Ein zentraler Wahlkampfslogan des Populisten Donald Trump war, den “Sumpf in Washington trockenzulegen”. Damit versprach der Populist, die Verstrickungen von Politik und Medien abzuschaffen. Welche Vision liegt dieser Rhetorik zu Grunde? Juristin Daniela Jaros und Medienkünstler Georg Eckmayr unternehmen im zweiten Teil ihrer Artikelserie eine Bestandsaufnahme.
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Die Aushöhlung der demokratischen Institutionen, wie schon 2004 von Colin Crouch beschrieben, führt unter anderem zur Loslösung des politischen Diskurses von politischen Institutionen. Nationalen und europäischen Regierungen und Parlamenten wird im medialen Diskurs der Vorwurf der von technokratischen Eliten dominierten Abgehobenheit und der mangelnden Auseinandersetzung mit den Gefühlen und moralischen Vorstellungen der Bürger gemacht.
Mit der Kritik an der Vereinnahmung von demokratischen Institutionen durch Eliten geht ein weiterer Vorwurf einher, nämlich dass diese mithilfe von Institutionen ausschließlich ihre eigenen Interessen bedienen. Folglich sei die Entfernung des Sprechens vom Politischen aus einem institutionalisierten Handlungsraum und die Verlagerung dieses Sprechens auf die individuelle Gefühlsebene die logische Konsequenz.
Argumente haben keine Chance gegen Wut
Dadurch büßt der politische Diskurs aber Verbindlichkeit ein. Der Versuch, Gefühle wie Wut oder Angst mit rationalen Argumenten aus dem Weg zu räumen scheitert, wie man an Wahlergebnissen wie bei der Präsidentschaftswahl in den USA oder der Abstimmung über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU beobachten kann, zunehmend.
Populistische Inhalte erfahren gerade wegen ihrer Reduktion, ihrer Einfachheit und ihres emotionalen Gehalts hohe Verbreitung in digitalen Medien. Eine Verbreitung, die der Darstellung komplexer Sachverhalte oder wenig aufregenden aber wichtigen Verhandlungsergebnissen oft verwehrt bleibt.
Selbst wenn Institutionen auf Transparenz bedacht alle Ergebnisse veröffentlichen würden, besteht die Möglichkeit, dass diese im Lärm der Wutbürgerdebatte nicht gehört werden. Aus diesem Grund sind staatliche, soziale und europäische Institutionen gefordert, Wege des Umgangs mit populistischen Debatten zu finden.
Institutionen und ihre Funktion
Institutionen wie Parlamente, Regierungen, Gerichte und NGOs sowie Gesetze, Verhaltens- und Standesregeln bestimmter Berufsgruppen (z.B. der Pressekodex) haben traditionell die Funktionen, auf Grundlage von akzeptierten Kriterien Fakten zu sortieren, Verhandlungen zwischen verschiedenen Interessensgruppen zu organisieren und zu strukturieren, sowie Verhandlungs- bzw. Diskussionsergebnissen Verbindlichkeit zu verleihen.
Die normative Grundlage hierfür bietet ein bestimmtes liberal-demokratisches Staatsverständnis, das von grundrechtlichen Garantien für alle Individuen, demokratischer Teilnahme und Repräsentation, Gewaltenteilung im staatlichen und globalen Machtgefüge sowie von Zurückhaltung der Staatsgewalt, die idealerweise in einer Trennung zwischen Staat und Gesellschaft mündet, charakterisiert ist.
Ein solches Verständnis ist auch in Bezug auf die europäischen Institutionen zumindest angestrebt, wenn auch in manchen Aspekten noch nicht verwirklicht. So ist es zum Beispiel eine Errungenschaft des liberal-demokratischen Staatsverständnisses, dass staatliche Eingriffe in das Privatleben von Bürgerinnen und Bürgern, wie in deren Familie, Gesundheit oder religiösen Glauben, nur im Ausnahmefall und dann unter strengen Bedingen möglich sind.
Das ist eines der wichtigsten Charaktermerkmale eines pluralen und nicht totalitären Staats. Auch bieten die existierenden Institutionen die Möglichkeit des besonnenen Diskurses über schwierigen Fragen, wie jene des Umgangs eines liberalen Staats mit illiberalen Gruppen und Praktiken in seinem Inneren.
Verliert einer seine Freiheit, verlieren alle sie
Die Anerkennung des aus all diesen Elementen bestehenden liberal-demokratischen Staatsverständnisses ist gleichzeitig die einzige Garantie für das Fortbestehen eines liberal-demokratischen Staats wie wir ihn kennen.
Der Verzicht auf einzelne Elemente dieses Staatsverständnisses, wie zum Beispiel auf Grundrechte für bestimmte Gruppen wie Flüchtlinge oder Minderheiten oder auf den Schutz der eigenen Daten führt letztlich zu Freiheitsverlust für alle.
Im ersten Fall wird die Universalität von Rechten in Frage gestellt und anhand rassistischer oder sonst nicht mit den Grundrechten vereinbarbarer Kriterien eine Gruppe ausgemacht, die von der Universalität ausgenommen wird. Sobald diese Ausnahme akzeptiert ist, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Gruppe – und vielleicht man selbst, da man als jung, alt, weiblich, männlich oder sonst kategorisierbar ist – betroffen ist.
Im zweiten Fall bedeutet ein Verzicht auf strenge Beschränkungen der Staatsgewalt Überwachung vieler über bloße Sicherheit hinausgehender Aspekte wie Gesundheit oder ‚Werteverbundenheit’. Aus einem liberal-demokratischen Staatsverständnis soll es undenkbar bleiben, dass ein Staat seinen Bürgern Fitnessprogramme zum Erhalt der Volksgesundheit vorschreibt oder das fehlerfreie Rezitieren deutscher Kinderlieder zur Bedingung für den Erhalt von Sozialleistungen macht.
