‘Krieg gegen Corona’: Explosion von Autoritarismus und Arbeitskämpfen in Italien

Während Italiens “Krieg gegen Corona” explodieren im Land Autoritarismus und Arbeitskämpfe. Letztere rücken die Frage in den Vordergrund, was und wer für die Überwindung der Krise und den Wiederaufbau der Welt danach von ‘System-Relevanz’ und damit ‘essentiell’ ist. Diese Schlüsselfrage des Projekts SILENT WORKS-Projekts erörtert der Wissenschaftler und Aktivist Niccolò Cuppini. Ein Interview.

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Man könnte sagen, dass die gegenwärtige Pandemie – strukturiert und funktionierend wie ein Netzwerk – ein logistisches Phänomen ist. Aus diesem Grund argumentieren einige, dass die Pandemie nur bekämpft werden kann, wenn man ihr auf dem Boden der Logistik begegnet. Schließlich sei Logistik eine Form Kriegskunst – man bedenke etwa die Versorgung des Schlachtfelds. Diese Argumentationslinie ermöglicht es, den Traum eines reibungsfreien Kapitalismus – mit der Logistik als Kernstück – auf einen neuen Markt zu projizieren: den Krieg gegen Pandemien. Dieser Traum von Reibungslosigkeit setzt voraus, dass “die Dinge einfach so funktionieren” – wie von einer künstlichen Intelligenz betrieben – und nicht, dass “jemand tatsächlich dafür schuftet, damit die Dinge funktionieren”. Doch bevor wir darauf eingehen, fangen wir dort an, wo diese Geschichte beginnt: Im März 2020 erklärten mehrere Regierungen, darunter Frankreich, “den Krieg gegen Corana”. In Italien, dem ersten und bedeutsamsten europäischen Labor der Pandemie, wurde der Krieg nicht ausdrücklich erklärt. Man könnte sagen, dass Premierminister Giuseppe Conte stattdessen die Herrschaft per Dekret erklärte, einen Regierungsstil also, von dem es heißt, er ermögliche “die schnelle, uneingeschränkte Verkündung von Gesetzen durch eine einzelne Person oder eine Gruppe, die vor allem von Diktatoren, absoluten Monarchen und militärischen Führern in Kriegszeiten genutzt wird”. Wie lässt sich dieser Unterschied zwischen Frankreich und Italien Ländern erklären?

Italien war das erste Epizentrum der Pandemie im “Westen”, das Land rutschte also vergleichsweise graduell in die Krise, anstatt einen plötzlichen Schock zu erleiden. Dieser Umstand führte dazu, dass öffentliche Institutionen, Medien, Gewerkschaften und auch die Wissenschaft allmählich Ansätze entwickelten, wie mit der sich abzeichnenden Pandemie umgegangen werden sollte. Tatsächlich war es so, dass die zunehmende Gefahr durch das Virus zunächst “am unteren Ende der Gesellschaft” wahrgenommen wurde (wo z.B. die Freiwilligen Notfallbrigaden entstanden) und nicht in einer Konfiguration von oben nach unten. Dann, in einer zweiten Phase, kam die autoritäre, militärische Imagination von COVID-19 ins Spiel. Im Zuge dessen wurden gemäß dem von Conte angekündigten “Coronavirus-Dekret” so genannte “Notstandsverfahren” zunächst für Norditalien und dann für das gesamte Land verabschiedet.

Was geschah, als die Bewältigung der Krise zu einer Angelegenheit wurde, die von „oben nach unten“ gemanagt werden sollte?

Ein Wendepunkt waren die Bilder einer beeindruckenden Kolonne von Militärfahrzeugen, die am 17. März das Herz Bergamos durchquerten und Leichen transportierten, die der örtliche Friedhof nicht mehr aufnehmen konnte. Nach diesem Moment begannen viele Politiker*innen damit, eine totale Ausgangssperre, Panzer, Drohnen, jegliche Art der Überwachung, die Abschaffung der Privatsphäre und immer härtere Strafen für diejenigen, die nicht zu Hause blieben, zu fordern. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Einsatz eines polizeilich-militärischen Dispositivs nicht nur eine Praxis, sondern auch eine Rhetorik ist, die darauf abzielt, “Schuld” auf einzelne Subjekte zu übertragen und gleichzeitig die Machthaber*innen von jeglicher Verantwortung zu befreien.

