Mein erstes Aquarium erfuellte keine der Bedingungen, die man gewoehnlich an ein Aquarium stellt. Es bestand aus einem Ein-Liter Einweckglas. Heute, da es solche Glaeser nicht mehr gibt, waere ein grosses Gurkenglas die Entsprechung. Das fuellte ich mit Teichwasser. Auf den Boden kamen Sand und ein paar Kiesel. Eine Wasserpflanze war schwer in der aufrechten Position zu halten. Alles kam aus einem Teich und sollte den Tieren vorspiegeln, sie lebten bei sich zu Hause. Sie sollten sich wohlfuehlen.
Alle Tiere kamen aus dem einen Teich: Wasserfloehe, Schwimmkaefer, Larven und anderes Kleingetier und dann ein Paar Bergmolche, das Maennchen ein Prachttier mit orangefarbenem Bauch und blauem Ruecken, Kaulquappen und ein wenig Froschlaich. Das Glas stellte ich auf den Fenstersims in der Kueche. Im hellen Licht bildeten sich rasch Moos und Algen, und nach wenigen Tagen war das Wasser trueb und musste erneuert werden. Froesche wollen sonnen, und so baute ich ein kleines Floss aus Aesten und Binsen, auf dem sie, statt auf den Blaettern einer Wasserpflanze, liegen sollten.
Daraus wurde leider nichts. Entweder war es ihnen nicht geheuer oder sie kippten um, auf alle Faelle kam mein Floss bei ihnen nicht an. Das war ein kleines Problem, denn die Froesche, das machten sie klar, wollten raus aus dem Glas. Da halfen die dicksten Mehlwuermer, die ich ihnen anbot, gar nichts. So brachte ich sie eines Tages zurueck in ihre Teichfreiheit und fuellte das Glas neu. Mein Aquarium hatte mit den echten Aquarien, in denen Zierfische ihre Runden drehen, oder gar mit Meerwasseraquarien, rein gar nichts zu tun.
Es konnte, gemessen an der Aquarienkultur, die ich in den Wohnzimmern von Freunden kennenlernte, nur durch Negationen bezeichnet werden: Von Aesthetik und Exotik konnte nicht die Rede sein. Es zeigte nicht das ferne Fremde, es gingen keine Schauer vor dem Exotischen und keine Faszination des Raetselhaften oder Schoenen von ihm aus. Niemand fiel bei seinem Anblick eine Reise in die ferne Suedsee ein. Besucher, die in die Kueche kamen, empfanden keinen aesthetischen Genuss, aber einige fuehlten die Sinne doch gereizt, schuettelten sich leicht und wandten den Blick angeekelt ab. Das muss weg, sagte meine Mutter mit abgewandtem Blick.
Fuer mich gab es viel zu sehen. Mit Neugier guckte ich jeden Tag ausfuehrlich ins Glas. Wie Molche schwimmen und fressen und senkrecht unter der Wasseroberflaeche haengend atmen, weiss ich von dem Paar im Einweckglas. Bald kaufte ich ein Mikroskop und sah das Unsichtbare dieses Wassers. Und natuerlich die Froesche: Vom schwarzen Punkt im Laich ueber die Kaulquappe zum Tier mit vier Beinen. Es ist kein Wunder, dass die Metamorphose der Froesche alle Kulturen beeindruckt und zu Geschichten ueber das Zaubern angeregt hat.
Damals wusste ich nicht, dass die Alchemisten verschiedene Wassersorten unterschieden: meist Regenwasser, Teichwasser und Brunnenwasser. Diese Waesser dachten sie sich auf eine Weise verschieden, wie wir etwa soziale Milieus unterscheiden. Regen ist das reinste Wasser, es kommt vom Himmel, Brunnenwasser ist durch Erde und Gestein gelaufen und daher mit eigenen, oft heilenden Kraeften gestaerkt, und das Teichwasser ist unrein. Mit >rein< war nicht nur Hygiene gemeint, sondern zwischen verschmutzt und unrein gab es einen deutlichen Unterschied. Das reine Wasser hatte etwas Fernes und Sakrales. Waehrend Schmutz abgewaschen werden kann, kann das Unreine nur rituell beseitigt werden. Froesche galten seit dem Mittelalter ueber viele Jahrhunderte als unreine Tiere. Sie lebten daher, schreiben Berichte bis ins 19. Jahrhundert, im Teichwasser. Das war ihr natuerliches Milieu, und sie brauchten es. Die unreinen Tiere liebten das schmutzige Wasser, und sie waren ekelhaft. Inzwischen denken wir anders. Wir haben die Bewertungen umgekehrt, das Unreine in kollektiven Riten gereinigt, und auch der Frosch ist nicht mehr unrein. Wir haben ihn zum Tier der Umweltbewegung gekuert. Den Anblick exotischer Aquarien brauchen wir nicht mehr, und zu den bunten Fischen koennen wir, wenn wir das Umweltgewissen unterdruecken, in wenigen Stunden mit dem Touristenjet fliegen. Aber um den Erhalt jedes schmutzigen Tuempels sind wir bereit, einen kleinen Kampf zu fuehren, und Umweltschuetzer tragen die unreinen Kroeten ueber die Strasse zum naechsten Teich. Wenn sich unser Leben immer mehr verfluessigt, durch Elektronik und Fortschritt fluid und transparent wie das reine Regenwasser wird und sich von uns entfernt, so liefert der unscheinbare Frosch das noetige Gegengewicht. Es lohnt sich, fuer ihn und sein truebes Wasser zu kaempfen. [Anm. d. Red.: Der Verfasser des Textes war Professor fuer Deutsche Literatur und Kultur an der New York University und ist Mitherausgeber des Buches Frosch und Frankenstein.]