Auf nach Neukölln: „War ich schon mal hier? Und wenn ja: Habe ich wieder nach Hause gefunden?“

Berlin ist dreckig, vermüllt und stinkt. Vor allem, wenn man aus der sauberen, bayerischen Porzellanstadt München kommt. Die Neu-Berlinerin Esther Chase erzählt, wie sie den Kulturschock überstand und sich daraufhin neu verliebte.

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So, jetzt bin ich kurz nachdem ich mein Abitur im wunderschönen München in die Hand gedrückt bekommen habe, endlich in Berlin angekommen. Ganze drei Monate darf ich hier leben, um ein Praktikum zu machen.

Viel Zeit habe ich damit verbracht, mir auszumalen, wie mein Leben hier wohl aussehen würde. In meiner Vorstellung gab es eigentlich immer nur glamouröse Partys, eine glamouröse Wohnung und glamouröse Leute zu sehen. Guuuut. Nun bin ich hier angekommen und kann voller Enttäuschung sagen: nichts da. Keine glamourösen Partys, keine glamouröse Nachbarschaft und vor allem, keine glamourösen Leute.

Ich war zwar schon so oft hier, aber immer nur als Touristin. Ich fand es jedes Mal toll. Es war überwältigend schön am Prenzlauer Berg zu wohnen, die schnieken Leute zu beobachten, voller Erwartung auch endlich einer von ihnen zu sein. Gekonnt ignoriert habe ich alles, was nicht ins Bild passte, vor allem die Hundescheiße auf der Straße. Jetzt bin ich hier, im schönen Neukölln und trotz der ersten Enttäuschung bin ich nun der Meinung, dass es trotzdem, wenn auch nicht schnieke, so doch toll ist. Nur eben anders als erwartet.

„Berlin ist es egal, ob du rauchst.“

Zum Beispiel frage ich mich manchmal, ob hier gewisse Gesetze, so wie zum Beispiel das Rauchverbot nicht angekommen sind. Am ersten Abend in einer Bar mit einem Desperados-Bier für ungeschlagene 2,80 Euro (zum Vergleich, München: 5,00 Euro +) zu sitzen und alle um mich rauchen gesehen zu haben, war erst mal ein Schock für mich, ich komme doch aus der rauchfreisten Zone überhaupt, Bayern. Auf die Frage hin, warum man hier rauchen dürfe, bekam ich ganz beiläufig und selbstverständlich die Antwort: „weil wir hier in Berlin sind.“. Und Berlin ist es egal, ob du rauchst.

In Berlin wohnt man nicht in einer heilen, sauberen, rosa Blubberwelt. Hier wird man im Alltag nicht verschont und wenn ich ehrlich bin, war das für mich, brave Münchnerin, erst mal zu viel. Aber die Hauptstadt nicht ausgeknockt, sondern für sich gewonnen. Schon nach zwei Wochen. Auslöser dafür gab es viele.

Besonders mitreißend waren die nächtlichen  „Stadtrundfahrten“: mit „google-maps“ finde ich immer relativ leicht meine Ziele und das natürlich als Möchtegern-Berlinerin mit dem „Radl“. Wenn ich allerdings wieder nach Hause finden will, ist das Ganze nicht mehr so leicht. Ich frage mich dann jede Nacht: „war ich hier schon mal? Und wenn ja: wie habe ich von hier nach Hause gefunden?“

„sight-seeing by night“

Irgendwie schaffe ich es trotz großer Verzögerungen immer nach Hause und bis jetzt waren diese Umwege einige der besten Momente hier. Mit dem „Radl“ mitten in der Nacht durch Berlin zu fahren, während die ersten Vögel schon anfangen zu singen und Straßenmusikanten mir durch ihre Musik die nötige Motivation geben nach Hause zu finden, ist unbeschreiblich.

Es ist sight-seeing, Entdeckungstour, Workout und Entertainment, alles in einem. Man muss zwar vielleicht auf einen erhöhten Alkoholkonsum verzichten, um Unfälle zu vermeiden und auch eine nächtliche Dusche ist unumgänglich, aber liebe Neu-Berliner: es lohnt sich!

Nun habe ich meinen ersten Schock überwunden und meine Erwartungen beiseite geschoben, denn Berlin wird mich weiterhin überraschen. Und nachdem ich mich an den strengen Geruch nach Verdautem vor meiner Haustür gewohnt habe, kann ich die zugemüllte Nachbarschaft als die aufregendste Gegend anerkennen, in der ich jemals war.

