Grenzen des Kapitals: Extreme Verschuldung und Klimawandel-Anpassung im Globalen Süden

Die extreme Verschuldung gerät außer Kontrolle, vor allem in Afrika und im globalen Süden insgesamt, wo Wirtschafts- und Klimakrisen miteinander verwoben sind, sich gegenseitig befeuern und im Zuge dessen erkennbar machen, dass die inneren und äußeren Grenzen des Kapitals erreicht sind, wie Tomasz Konicz in seinem Beitrag zur BG-Textreihe “After Extractivism” argumentiert.

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Eigentlich kann sich der Spätkapitalismus keine kostspielige Klimapolitik mehr leisten. Schon gar nicht dort, wo es vor allem darauf ankäme: im globalen Süden.

Die Weltbank warnte Anfang Juni angesichts hoher weltweiter Staatsverschuldung, die im Verlauf der Pandemiebekämpfung sprunghaft anstieg, vor einer schweren Schuldenkrise in Ländern mit „niedrigen und mittleren Einkommen“, ähnlich derjenigen Welle von Staatspleiten und Wirtschaftseinbrüchen, die in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts viele Entwicklungsländer verwüstete. Gegenüber 2019 drohe weiteren 75 Millionen Menschen in der Peripherie des Weltsystems der Absturz in „extreme Armut“, da extreme Schuldenlast, Inflation und ein rasch steigendes Zinsniveau eine Wirtschaftslage zur Folge hätten, die „ähnlich den 1970ern“ sei, hieß es weiter (siehe hierzu auch: „Zurück zur Stagflation?“).

Blackrock und Afrika

Von den 305 Billionen US-Dollar, auf die sich die weltweiten Schuldenberge inzwischen summieren, entfallen rund 100 Billionen auf Schwellenländer inklusive China. Die globale Gesamtverschuldung betrug 2019, am Vorabend der Pandemie, rund 320 Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Sie liegt nun, nach einem Spitzenwert von 360 Prozent 2020, bei 350 Prozent der Weltwirtschaftsleistung. Dabei ist ein Großteil des Schuldenwachstums, das vornehmlich durch die Gelddruckerei der Notenbanken ermöglicht wurde, gerade in der Semiperipherie zu verorten. Mehr als 80 Prozent der im letzten Jahr akkumulierten Schulden sind in den Schwellenländern neu aufgenommen worden.

Die Entwicklungs- und Schwellenländer drohen somit unter ihrer Schuldenlast gerade zu dem Zeitpunkt zusammenzubrechen, wo umfassende Investitionen in den Klimaschutz notwendig wären. Geradezu dramatisch entfaltet sich die Wechselwirkung aus ökologischer und ökonomischer Krise auf dem weitgehend wirtschaftlich abgehängten Kontinent, der am wenigsten zur Klimakrise beigetragen hat: im subsaharischen Afrika. Der gesamte afrikanische Kontinent ist nur für vier Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich, die – historisch betrachtet – zum überwiegenden Teil vom globalen Norden verursacht worden sind. Dennoch wird ein Großteil der ohnehin zu knappen Klimahilfen der Zentren für Afrika in Form von Krediten geleistet, mit denen die Schuldenlast in der Peripherie weiter ansteigt, während Investmentgesellschaften wie Blackrock – mit Investments von mehr 10 Billionen Dollar der weltweit größte Vermögensverwalter – sich weiterhin weigern, einem substanziellen Schuldenerlass zuzustimmen.

Blackrock war auch der größte Gläubiger Sambias, das Ende 2020 den Staatsbankrott erklären musste, nachdem der Vermögensverwalter sich weigerte, einer Aussetzung des Schuldendienstes zuzustimmen. Die Pleite des südafrikanischen Staates, der mit 13 Milliarden Dollar in der Kreide stand, dürfte aber nur den Auftakt der afrikanischen Schuldenkrise bilden. 2015 waren laut Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) acht Staaten im subsaharischen Afrika überschuldet und liefen Gefahr, in den Staatsbankrott zu taumeln. Im März 2022 waren es schon 23 Staaten. Die Wirtschafts- und Einnahmeneinbrüche im Verlauf der Pandemie, das Auslaufen eines Zinsmoratoriums im Dezember 2021, der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 und die Zinswende der US-Notenbank Fed lassen immer mehr afrikanische Staatshaushalte in Schieflage geraten. Zudem sieht sich China, das in den vergangenen Jahren als wichtiger Kreditgeber und Wirtschaftspartner Afrikas agierte, selber mit den Folgen einer gigantischen Immobilienblase und des pandemiebedingten Lockdowns konfrontiert. Die Gesamtverschuldung der Region hat sich von 380,9 Milliarden 2012 auf rund 702,4 Milliarden im Pandemiejahr 2020 nahezu verdoppelt.