Man kann auch sagen, dass sich die Behörden von Verantwortung und Rechenschaftspflicht befreien, indem sie die selbsterklärende und selbstverständliche Tatsache des Notstands aufrufen. Jeder kann die Katastrophe als gegeben erleben, so dass niemand fragen muss, warum das Staatsoberhaupt auf extra-legale Maßnahmen zurückgreift. So kann der Autoritarismus ebenso selbsterklärend und selbstverständlich wie die Bedrohung erscheinen, die er zu bekämpfen vorgibt. Wie hat Conte von solchen Mechanismen Gebrauch gemacht?

Nachdem Mitte März offiziell eine Art “Ausnahmezustand” ausgerufen worden war, begann eine sicherheitspolitische Mobilisierung, bei der Polizeikontrollen auf der Straße, der Einsatz des Militärkorps zur Bewachung der Städte und so weiter eine große Rolle spielten. Bemerkenswert ist jedoch, dass abgesehen von diesen “sichtbaren” Aspekten der tiefgreifendere Wandel in der Machtdynamik auf eine vollständige Bewältigung der Krise durch die Exekutive hinauslief. Die Macht der Legislative wurde aufgrund der “Corona-Krise” im Grunde ausgesetzt, und viele Tage lang waren die nationalen und regionalen Regierungen die einzigen Akteure vor Ort. Herrschaft per Dekret war das Rechtsinstrument, mit dem alle institutionellen Verfahren festgelegt wurden.

Dies ist übrigens keine Neuheit. In den letzten zehn Jahren hat sich das Gleichgewicht der öffentlichen Gewalten allmählich auf die Exekutive verlagert, und häufig wurden Dekrete erlassen, also Rechtsnormen mit Gesetzeswert. Diese Tendenzen sind während der ‘Corona-Krise’ explodiert. Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt ist der Umgang des Premierministers mit den Medien. Giuseppe Conte nutzt recht häufig Facebook-Live-Streaming, um die Entscheidungen der Regierung zu kommunizieren, auch wenn diese Entscheidungen noch nicht in offiziellen Dokumenten enthalten sind. Diese direkte Verbindung zwischen einem Führer und der Bevölkerung ist das Echo einer Kriegszeit, in der die Vertikalisierung des Entscheidungsfindungsprozesses gedeiht.

Die “Nationale Sicherheit” ist ein Hauptziel autoritärer Herrschaft und der Politik des Ausnahmezustands gleichermaßen. Der “Nationalen Sicherheit” scheint jedoch die Tatsache entgegenzustehen, dass Italiens primäre Gesundheitsversorgung und Grundversorgung durch ausgedehnte Netzwerke aufrechterhalten werden müssen, die sich nicht auf die Grenzen der Quarantänezonen von Brennpunkten wie der Lombardei beschränken, sondern oft sogar über die Grenzen des nationalen Territoriums als solches hinausgehen. Wie stellen sich solche Widersprüche in der öffentlichen Debatte dar, z.B. im Hinblick auf die medizinische Grundversorgung und den Bedarf an Grundversorgungsleistungen?

Es lassen sich zwei Pole in der öffentlichen Debatte über diese “Widersprüche” skizzieren. Auf der einen Seite gibt es Leute, die behaupten, die Pandemie habe definitiv die unüberwindbaren Grenzen der Form, in der die heutigen Volkswirtschaften gestaltet sind, aufgezeigt. Mit anderen Worten, sie erklären das Ende der so genannten Globalisierung und verweisen auf die Notwendigkeit einer Renationalisierung und einer strengeren Kontrolle der nationalen Grenzen. Auf der anderen Seite ist argumentiert worden, dass globale Wertschöpfungsketten gleichzeitig das Problem und die Lösung sind. Das heißt: Es ist ganz offensichtlich, dass sich die Pandemie zuerst im nördlichen Teil des Landes entwickelt hat, weil er das am stärksten vernetzte und in die Weltwirtschaft verwobene Gebiet ist. Gleichzeitig behaupten diejenigen, die in diese Richtung denken, dass die Lösung nur auf globaler Ebene gefunden werden kann.

