Arte con Arte: Was es bedeutet, die Kluft zwischen Kunst und Politik in Kuba zu politisieren

Seit 1984 ist sie Schauplatz einer der bedeutendsten internationalen Veranstaltungen für bildende Kunst Lateinamerikas: die Bienal de La Habana. Das Besondere an der letzten Ausgabe: sie wurde  von zahlreichen internationalen Künstler:innen boykottiert. Die Autorin und Kommunikationswissenschaftlerin Vera Dünninger hat mit Yaily Martínez Molina, Bildhauerin und Malerin aus Kuba, über die Herausforderungen einer solchen Schau sowie über das künstlerische Schaffen als Frau und junge Mutter auf Kuba gesprochen. Ein Interview.

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Frau Molina, was bedeutet Ihnen Kuba?

Kuba ist meine Wiege, es ist der Ort, an dem ich geboren wurde und aufgewachsen bin. Hier habe ich zum ersten Mal gelacht und geweint, geliebt und betrogen. Hier habe ich auch Leid, aber vor allem habe ich hier Glück erfahren, das Glück zu leben und einige der Menschen an meiner Seite zu haben, die ich am meisten liebe.

Ende letzten Jahres startete die 14. Ausgabe der Biennale. Sie nahmen – wie bereits vor zwei Jahren – an dem Kunstevent teil.

Ja, ich habe an dem autonomen, soziokulturellen Projekt Détras del Muro teilgenommen. Hierbei handelt es sich um künstlerische Interventionen am Malecón, Havannas Uferpromenade. In diesem Rahmen stellte ich mein Werk „Pulso“, das auf ein Einhorn anspielt, aus. Außerdem wurde ich dazu nominiert, gemeinsam mit anderen angesehenen Künstler:innen an der Gruppenausstellung Arte con Arte des spanischen Sammlers Luciano Méndez in der Gedenkstätte José Martí teilzunehmen, was eine große Ehre für mich ist. Méndez, der in Kuba lebt und arbeitet, und ich hatten über die Unruhen im Land und über die Idee, dazu auszustellen, gesprochen.

Am Ende waren wir uns einig, dass es auf die Kunst ankommt, auf unsere Arbeit. Wir sind weder politische Künstler:innen noch Aktivist:innen, obwohl die Kunst auf das Politische anspielt und wir Kinder unserer Zeit sind, gibt es eine Kluft zwischen Kunst und Politik. Das ist der Grund, warum Luciano die Ausstellung Arte con Arte nennt. Es ist ein tautologischer Titel.

Worauf spielen Sie an, wenn sie von den Unruhen in Kuba sprechen? Könnten Sie das etwas ausführen?

Diese Biennale war sehr untypisch und umstritten. Ich bin der Meinung, dass sie aus mehreren Gründen nicht mit der letzten vergleichbar ist. Der erste ist die durch die Pandemie verursachte Krise. Diese hat sich auf alle Bereiche der Gesellschaft ausgewirkt, und dieses kulturelle Ereignis bildete da keine Ausnahme. Die Aufsplitterung in mehrere Etappen von November 2021 bis April 2022 hat dann zu einem langsameren und unregelmäßigeren Rhythmus der präsentierten Ausstellungen geführt. Und schließlich hat der von einigen Künstler:innen initiierte Boykott die Kunst in Kuba in eine Krise gestürzt und die Kunst bis zum Äußersten politisiert, so dass viele Künstler:innen auf der Insel vor der Entscheidung standen, ob sie an der Biennale teilnehmen oder nicht. Sie liefen Gefahr, von extremistischer Seite verurteilt zu werden.

Der Aufruf kubanischer und internationaler Künstler:innen zum Boykott der Biennale sorgte weltweit für Schlagzeilen. Warum nahmen Sie dennoch teil?