Diese Schuldenlast erstickt alle Ansätze, die Folgen der Klimakrise in der Peripherie mit umfassenden Maßnahmepaketen zu mildern, wie Nichtregierungsorganisationen (NGO) im Herbst 2021 warnten. Demnach ist die Summe, die von den 34 ärmsten Staaten der Welt zur Bedienung ihrer Schulden aufgewendet werden muss, um das Fünffache größer als ihre Investitionen in den Klimaschutz. Den Schuldenzahlungen in Höhe von 29,4 Milliarden Dollar stehen Klimaschutzmaßnahmen im Umfang von 5,4 Milliarden entgegen. Jahrelang haben Weltbank und IWF die Entwicklungsländer zur Aufnahme von Krediten bei der Finanzierung von Entwicklungsprojekten ermuntert, doch seien deren Zinsen aufgrund des höheren Risikos um ein Vielfaches höher als in den Industriestaaten, warnte die NGO Jubilee Debt Campaign. Mitunter sind Zinssätze von mehr als zehn Prozent üblich, wobei die Zinswende der Fed diese Finanzierungskosten in der Peripherie noch weiter hochtreiben dürfte.

Kapitalistische Schuldenkrise und Klimakrise

Das Ineinandergreifen von kapitalistischer Schuldenkrise und Klimakrise torpediert nicht nur die Klimapolitik in den besonders gefährdeten Regionen der Peripherie des Weltsystems, die sich kaum noch Klimaschutz leisten können. Zusätzlich belasten die sich in zunehmenden Wetterextremen und Naturkatastrophen manifestierenden Folgen der Klimakrise die Staatshaushalte vieler Staaten aufgrund der damit einhergehenden Kosten – und sie tragen zur Destabilisierung des aufgeblähten globalen Weltfinanzsystems bei. Allein 2021 summierten sich die Kosten der zehn größten Naturkatastrophen auf rund 170 Milliarden Dollar, die – zumindest bei der Instandsetzung der zerstörten Infrastruktur – von den Staatshaushalten gestemmt werden müssten. Die Klimakrise wirkt somit längst als ein weiterer Kostenfaktor in dem überschuldeten spätkapitalistischen Weltsystem. Der Klimawandel beschleunigt somit das Wachstum der globalen Schuldenberge zusätzlich, er trägt somit zur Destabilisierung des Finanzsystems bei.

Artwork: Colnate Group (cc by nc)

Diese Kombination aus Schuldenbergen und eskalierender Klimakrise könnte sich zu einem „systemischen Risiko“ für die Weltwirtschaft entwickeln, warnten US-Medien 2021 unter Verweis auf Einschätzungen der Weltbank und des IWF. Untragbare Schulden, Klimawandel und Umweltzerstörung würden demnach einen „Zyklus aus verringerten Einnahmen, steigenden Ausgaben und zunehmenden klimatischen Anfälligkeiten“ verstärken. Evident ist diese Krisenmechanik in der Periphere: Während Entwicklungsländer schon 2019 Kredite von rund 8,1 Billionen gegenüber ausländischen Gläubigern akkumuliert hatten, deren Bedienung 17,4 Prozent ihrer Staatseinnahmen verschlang (eine Verdreifachung der Schuldenlast gegenüber 2011!), ist von den versprochenen Klimahilfen des Nordens, die sich auf 100 Milliarden Dollar summieren sollen, kaum etwas geflossen.

Die verheerende Wechselwirkung aus Überschuldung und Naturkatastrophen wird etwa am Beispiel des südwestafrikanischen Entwicklungslandes Mosambik deutlich, das schon 2019 unter einer hohen Verschuldung litt, als es von zwei Zyklonen verwüstet wurde, die mehr als 1000 Menschen töteten und Schäden von 870 Millionen Dollar verursachten. Die Regierung in Maputo sah sich genötigt, infolge des Extremwetterereignisses weiter Kredite aufzunehmen, um die Schäden zumindest teilweise zu beseitigen. Nun ist Mosambik auf der besagten IWF-Liste der vom Staatsbankrott gefährdeten afrikanischen Länder zu finden. Im vergangenen März warnten bereits die Finanzminister etlicher afrikanischer Staaten, dass „ein beträchtlicher Teil“ ihrer Haushaltsmittel in Reaktion auf Extremwetterereignisse wie Dürren und Überflutungen aufgewendet werden müsse, die „Finanzpuffer“ seien bereits weitgehend erschöpft.

