was langweilig ist, wird weggewischt

Manche werden einige Funktionen verbessern, andere werden neue Schwerpunkte setzen. Was bleibt, ist der Kern der Entwicklung: Tabloid-PCs werden gesellschaftsfähig. Das ganze weite Internet mit seinen vielen Multimedia-Anwendungen wird transportabel, nicht größer als ein Din A4-Zettel, bedienbar mit einem Wink des Zeigefingers.

Im Gegensatz zum Papier sind das iPad und seine Nachahmer-Konkurrenten extrem ungeduldig. Denn wo im Papier eine Botschaft sprichwörtlich in Stein gemeißelt war, fliegen auf dem Touchscreen der Tabloid-Computer die Informationen nur so hin und her. Was zu langweilig ist, wird weggewischt. Was nicht bunt genug ist und um Aufmerksamkeit heischt, findet keine Beachtung.

Immersive Unterhaltung

Wo früher die Aufmerksamkeit am Frühstückstisch oder in Bus und Bahn noch für die Tageszeitung reserviert war, konkurrieren jetzt Email-Programm, YouTube-Filmchen und soziale Netzwerke um die Gunst des Rezipienten. Mit dem iPad bekommt diese Entwicklung einen neuen Drive: Multimediale Anwendungen werden jetzt in den portablen Alltag der Nutzer noch stärker, noch weitreichender eindringen, als das mit Laptops, Netbooks oder Handys ohnehin schon passiert.

Zeitungsverlage, die mit dem Aufkommen des Internet ihre Strategie grundlegend reformierten, werden ein weiteres Mal alles erneuern, beziehungsweise alles, was sie für erneuert hielten, überdenken müssen. Es wird darum gehen, journalistische Inhalte gänzlich neu zu verpacken. Hier und da eine Fotogalerie zu installieren, wird nicht reichen, ebenso wenig eine personalisierte Startseite wie bei “iGoogle”.

Der iPad-Konsument will unterhalten werden, will gefesselt werden, will interaktiv erleben. Bieten die Homepages und Apps der Medienhäuser dieses Erlebnis nicht, wird der Konsument flüchten.

Zukunft des Journalismus

Dann werden am Frühstückstisch eben Facebook-Nachrichten gelesen, und in der Bahn klickt man sich durch YouTube-Filmchen. Erst wenn der Journalismus eine neue Darreichungsform findet, die der Ungeduld des Tabloid-PC-Nutzers gerecht wird, kann er auf dem iPad in eine neue Zukunft starten.

Diese neue Zukunft wird nicht viel mit der alten, geduldigen Vergangenheit des Papiers gemein haben. Aber auch nicht mit der Gegenwart des via PC oder Handy vermittelten WWW.

23 Kommentare zu “Kein Leben ohne iPad

  1. Einerseits habe ich etwas Angst vor dieser Zukunft, andererseits freue ich mich darauf. Trotzdem glaube ich nicht, dass das alte Medium Papier aussterben wird.

  2. Dieses neue Gerät hat wirklich was teuflisches an sich, ich meine, es ist so verführerisch, dass man kaum NEIN sagen kann. Ich denke auch: es wird sich durchsetzen und infolgedessen neue Standards setzen, auch für Zeitungen.

  3. @Sarah Curth: Das glaube ich auch nicht. Das Medium Papier wird nicht völlig aussterben, es wird nur sukzessive durch elektronische Medien verdrängt werden, vor allem wenn es darum geht schnell News zu verbreiten. Immerhin: Die Medienhäuser ersparen sich durch elektronische Verbreitung ja auch enorme Distributionskosten. Meine Vermutung ist aber, dass sich Papier halten wird bei Plakaten und Flyern, bei kostenlosen Stadtmagazinen und werbegestützten Szeneheften, eben immer dann, wenn es darum geht, auch eine nicht-internetaffine Zielgruppe zu erreichen. Womöglich wird Papier ja mal zu nem “Unterschichten-Medium”, vielleicht aber wird es auch mal zu nem “Urlaubs-Medium”, welches man immer dann konsumiert, wenn man grade keine Lust auf virtuellen Stress hat.

  4. Aber wie soll sich der Journalismus nun weiterentwickeln? Wird es wirklich so anders sein als das, was gegenwärtig auf den ganzen digitalen Geräten schon läuft?

  5. Ich bin begeistert vom iPad, es ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg in die Zukunft. Ubiquitäres Internet, alle möglichen Informationen überall zur Hand, genial. Lena hat gewonnen? Da ich fast überhaupt kein Fernsehen schaue, holte ich mir das Youtube Video kurzerhand aufs iPad, und war begeistert. Von Lena, deren Auftritt sehr gut war, und vom iPad, das es mir ermöglicht, mich zu informieren, wann und worüber ich es will.

  6. Das mit den Zeitungen verstehe ich ja noch so ungefähr, aber das mit den Büchern absolut nicht. Neu erfinden, wegen des iPads? Wohl kaum.

  7. Wieso neu erfinden ? Es werden noch genug ebook Stores nachziehen vllt könnte man sich ja auch auf einen Standard einigen, dass wäre auch einfacher. Aber ich denke schon das in einigen Jahren, der Konsum der Bücher via Tablet oder anderen elektronischen Geräten, steigen wird.