Zunächst einmal respektiere ich die Entscheidung einer jeden Künstler:in in dieser Situation. Ich respektiere die Menschen, die aufrichtig gehandelt haben, ohne an Profit zu denken. Aber ich glaube, dass die Dinge nie so sind wie sie im Munde von Extremist:innen zu sein scheinen. Die Extreme berühren sich, und es gibt ein bekanntes Sprichwort: Hinter jedem Extremisten steht ein Opportunist. Ich mag Politik nicht besonders, ich bin eine Künstlerin, und meine Arbeit wird immer ein Mittel sein, um etwas zu sagen, um meine Ideen und Gefühle als Antwort auf die Welt, die uns umgibt, darzustellen. Im Hintergrund mag es Politik geben, aber das ist nicht mein Thema. Ich tue also nichts anderes, als das zu tun, was ich am liebsten tue, nämlich zu arbeiten und meine Arbeiten zu zeigen.

Ich glaube nicht, dass ich von der Idee, an dieser Biennale teilzunehmen, so begeistert war wie in anderen Jahren. Ich hatte von Anfang an meine Zweifel, aber der Wunsch, meine Arbeit zu zeigen und zu sehen, wie sie umgesetzt und platziert wird, war der Grund für meine Entscheidung.

Lassen Sie uns über Ihre Arbeit sprechen. Sie malen – meist mit Acryl oder Öl auf Leinwand – oder zeichnen Menschen, jedoch nur Frauen. Warum?

Seitdem ich mein Studium begonnen habe, male ich nicht mehr so intensiv, die bildhauerischen und installativen Aspekte meiner Arbeit stehen nun im Vordergrund. Das gab mir die Möglichkeit, mich zu distanzieren und meine bisherige Malerei von außen zu betrachten. Meine frühere Malerei wird weitgehend von der weiblichen Figur dominiert. Diese Thematisierung entstand durch meine Lektüre von Modemagazinen. Hier spielt die Suche nach weiblicher Perfektion und weiblichen Idealen eine Hauptrolle. Die dort abgedruckten, fast „perfekten“ Frauen werden zu Objekten der Begierde und prägen Schönheitsstandards.

Mit meiner Malerei wollte ich in diese Frauen hineingehen und ihre wahre Identität zum Vorschein bringen. Heute erkenne ich, dass ich mich in all diesen Gesichtern widerspiegelte. Das hat mir meine Mutter eines Tages gesagt, und ich habe mich ein bisschen geärgert. Heute weiß ich, dass sie Recht hatte. Das waren seltsame Zeiten in meinem Leben. Momente großer Verwirrung über meine Zukunft, eine beunruhigende und gefährliche Stille. Momente, in denen ich viel nachgedacht habe.

Feministische Künstlerinnen setzen sich explizit mit weiblicher Identität und kollektiven Erfahrungen von Frauen auseinander. Gibt es auch in Kuba eine solche Frauenbewegung?

Soweit ich weiß, gibt es in Kuba keine so starke feministische Bewegung wie jene, die in den 1960er Jahren in den Vereinigten Staaten entstanden ist. Aber es gibt eine Vielzahl von feministischen Künstlerinnen. Für mich ist feministische Kunst ein zweischneidiges Schwert. Eine feministische Künstlerin zu sein, bedeutet für mich nicht, dass ich mich als feministische Künstlerin bezeichnen muss. Ich denke, dass die Kunst und eine Künstlerin viel komplexer sind. Ich kann ein Werk schaffen, das einen feministischen Unterton hat, aber ich muss mich nicht unbedingt als Feministin bezeichnen.

Die absichtliche Übernahme von Stereotypen und eine Anpassung an den feministischen Diskurs mag vielen Künstlerinnen auf ihrem Weg zum Erfolg vielleicht sogar helfen.

Feministische Kunst braucht und gibt es so lange, wie die gesellschaftliche Gleichstellung der Geschlechter noch nicht verwirklicht ist. Wie siehst Du das? Und wie steht es um die Selbstverständlichkeit der kubanischen Künstlerin als Teil des Kunstbetriebs?

Ich mag die Viktimisierung von Frauen nicht, obwohl ich anerkenne, dass die Diskriminierung des weiblichen Geschlechts bekämpft werden muss, ebenso wie ich anerkenne, dass eine Gleichstellung der Geschlechter noch nicht existiert.