Der Populist wird die alten Institutionen nutzen
Eine Untergrabung des Staatsverständnisses mithilfe populistischer Inhalte führt schließlich auch dazu, dass Probleme auf einer Ebene diskutiert werden, auf der keine Lösung möglich ist.
Aus diesem Grund ist es seitens populistischer Politik unverantwortlich und entmündigend, für die Zwecke ihrer eigenen Machtübernahme Wähler im Wege digitaler Medien mit Versprechen zu mobilisieren, die den Wählerinnen und Wählern zwar kurzfristig Wohlbefinden durch die Möglichkeit zur spontanen, meist einzeiligen Unmutsäußerungen geben, ihnen, wenn sie wahr werden würden, aber sogar schaden würden.
Statt darüber zu diskutieren, ob bestimmte Verhandlungen besser auf nationaler oder europäischer Ebene, von der Exekutive allein oder mit Einbindung des Parlaments, vor einem Gericht oder von einer europäischen Institutionen geführt werden sollen, zielt der Populismus gezielt darauf ab, den Eindruck zu erwecken, dass keine Institution fähig sei, eine dem individuellen Empfinden gerecht werdende Verhandlung zu führen.
Der populistische Machtmensch kann, wenn er dann gewählt ist, getrost sein Amt antreten und sich der „alten, nutzlosen“ Institutionen zur Sicherung der eigenen Machterhalt bedienen, da seine Wählerinnen und Wähler ohnehin nicht mehr erwarten, dass die Institution ordnungsgemäß funktioniert.
Wie können Institutionen reagieren?
Die Frage, die sich Institutionen stellen müssen, ist wie sie auf die Mobilisierung durch digitale Medien mittels der narrativen Übertragung des Politischen ins Individuelle reagieren sollen. Sie müssen die schwierige Gratwanderung zwischen dem Risiko, die eigene Glaubwürdigkeit zu verlieren, und der Notwendigkeit, an Diskursen teilzunehmen und Gefühle entsprechend zu adressieren, beschreiten.
Eine solche könnte gelingen, wenn sie den politischen Diskurs dort, wo er auf das Individuum reduziert worden ist, aufgreifen, ihn um eine emanzipatorische Komponente ergänzen und somit aus einer Kampagne wieder einen politischen Diskurs machen.
Da es sich aus einem liberal-demokratischen Staatsverständnis heraus eher bedrohlich als emanzipatorisch anhört, aus Forderungen wie jenen in den Kampagnen für den nun gewählten US-Präsidenten Trump politisches Programm zu machen, muss genauer definiert werden, wie eine institutionelle Reaktion auf eine auf individuellem Empfinden basierende Mobilisierung auszusehen hat.
Und man muss der Frage nachgehen, wie man Erfolg damit haben könnte, bei der Mehrheit der Wähler (wieder) ein liberal-demokratisches Staatsverständnis, ein vom individuellen Empfinden ausgehendes, sich aber auf die Gesellschaft beziehendes Verantwortungsbewusstsein und auch ein entsprechendes Verständnis für die Notwendigkeit, in einer globalisierten Welt auf supranationaler, europäischer Ebene Entscheidungen treffen zu können, herzustellen.
Anm. d. Red.: Dieser Beitrag ist der zweite Teil einer Artikelserie zu Clickbait Politics. Lesen Sie den ersten Teil hier. Der dritte und letzte Teil erscheint in Kürze. Die Fotos stammen von Noritoshi Hirakawa.
Dani, Georg,
Gratulation!
Bin sehr beeindruckt Dani!! Da ist euch ein toller Artikel gelungen!! Herzliche Gratulation und liebe Grüße Ulli
Ausgezeichneter Artikel!
Der schöne Artikel stellt die Populismusthese auf und ergänzt sie um einen identifizierten Anti-Institutionalismus. Da mag der Einwand aufkommen, dass man sich an einem Strohmann abarbeite und ihm dann vorwerfe im Kopf nur Stroh zu haben und ist denn nicht die gesamte US Politik populistisch?
Worin genau liegt die neue Qualität?
Meine Frage: Was, wenn die Institutionen tatsächlich kaputt sind?
Zuletzt die Resilienz: Welche Art von institutioneller “Flurverschmutzung” brauchen wir um diese Angriffe zu überstehen?
@ André: Danke für den Kommentar und die spannenden Fragen. Unsere Position ist, dass Institutionen im populistischen Diskurs dysfunktionaler dargestellt werden, als sie es in Wirklichkeit sind. Anstatt deshalb „das System aufzubrechen“, wie in mancher Debatte verlangt wird, versuchen wir herauszuarbeiten, wie der institutionelle Diskurs des populistischen habhaft werden könnte. Dies könnte gelingen, indem Institutionen die von Populisten aufgewühlten Gefühle mit glaubwürdigen Lösungsvorschlägen adressieren, was unzweifelhaft auch zu Reformen der Institutionen selbst führen könnte (zB mehr Transparenz etc.). Mehr dazu im dritten Teil unserer Artikelserie, der demnächst hier erscheinen wird.
“Der populistische Machtmensch kann, wenn er dann gewählt ist, getrost sein Amt antreten und sich der „alten, nutzlosen“ Institutionen zur Sicherung der eigenen Machterhalt bedienen, da seine Wählerinnen und Wähler ohnehin nicht mehr erwarten, dass die Institution ordnungsgemäß funktioniert.”
Witzig – weshalb kommt mir gerade jetzt der Name “Angela” in den Sinn…?
Was kann man gegen Trump unternehmen? Wie kann das Volk in den USA wieder stärker politisch beteiligt werden? Was hat uns Occupy gebracht und gelehrt?