Aus meiner Sicht enthalten die beiden Pole sowohl Wahrheit als auch irreführende Elemente. Ich denke, wir sollten diese Opposition kritisieren und über diese Opposition hinausgehen. Es ist eine Opposition, die wieder jene Dichotomie ins Spiel bringt, die die politische Arena in den letzten Jahren geprägt hat – die Opposition zwischen einer souveränen/populistischen Seite und dem Ansatz der neoliberalen Globalisierung. Ich kann an dieser Stelle nicht tiefer auf diese Debatte eingehen, aber was sich zum Beispiel sagen lässt, ist, dass beide Ansätze tendenziell die Tatsache verschleiern, dass in den letzten zehn Jahren alle Regierungen (von rechts nach links) radikale Einschnitte im öffentlichen Gesundheitswesen unterstützt und der Forschung Gelder entzogen haben, zwei Aspekte, die sowohl “lokale” als auch transnationale Antworten erfordern.

Wie haben Arbeiter*innen auf dieses paradoxe und konfliktreiche Szenario reagiert?

Es gab und gibt immer noch eine große Anzahl von Kämpfen. Der erste Schritt dieser Arbeitskämpfe während der “Corona-Krise” war eine Reaktion auf dem Gebiet dessen, was man versuchsweise als “soziale Reproduktionsarbeit” bezeichnen könnte, die normalerweise unsichtbar gemacht wird, aber als erste für die Krisensituation bezahlt hat. Ich spreche hier von Menschen, die einerseits in der Kinder- und Altenpflege und im Gesundheitswesen und andererseits in der Reinigungs-, Wartungs- und Reparaturarbeit tätig sind.

Dann kam es zu radikalen Unruhen innerhalb des italienischen Strafvollzugs. Mehr als 25 Revolten brachen aus, bei denen Inhaftierte die Gefängnisse besetzten und einige Teile davon zerstörten. Diese Rebellion wurde gewaltsam niedergeschlagen, und 16 Menschen starben. Es war eine Art Thermometer für die “Corona-Krise”, bei der Hitze aus dem untersten Teil der Gesellschaft aufkam. Der zweite Schritt war die massive spontane Streikwelle in Fabriken und an verschiedenen Arbeitsplätzen, vor allem in Norditalien. Der dritte Schritt, der sich auf den Süden konzentrierte, war ein soziales Flimmern, das sich in Form einiger Versuche äußerte, Waren aus Supermärkten zu nehmen, ohne dafür zu bezahlen. In diesem Zusammenhang mobilisierten sich die Beschäftigten in der Logistikbranche von Anfang an.

Ende März wurde bekannt gegeben, dass Italien “alle Produktionssektoren stilllegt” – so dass es so aussieht, als würden nun alle Wirtschaftssektoren in den “Schlafmodus” versetzt. Von der Logistik, die nicht auf den Produktionsbereich reduzierbar ist, ist bezeichnenderweise nicht die Rede, da es hier in erster Linie um die Zirkulation geht, nicht zuletzt im Bereich der Grundversorgung. Wie verdrängt die orchestrierte Abschaltung der vermeintlich gesamten italienischen Wirtschaft diese besondere wirtschaftliche Dimension des “Kriegs gegen Corona”?