  8. Es geht ja nicht darum, “das Buch” oder “die Zeitung” neu zu erfinden. “Das Buch” und “die Zeitung” werden auf Papier schon in der alten Form nicht ganz aussterben, sondern nur zurückgedrängt werden. Sie werden aber in ihrer alten Form nicht auf Tablets überleben können. Denn es geht darum, Geschichten anders zu erzählen, nämlich, indem die neuen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Ansätze gibt es: Wieso nicht mal eine Story als interaktives Rollenspiel miterleben, indem man (via UMTS Ortung) die Locations einer Stadt abläuft, an denen Ereignisse stattgefunden haben? Wieso nicht mal eine Reportage wie ein Jump’n’Run erzählen, bei dem man erstmal mit Spielchen einen Score knacken muss, um das nächste Informationshäppchen zu erhalten? Wieso nicht mit einem Geschicklichkeitsspiel (via Gleichgewichtssensor) durch eine interaktive Geschichte von einem Interviewpartner zum nächsten navigieren? Noch fehlt mir die Kreativität der Branche, aber die technischen Spielereien sind ja auch relativ neu.

  9. Du hast aber geschrieben, dass das Buch neu erfunden werden muss. Meinst du das ernst? Technische Spielerein sind genau das – Spielereien. Ich vermisse bei meiner gedruckten Ausgabe von Moby-Dick ja auch keine Scratch-‘n’-Sniff-Felder, die nach Walblubber riechen. Und wenn ich eine Reportage über Jafar Panahi lese, möchte ich mir die auch nicht erst durch Minigames erspielen müssen – vielleicht eine Art Anti-Pac Man, bei dem ich dem Essen ausweichen muss? Das ist doch alles nur Beschäftigungstherapie, wertet aber den Text – um den es ja gehen sollte – aber nicht auf. Im Gegenteil, er wird trivialisiert.

  10. Erfindungen im Sinne der großen wissenschaftlichen Würfe der letzten Jahrhunderte wird es in Zukunft wohl kaum mehr geben, da sich Kultur und Gesellschaft radikal verändert haben. Heutzutage geht es vielmehr um Modifikationen und Weiterentwicklungen des Bestehenden. So lese ich die Forderung nach einer Neuerfindung von Buch und Zeitung eher als die Forderung danach, dass sich Buch und Zeitung neu finden. Sie stecken gegenwärtig in einer Art Identitätskrise und gehören somit gewissermaßen zu einem A Tribe Called Quest.

  11. Ich glaube die Web ändert Journalismus, nicht ein mega-hype Produkt aus Cupertino. Leute in meine Altersbereich (unter 35) kaufen weniger Magazine und Zeitschriften weil wir ganz viel im Web lesen. Hat nichts mit ein Gerät zu tun.

    Ich bin nicht so optimistisch das die iPad ein grosse Erfolg treffen soll. Was macht man damit? Spiegel lesen (Porno gucken) im park? Für €650 kann man ein tolle Laptop kaufen. Mit das iPhone kann man mindestens telefonieren.

    Von hier es seht aus wie ein teuerer Spielzeug für reiche Kinder. Die meisten “Apps” sind am endeffekt PDFs oder Web Seiten. Das iPad + App store ist ein versuch von Apple das Web zu kontrollieren.

    Ruf mich in 3-5 Jahre an. Dann gibts bestimmt ein $50 Chinesische Linux Zeug mit E-paper der passt in meine Hosentasche und die meisten Verläge sind online und nicht beschränkt an bestimmten Apple Zeugs.

  12. @Salvy Ungemach:Ich vermisse bei meinem Moby Dick, wie eigentlich bei allen Büchern und vor allem den Sachbüchern, ein Schlagwortverzeichnis. Ich vermisse ein interaktives Glossar. Grade bei Moby Dick vermisse ich Links zu Fotos und Videos, zu verwandten Filmen, zu erläuternden Erklärungen, zu Grafiken und Sekundärliteratur. Kurzum: Ich vermisse Interaktivität. Ein Tablet-PC gibt Büchern diese Interaktivität und macht sie zu einem multimedialen Erlebnis. Damit wäre “das Buch” neu erfunden. Es ist dann aber kein Buch mehr. Es ist was anderes.

  13. Das war also das, was Büchern die ganzen Jahre gefehlt hat: Klickstrecken. Schlag mal bei “deinem” Moby Dick Kapitel 32 auf, oder wird einen Blick in die Zitatsammlung, die dem Roman vorsteht. Da ist die Sekundärliteratur schon integriert. Oder willst du ein alternatives Ende, bei dem Ahab und der Wal gute Freunde werden? “Ich vermisse Interaktivität.” Oy vey, diese goyim naches. (Wenn das alles – hoffentlich – nur ein Witz war: Chapeau.)

  14. @rebbe ungemach: hehe, grossartig!
    ansonsten:
    ich halte mir bei öffentlichem smalltalk über iPads nur noch die ohren zu und singe ganz laut und übertönend wie ein kind, das etwas nicht hören will. selbst in neuköllner kneipen kann man dem gerede nicht mehr entkommen, sobald zwei männliche wesen unter 45 mit abitur und vollbärten zusammentreffen. vor allem diese leeren nicht-schlüsse die ausgiebigst ausgebreitet werden…schrecklich…langweilig… ich warte ja immer noch auf die erste wirklich kluge auslassung zum thema. geduld ist eine tugend. und morgen geht die welt unter, gähn!

  15. der iPad-Hype ist nur solange ein Hype wie man versäumt über ihn und seinen Gegenstand nachzudenken; insofern bin ich diesem Text und auch dem Beitrag aus der letzten Woche dankbar, dieses Nachdenken angeregt zu haben. Natürlich sehe ich noch offene Fragen und problematische Punkte. Zum Beispiel denke ich, sollte die Auseinandersetzung sich nicht daran orientieren, was klassische Medien VERMISSEN lassen, sondern was neue Medien für einen GEWINN darstellen, auch für die klassischen Medien, sofern sie willig und in der Lage sind sich weiterzuentwickeln.

  16. @ Michael Metzger: Und was passiert mit Menschen, die, mag es auch “undenkbar” erscheinen, trotzdem ein Leben ohne iPad führen?

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.