Hier in Kuba war es kein Konflikt für mich, Künstlerin zu werden, aber es gibt in Teilen unserer Gesellschaft Anzeichen, bestimmte Phänomene aus einem männlichen, chauvinistischen Blickwinkel zu analysieren.

Vor allem aber bin ich der Meinung, dass eine Frau darum kämpfen muss, den ihr gebührenden Respekt und Platz zu erhalten. Ich beurteile aus menschlicher Sicht und unter dem Gesichtspunkt, dass wir alle Menschen sind, die Respekt verdienen, unabhängig von Rasse oder Geschlecht.

Auch Ihr Partner ist Künstler. Wirkt das „befruchtend“ und inspirierend oder eher hemmend auf Sie?

Ich denke, dass es manchmal schwierig sein kann, neben einem anderen Künstler zu bestehen, besonders als Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft. Aber wie bei allen Dingen ist nichts absolut, und alle Fälle haben unterschiedliche Nuancen. In meinem Fall hat es eine positive und befruchtende Wirkung. Das hat einen großen Vorteil: Wenn Du mit jemandem zusammenlebst, der deine Sprache versteht, bist du in ständigem Austausch von Ideen und Meinungen. Außerdem weiß dieser Mensch, was du brauchst, um dich als Künstler:in zu entwickeln, er weiß, dass deine individuelle Zeit und dein individueller Raum sehr wichtig sind, denn auch er braucht sie. In diesem gegenseitigen Respekt wird also ein Gleichgewicht erreicht.

Sie sind im Sommer diesen Jahres Mutter geworden – Glückwunsch! Hat die Geburt Ihres Sohnes Ihre Sicht auf die Welt verändert?

Ja, ich glaube, für jede Mutter verändert die Geburt eines Kindes, ihre Sicht auf die Welt völlig. Meiner Erfahrung nach ist diese Sicht sehr stark mit einem übermäßigen Beschützerinnenstinkt verbunden. Im Handumdrehen beginnst du, die wertvollsten Dinge in deinem Leben neu zu ordnen, und dein Verantwortungsgefühl beginnt heftig zu wirken. Es ist etwas Göttliches, Unerklärliches für mich, was ich fühlte, als mein kleiner Prinz geboren wurde, als er mir in die Arme gelegt wurde. Es ist reine, bedingungslose Liebe, die die Grenzen unseres Verständnisses überschreitet.

Hatte dieser neue Lebensabschnitt auch Einfluss auf Sie als Künstlerin und Ihre Beziehung zu Kuba?

Irgendwie fühle ich mich heute mehr mit meinem Land verwurzelt. Es gibt eine Art Wechselbeziehung zwischen deinen Wurzeln, deiner Familie und den Erfahrungen, die dein Kind im Leben machen wird. Das bedeutet nicht, dass der Wunsch zu arbeiten, zu studieren, andere Länder kennen zu lernen – kurz gesagt – zu leben, verloren geht. Eine Mutter zu sein, ändert nichts an deinen Ambitionen als Mensch und Künstlerin, aber du beginnst, deinen Lebensraum neu zu ordnen, um immer mehr Platz für deine Familie zu schaffen. Und du suchst nach Möglichkeiten, sie immer an deiner Seite zu haben.

Diese Phase als Künstlerin ist nicht einfach für mich. Zweifellos ist Zeit sehr wichtig für meine Kreationen, und ein Baby von wenigen Monaten nimmt diese Zeit fast vollständig ein. Aber wenn man Menschen an seiner Seite hat, die einen unterstützen und wollen, dass man beruflich vorankommt, dann verdoppelt man seine Anstrengungen, damit es klappt. Mein Partner und meine Mutter sind sehr wichtige Stützen für mich, um meine Arbeit fortsetzen zu können. Noch bedeutender als meine Ausdauer und Stärke.

Anm. d. Red.: Einen Überblick über die aktuelle Arbeit der Künstlerin gibt ihr Instagram-Account.

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