Die Confindustria (der allgemeine Verband der italienischen Industrie) und die Regierung wollten eigentlich nicht, dass die Arbeit zum Stillstand kommt. Die Arbeitnehmer*innen, die unter einer immer schwieriger werdenden sanitären Situation litten, waren anderer Meinung und traten in den Streik. Es handelte sich um eine außerordentliche Mobilisierung, die schließlich zur “Blockade der Produktion” führte. Der entscheidende Punkt dieser Kämpfe ist, dass dieser Konflikt die Regierung dazu veranlasste, die Einstellung der Produktion zu erklären, mit Ausnahme dessen, was als “unverzichtbare Dienste” bezeichnet wurde. Die eigentliche Definition dessen, was als “unverzichtbar” anzusehen ist, wurde zur Frontlinie dieses Konflikts.

Im ersten Moment war die Definition wirklich sehr allumfassend, aber sie wurde auf Druck der Gewerkschaften reduziert. Bemerkenswert ist, dass die Logistik vom ersten Moment an als “unverzichtbar” galt – und immer noch gilt. Deshalb ist der Logistiksektor immer noch am Arbeiten – auch wenn es “stille” Streiks gibt, also massenhafte Abwesenheit von Arbeitsplätzen und zeitliche Unterbrechungen der Logistikketten. Somit ist Logistik endlich für eine breite Öffentlichkeit als ein entscheidender Vektor für die Reproduktion des Kapitals sichtbar geworden. In Italien gibt es jedoch immer noch Millionen von Arbeitnehmer*innen, die an ihre Arbeitsplätze gehen (müssen), die rasche Verbreitung “smarter” Arbeitsbedingungen ist ein weiteres Element, das analysiert werden muss.

Wenn Arbeiter*innen in den Lagerhäusern und auf den Lieferwegen Amazons heute Zwangsarbeit verrichten müssen, die noch “schmutziger und gefährlicher” ist als vor der Pandemie, dann eröffnet dieser dunkle Moment auch neue Möglichkeiten, Streiks innerhalb und gegen Logistikunternehmen wie Amazon auszuweiten. Könnten Sie auf die Streiks und Kämpfe in der italienischen Logistikbranche während der “Corona-Krise” eingehen?

Arbeiter*innenkämpfe in Norditalien gab es schon lange bevor der “Krieg gegen Corona” den Logistiksektor zur „letzten Bastion“ der Wirtschaft Italiens machte. In diesen vielen Jahren der Kämpfe in der Logistikbranche haben die Arbeiter*innen an Macht gewonnen. Diese Macht machte es möglich, dass alle Logistikunternehmen – wie TNT, DHL, UPS – durch Streiks und massenhaftes Fernbleiben von der Arbeit gestört wurden.

Eine etwas andere Situation ergab sich in den Unternehmen der “neuen Großstadtlogistik” oder der “Logistik der letzten Meile”, wie etwa Amazon und den Home Delivery Plattformen (Deliveroo, UberEats, Glovo usw.). Hier sind die Kämpfe und die Organisation der Arbeiter*innen erratischer und haben auch nicht so eine lange Geschichte. Einige Streiks fanden in den Fulfillment-Zentren von Amazon statt, allerdings ohne starke Auswirkungen. Bei den eben erwähnten Plattformen gab es diese Streiks allerdings nicht.

Ich denke jedoch, dass die brutale Arbeitsintensivierung und das Gesundheitsrisiko für die Arbeiter*innen in diesen Kontexten deren Bewusstsein für die eigene Rolle schärft. Dieses Bewusstsein spiegelt sich wiederum in einem breiteren öffentlichen Bewusstsein über die systemische Relevanz dieser Arbeitnehmer*innen wider. Das heißt: Es wird deutlich, dass die Arbeit hier kein “Gig-Job” ist, sondern ein unverzichtbarer Job für die Kapitalreproduktion. Daher lässt sich die Hypothese aufstellen, dass diese Logistikbranche auch in Zukunft durch neue Mobilisierungen erschüttert werden wird.

Gibt es etwas Neues in den Arbeiter*innenkämpfen in Italiens Logistikbranche? Neu in dem Sinne, dass die aktuelle Extremsituation entweder neue Aspekte ans Licht bringt oder die Entwicklung innerhalb dieses Kräftefeldes beschleunigt?