Das Finanzsystem in künftigen sozial-ökologischen Krisen

Doch die Klimakrise dürfte auch das gesamte Weltfinanzsystem zunehmend in Schieflage bringen, da dessen einstmals als solide erachtetes Fundament, der Markt für Staatsanleihen, kaum noch die wachsenden Risiken reflektiert, warnte jüngst die Nachrichtenagentur Bloomberg. Demnach würden institutionelle Investoren zunehmend die Bewertung von Staatsanleihen durch die großen Ratingagenturen hinterfragen, da die plötzlichen Erschütterungen durch Extremwetterereignisse kaum in deren Berechnungen einfließen würden. Die Noten, die Ratingagenturen wie Moody’s Investors Service, S&P Global Ratings, und Fitch Ratings für Anleihen vergeben, sind aber entscheidend für deren Zinsniveau. Je schlechter die Benotung, desto teurer gestaltet sich der Schuldendienst.

Eine umfassende „Einpreisung“ von Klimarisiken würde somit den Schuldendienst verteuern, was die Gefahr von Staatspleiten ansteigen lassen würde. Dies gilt nicht nur für die Peripherie des kapitalistischen Weltsystems, wie Bloomberg ausführte. Auch Länder wie Japan, Mexiko, Südafrika oder Spanien könnten in den kommenden Dekaden durch die Wechselwirkung aus Kreditlast und Klimakrise in die Staatspleite getrieben werden, wenn ihre Bemühungen zur Reduzierung der CO2-Emissionen „zu spät, zu abrupt oder ökonomisch schädigend“ seien. In Schieflage könnten aber auch Staaten wie Russland, Kanada oder Australien geraten, die sehr stark vom Export fossiler Energieträger abhängig sind.

Staatsanleihen, insbesondere in den Zentrumsländern wie USA oder BRD, gelten aber als das Fundament, als der Beton des globalen Finanzkartenhauses. Bei jeder Krise flieht Kapital aus risikoreichen Investments in den „sicheren“ Anleihemarkt. Sollte dieser Anleihemarkt nicht mehr als ein „sicherer Hafen“ angesehen werden können, dann würde dies das gesamte Finanzsystem bei künftigen sozioökologischen Krisenschüben destabilisieren. Der Staatsanleihenmarkt sei „das Auffangnetz“ des Weltfinanzsystems, erklärte ein Analyst gegenüber Bloomberg, „jeder zieht sich dorthin zurück in Zeiten von Turbulenzen und Desastern“.

Diese üblichen Krisenreflexe auf den Finanzmärkten, die durch die gute Bewertung von Staatsanleihen durch Ratingagenturen befördert werden, stimmen aber nicht mehr mit der Realität der Klimakrise überein. Die Ratingagenturen haben schon früher katastrophale Fehleinschätzungen abgegeben, im Vorfeld der Weltfinanzkrise von 2008, als Hypothekenverbriefungen, die während der Immobilienblase in den USA und der EU die Finanzmärkte überfluteten, viel zu gut bewertet wurden. Nun droht ein ähnliches Szenario auf den Anleihemärkten, wo die Risiken der Klimakrise systematisch ausgeblendet werden.

Die Staaten fungieren ohnehin seit dem Platzen der transatlantischen Immobilienblase 2008 als letztes Aufgebot des an seiner Produktivität erstickenden Spätkapitalismus, der nur noch durch immer neue, kreditfinanzierte Konjunkturprogramme, durch extreme Gelddruckerei seine Agonie prolongieren kann. Diese innere Schranke des Kapitals tritt somit auch auf den Anleihemärkten in direkte Wechselwirkung mit der äußeren Schranke des Kapitals, der Endlichkeit des Planeten Erde und den Grenzen seiner ökologischen Belastbarkeit.

Anm.d.Red.: Dieser Text ist ein Beitrag zur Textreihe “After Extractivism” der Berliner Gazette. Die englischsprachige Version des Texts ist hier verfügbar. Weitere Inhalte finden Sie auf unserer englischsprachigen “After Extractivism”-Website. Werfen Sie einen Blick darauf: https://after-extractivism.berlinergazette.de Der Autor dieses Beitrags finanziert seine journalistische Tätigkeit größtenteils durch Spenden. Falls Ihnen dieser Text zusagt, dann können Sie sich gerne daran beteiligen – entweder über Patreon, oder durch direkte Banküberweisung nach Absprache per Mail.

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