Dieses Gefuehl, nach drei Unterwasserpurzelbaeumen rueckwaerts die Orientierung zu verlieren und in einen Schwindelgrenzwertmodus zu geraten, in dem das Wasser die Doppelfunktion eines Traeger- und eines Haltentzugsmediums uebernimmt, ist mir bis heute vergegenwaertigbar. Kurz gesagt war es vor allem, dass der durch das Wasser erzeugte Tiefenraum, in dem das, was man seltsamerweise >Unterwasser< nennt, seine Ausdehnung findet, was mich faszinierte. Sobald das altersmaessig moeglich war, habe ich mit dem Tauchen begonnen - zunaechst in trueben Teichen, dann im Atlantik und in Bergseen.
Da beeindruckten mich dann vor allem die unerahnten Schwebezustaende an Steilwaenden, Licht-Schatten-Gebilde in und um versunkene Baeume, Schiffe oder Felsformationen, das Absinken entlang eines Ankerseils in ein bodenlos scheinendes Dunkel, bis dann der Boden langsam naeher kam und sich zu erkennen gab sowie die Gegenbewegung hinauf, wo das Seil in ein Licht fuehrte, dessen Konturen nicht erfassbar waren, weil es, je naeher man ihm kam, durch die Wellenbewegungen gebrochen wurde.
Nicht nur der Koerper besteht zum Mehrteil aus Wasser. Das gilt auch fuer jeden organischen Gedanken. Dem Denken sein Wasser zu lassen, ist freilich eine veritable Herausforderung. Denn es kann bekanntlich leicht waessrig werden und in Ermangelung hinreichender Kohaesion ausufern. Das hat seinen Reiz – und ich schaetze durchaus zuweilen das Gefuehl der Freiheit, die sich als Freiheit der Gedanken zur autonomen Formbildung manifestiert.
Zugleich aber bringt einen diese Diffusionsverselbstaendigung um jene Intensitaetserfahrungen, die entstehen, wenn man etwas begriffen hat. Wasser kann man nicht begreifen, Wellengang und Stroemung nicht erfassen, nur erfahren. Das macht es faszinierend und bedrohlich zugleich – und in dieser Ambivalenz ist vermutlich auch seine Eignung und Potenz als Metaphernmaschine begruendet. Die Kunst besteht wohl darin, besagtes Begreifen im Fluss zu vermoegen, den Moment zu [be-]achten und doch den Verlauf nicht ausser Acht zu lassen. Ich glaube, dass, charmiert vom Reiz der Unerfassbarkeit, der in der Berufung auf das Fluide so oft bekannt wird [von Heraklit bis Fluxus und den Theorien der >fluessigen Moderne<], zu schnell die Bedeutung des Einuferns fuer ein angemessenes Weltverhaeltnis verleugnet wird, gerade und obwohl natuerlich alles irgendwie im Fluss und unfassbar ist. Andererseits: Interessant ist, dass man [auch in den kreativen und erkenntnisorientierten Raeumen unserer Gesellschaft] vor allem das zu erzeugen bestrebt ist, was fassbar und bleibend ist - und was man festhalten und >praesentieren< kann. Der Moment hat keinen rechten Wert, die Konstellation in ihrer nur jeweiligen Bestaendigkeit wenig Bedeutung, das Ergebnis zaehlt nur als Bilanz. Fliessend zu denken hiesse, ein Vertrauen in die jeweilige Konstellation zuzulassen, ein Vertrauen in die Ausdruecklichkeit des Moments als Moment, nicht aber nur in bzw. mit Blick auf seine spaetere Ausdrueckbarkeit. Ich bin, 1972 geboren, in GoreTex sozialisiert worden - und es versprach die sogenannte Funktionsfaser bekanntlich Wasserdichtigkeit und Atmungsaktivitaet. Die ersten Generationen dieser Faser haben mich, zumindest wenn man sie wirklich beansprucht hat, nie recht ueberzeugt - meist war ich, wenn die Bedingungen wirklich einmal Funktionskleidung verlangten, regen- UND schweissnass. Aber wie auch immer: Ich finde, dass sich in der phantasmatischen Traegeridee hinter dem Funktionsfaserkonzept eine interessante Figur findet. Dem Wasser gegenueber moechte man gerne dicht sein [und -halten, trotz des kanonischen Eimsinging-Sinatrasmus], gleichwohl aber luftig bleiben - wozu es noetig ist, gegenueber dem unfasslichen Aussen, in dem eben auch Wasser haust, atmungsaktiv zu bleiben. Das sowohl/als auch, das hier am Werke ist, operiert wie jener existentielle Klettverschluss zwischen Angst vor/Angst um, den Heidegger in seiner Sorge-Theorie konzeptualisiert - und laesst jenen textilen Versicherungsbedarf entstehen, den derjenige, der seine Angst um sich vor allem ueber eine Angst vor etwas erfaehrt, dann doch lieber am Leib traegt und sich darunter [aus Angst vor sich?] zum verschwinden bringt. Wildes Wasser [atlantische Sturmwellen, Bergbaeche zu Zeiten der Schneeschmelze] lassen bei mir tiefe Ruhe entstehen - dieser seltsame Konnex beschaeftigt mich seit langem schon. Eine Theorie dazu waere die, dass wildes Wasser eine leitfaehige Realform dessen ist, was uns >innen< bewegt - und damit Spannung aus diesem Innen ableitet. Freilich ist mir bis heute nicht klar, ob es eher ein quasi kausaler Akt der Entaeusserung der inneren Unruhe an das betrachtete Wasser ist oder aber eine immanente Relativierung der Betrachtergrammatik, die nun das im Vergleich zur Aeusseren Naturgewalt etwas spaerlich erscheinende, innere Geschehen neu zu sehen vermag. Einer meiner frueheren Wohnungsgeber, in Innsbruck, war ein ambitionierter Meerwasseraquarianer. Dies hatte den eindrucksvollen Effekt, dass man im Wohnzimmer der im Vorgebirge liegenden Wohnung durch ein riesiges Becken mit Korallen, Rotfeuerfischen, Muraenen usw. hindurch aus dem Fenster auf die Tiroler Berge blickte, wie durch eine sehr spezielle Sphaerenverbindungsbrille. Zuweilen schwammen die Pinzettfische vom Serlesgipfel ueber das Silltal in Richtung Patscherkofel, um dann ein einer sanften Drehung in Richtung Mutters abzutauchen. So, dachte ich mir damals, kann man Aquaristik vielleicht doch auch anders betrachten denn als ein Hobby im Modelleisenbahndispositiv. Beruflich finde ich das Aquarium vor allem jenseits fischgefuellter Glasbehaelter interessant: wenn man es als Dispositiv selbstverursachter Innenweltaussenbegrenzung deutet. Ich denke da an jene im Resonanzbereich staedtischer Peripherien gebaute Einkaufszentren oder andere Containerwelten der Jetztzeit [Freizeitparks etc.]. Laesst man sich auf solche Angebote ein, kann man gegen Bezahlung Zierfisch werden - in braesiger Genuegsamkeit das Ganze zu haben glauben, waehrend man in nichtigen Ambiente-Zitaten einer scheinbar immanenten Oekologie auf den Leim geht; man ueberlaesst sich den Aquarianern des modernen Lebens, die das Habitat gefaellig gestalten und die Logistik beduerfnisorientiert realisieren. Aussen bleibt draussen. Was noch mehr koennte man da wollen sollen?