Ich denke, es ist möglich, Hypothesen über einige Haupttendenzen aufzustellen, die sich innerhalb dieser Krise abzeichnen. Die ‘System-Relevanz’ der Logistik und die (tatsächliche oder potentielle) Gegenmacht der Logistikarbeiter*innen wird zu einer Umstrukturierung des Kapitals innerhalb des Sektors führen, mit verschiedenen Instrumenten: Investitionen in Technologie und Automatisierung; neue Formen des Feilschens und eine selektive Unterdrückung einer gewissen Arbeitnehmer*innenorganisation; eine Beschleunigung der Nutzung digitaler Plattformen als Vermittlungskräfte, die zur konkreten Infrastruktur des täglichen Lebens werden; eine – zumindest teilweise – Veränderung der sozialen Zusammensetzung der Arbeitnehmer*innen (die strategische Rolle der Logistik wird wahrscheinlich neue Segmente innerhalb des Arbeitsmarktes anziehen); eine verstärkte Form der Konzentration/Monopolisierung der Logistikunternehmen.

Ich denke jedoch, dass selbst in diesem Szenario einer radikalen Transformation des Logistiksektors auf Seiten des Kapitals, die Logistik aus der Perspektive des Klassenkampfes ein strategisches Organisations- und Konfliktterrain bleiben wird. In diesen Wochen werden einige Basisgewerkschaften in der Logistikbranche empfänglicher für soziale Fragen sein und sie sind bereit, den Arbeiter*innen mehr öffentliche Anerkennung zu gewähren. Die Hypothese, dass die Logistik durch Verbindungen von heterogenen sozialen Bewegungen und Arbeiter*innenkämpfen zu einer Drehscheibe eben dieser Vorgänge wird, bleibt eine faszinierende politische Option.

Wenn wir über die dem Logistiksektor zugrunde liegende Machtstruktur sprechen, so sollten wir auch über die Rolle der cooperativas sprechen. Wie können wirtschaftliche Praktiken die Fiktion davon, dass “die Dinge einfach funktionieren, mit dem Reiz einer scheinbar unanfechtbaren Formel des Kapitalismus ausstatten? Welche Rolle spielen cooperativas in den Kämpfen im Logistiksektor während der “Corona-Krise”?

Das System der cooperativas ist das wichtigste Instrument, mit dem große und kleine Logistikunternehmen die Arbeit überhaupt erst prekär gemacht haben. Eine ziemlich paradoxe Sache. Cooperativas waren früher die sozialistische Form der Selbstorganisation von Arbeiter*innen und Bauern. Heute fungieren sie als Vermittler zwischen den Arbeiter*innen und den Unternehmen und sind als solche zu einem Instrument des Managements geworden, um die Arbeitskräfte aufzuteilen und zu disziplinieren. Da cooperativas häufig von Syndikaten der organisierten Kriminalität untergraben werden, ermöglicht ihre Vermittlung besonders “unregierbare” und “nicht rechenschaftspflichtige” Formen der Kontrolle und Disziplinierung.

Letztlich sind cooperativas in erster Linie ein institutionelles Gebilde. Allerdings sind die logistischen Kämpfe des letzten Jahrzehnts direkt mit diesem System kollidiert und haben es im Rahmen der neuen Machtverhältnisse irgendwie “reguliert”. Im Zuge dessen entstand eine Ambivalenz: Während die Arbeiter*innen in den ersten Kämpfen die cooperativas als ihren primären “Feind” betrachteten, entdeckten sie nach und nach, dass die direkte Beschäftigung durch Logistikunternehmen auch viele Nachteile mit sich bringt (etwa, weniger “Freiheit” der Arbeiter*innen). Im Moment könnte man also sagen, dass die Logistik in Bezug auf die Organisation der Arbeitskräfte eine Übergangsphase durchläuft.

Die “Corona-Krise” hat den aktuellen Konflikt jedoch irgendwie “vertikalisiert”: Neue Akteure (die nationale Regierung, das Management multinationaler Unternehmen, das in der Regel an ihre lokalen Niederlassungen delegiert, öffentliche Sicherheitsbehörden) sind vor Ort, und es scheint ganz so, als ob die Akteure des organisierten Verbrechens und die cooperativas im Moment “schweigen”.