Außerdem hab ich eins ganz sicher in Berlin gelernt. Hier ist nichts und zwar wirklich gar nichts glamourös. Und wenn es glamourös ist, dann ist es nicht echt. Aber manchmal ist es eben tausend Mal besser mit super netten und unglamourösen Leuten in unglamourösen und versteckten Bars zu sitzen und unglamourös ein Bier zur unglamourösen, unentdeckten Musik zu trinken.

Anm.d.Red.: Ralf Kühnes Fotos (by-nc-sa) zeigen die Demontage von Brückenteilen an der Anschlussstelle Neukölln.

17 Kommentare zu “Auf nach Neukölln: „War ich schon mal hier? Und wenn ja: Habe ich wieder nach Hause gefunden?“

  1. man man man, münchnerin in neukölln und dann noch wat positives über schwabenberg. naja harter tobak früh morgens.

    ach ja ick soll nich imma nur motzen wurde mir jesagt. püppi kommste mit uff ne neukölln tour mit mir erfährste ne menge

  2. Schön geschriebener Erlebnisbericht und eine schöne Auflockerung für die Seite. Also ich würde mir mehr von solchen Artikeln wünschen. Gibt es vielleicht eine Fortsetzung, beispielsweise über die unglamourösen Menschen die du in Neukölln kennengelernt hast?

  3. @#4: also ich könnte mir eine Fortsetzung gut vorstellen, denn ich habe noch viel über das Leben in Berlin zu erzählen.

    @#5: Was wird, bzw. was wird nicht?

  4. Hallöchen, ein sehr schöner Erlebnisbericht! Wir haben in einem Semesterprojekt unserer Hochschule Berlin auch mal etwas näher unter die Lupe genommen. Dabei sind sehr spannende, lustige und vor allem lesenswerte Beiträge entstanden. http://socialmedia.kkandk.de/2011/07/08/how-to-become-a-berlin-atze/ Hier geht es z.B. um die Berlin-Atzen – eine sehr interessante Spezies, über die man auch viel erzählen kann! Schaut doch mal vorbei und schreibt ein paar Kommentare, was ihr dazu sagt. Sind für jede Meinung dankbar! :)

  5. #11 Es hat doch niemand behauptet, dass man Berlin kennt. Ich glaube auch, wenn man 20 Jahre in Berlin wohnt kennt man vielleicht seinen Bezirk und noch ein paar andere Bezirke, aber nicht Berlin.

  6. @#11 & #12: Ich kann Euch beiden nur zustimmen, denn ich kenne Berlin nicht und werde es auch nie wirklich gut kennen. Denn wie gesagt, die Stadt überrascht mich jeden Tag aufs neue.

  7. #12/13: Ich lebe seit 38 Jahren in Berlin und erfahre jeden Tag etwas neues über diese wunderbare, aber nicht problemlose Stadt. Was ich Ihnen, Esther, empfehle: Meiden Sie die Touristengebiete in Mitte und Kreuzberg und meiden Sie Klischees, schauen Sie auch auf Hinterhöfe, bleiben Sie vor kleinen Denkmälern stehen und fragen nach der Geschichte dahinter, reden Sie auch mal mit Leuten, die hier geboren sind oder hören einfach zu, wenn Menschen sich unterhalten.Fahren Sie auch mal dahin, wo Berlin ein “Dorf” ist, z.B. zum Richardplatz. Laufen Sie mal am Wochenende frühmorgens die Karl-Marx-Allee hinunter und lassen die gewaltige Leere wirken oder fahren Sie mit einer Straßenbahnlinie von Anfang bis Ende und beobachten die Menschen. Alles Gute.

  8. #14: danke für die Tipps! Ich werde versuchen das alles noch zu erleben.
    #15: meine absoluten hot spots diesen Sommer waren entweder die Treppen einer Grundschule nebenan, wo ich oft mit Freunden und einem Bier (natürlich nur Abends, wenn keine Kinder dort waren) saß, oder auch die Treppen des Weigandufers. Einfach total entspannt.
    Die Bars in Neukölln, wie zum Beispiel das Tier kann ich auch nur empfehlen. Dort kann man auch schön draußen sitzen.

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