In ihrem Buch The Deadly Life of Logistics (2014) weist die politische Geografin Deborah Cowen darauf hin, dass die Logistik heute Krieg und Handel tiefgreifend prägt. Hier gilt die Logistik als der wichtigste Bereich, in dem einerseits unternehmerische und militärische Strategien und Taktiken und andererseits basisnahe Gegenstrategien der Disruption organisiert werden. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, über die Politik des Ausnahmezustands zu sprechen – eine Politikform, mit der die geopolitische Architektur von etwa Sonderwirtschaftszonen und Korridoren gestaltet wird, um die “Kapitalströme” zu optimieren. Inwiefern schafft die Politik des Ausnahmezustands der italienischen Regierung während der “Corona-Krise” einen Rahmen, in dem die gegenwärtige Verstrickung von Krieg und Handel im Namen der Logistik wieder neu kalibriert werden können?

Auch wenn die Verbindung zwischen Logistik und Krieg unzweifelhaft ist, entscheide ich mich für einen heterogeneren Satz genealogischer Bahnen der zeitgenössischen Logistik. Mit anderen Worten, ich denke, dass die ausschließliche Konzentration auf die Kommando- und Kontrollseite der logistischen Entwicklung viele Geschichten von Kämpfen, Rebellionen und auch Bewegungen – so wie den darin enthaltenen Freiheitswillen – ausblendet. Doch all das sollte ebenfalls berücksichtigt werden, wenn wir die zeitgenössische Logistik diskutieren. In diesem Sinne denke ich, dass der Blickwinkel, unter dem es produktiver ist, die Politik des Ausnahmezustands hier zu betrachten, nicht auf die Ausnahme selbst gerichtet ist, sondern eher auf “das Licht der Normalität”, das außergewöhnliche Zeiten “einschalten”.

In diesem Sinne wird vermutlich eine Reihe von logistischen Prozessen sichtbarer und schwieriger werden: von der Umsetzung der Initiative der „Chinese Belt and Road initiative“ in Italien bis zur logistischen Steuerung der Migration im Mittelmeerraum; von der Energieversorgung über transnationale Korridore, die von Russland verwaltet werden, bis zu großen europäischen Projekten der infrastrukturellen Anbindung; von der Territorialisierung multinationaler Logistikunternehmen wie Amazon bis zur Umsetzung einer Logik von “Sonderwirtschaftszonen” in einigen Häfen des Nordens oder in einigen landwirtschaftlichen Gebieten im Süden; und so weiter und so fort.

Aber ich glaube nicht, dass die Politik des Ausnahmezustands an sich all diese Prozesse, die Krieg und Handel im Namen der Logistik verbinden, radikal verändern wird. Es ist der gesamte Rahmen der Reproduktion des Kapitals, der sich verändern wird. Wiederum nicht wegen einer bestimmten Politik, sondern aufgrund einer Reihe latenter Widersprüche, die während der “Corona-Krise” explodiert sind. Der gegenwärtige “Ausnahmezustand” wurde nicht als Akt der Macht deklariert, sondern als Reaktion auf eine Bedingung, für deren Bewältigung keine Macht ausgestattet war. Wie Carl Schmitt bekanntlich feststellte, ist der Souverän derjenige, der in der Lage ist, über den Ausnahmezustand zu entscheiden und nicht innerhalb des Ausnahmezustands. Wir leben in außergewöhnlichen Zeiten, aber ich denke, dass die Entwicklung völlig offen ist. Die Dinge können sich in viele verschiedene Richtungen bewegen.

Anm. d. Red.: Die Fragen stellte die Berliner Gazette Redaktion. Das Foto oben zeigt die Ausrüstung der Freiwilligen Notfallbriganden (Brigate Volontarie Per L’Emergenza) und wurde von Communemag.com aufgenommen.

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