Das Wort >Aquarium< ist ja viel zu harmlos und verkennt die Tatsache, dass dort Lebewesen drin sind, Tiere und Pflanzen. Eigentlich muesste man ja zu diesem Ding sagen: >eingesperrte-Fische-in-einem-mit-Wasser-gefuellten-Glaskasten<. Nun, die Tatsache, dass Menschen ein Aquarium als Wohnzimmerdekoration oder als Objekt im Wartezimmer betrachten wollen, hat ein lange kulturgeschichtliche Tradition. Man kann sie sicher auch auf die Weltausstellungen zurueckfuehren - auf das Zur-Schau-Stellen des Fremden, Exotischen, auch des Gefaehlichen.
Ich denke, die stummen Fische und Pflanzen im Aquarium, das ja oft >authentisch< mit Unterschluepfen, Grotten und Teilen von >versunkenen< Schiffswracks usw. ausgestattet ist, sind zu lesen als Domestizierung des Unheimlichen, nicht Kontrollierbaren - eben die Tiefen des Ozeans. Stellt man es sich heute in den Raum, so schwingt dabei aktuell auch eine ironische Remiszenz an den Retro-Look der 70er mit, als diese Objekte aufkamen. Nun zu den >echten Meeren<. Ich betrachte die Weltmeere als globales Gut, das jenseits nationaler Grenzen existiert. Gerade dieses Nicht-Eingebundensein in die nationalen Genzen aber macht die Weltmeere so verwundbar, viele betrachten sie als Niemandsland, in dem man seinen Abfall verklappen darf. Am >Haus der Kulturen der Welt< veranstalten wir in jedem Sommer ein grosses Wassermusikfestival - da greifen wir das Thema Wasser im weitesten Sinne auf: als Element, als vom Klimawandel betroffenes Allgemeingut, als kuenstlerische Inspiration fuer Musiker und Literaten. Man kann sagen, dass wir uns damit zu den >anderen Postmodernen< begeben. Indem wir uns mit Autoren wie dem ehemaligen Binnenschiffer Michel Serres auseinandersetzen und Nilexperten einladen, die sich in Berlin zum Thema Wasser umhoeren moechten, wird klar, dass das Thema Wasser uns auf der Welt verbindet, uns Weltbewusstsein eroeffnet. Wir koennen die Ozeane laengst nicht mehr als >das Andere< domestizieren, so wie wir auch das Exotische nicht mehr >ausstellen< koennen. Hingegen steht in unserem Ansatz das Fliessende, auch der Fluss der Gedankenlinien in den Netzen des Wissens im Vordergrund. Unbedingt sollte man dem Fliessenden des Wassers auch in den Formen der Literatur, von Text und Sprache, Rechnung tragen. Das kann reichen von der Frage des sich >verfluessigenden Schreibens< - eine Frage, die wir gemeinsam mit der Berliner Gazette im kommenden Jahr angehen moechten - bis hin zu Flosslesungen, Brueckenfahrten auf der Spree usw. Generell sollten wir unsere Formate wegentwickeln, von der frontalen, statischen Form hin zu einer dynamischen, alle Beteiligten einbeziehenden, ohne dass es den Beteilgten unangenehm sein muss. Aber das Statische ist kulturell so verankert, dass es ausserdordentlich schwer ist! Unweigerlich zieht man sich auf die klassischen, wenig dynamischen Wort-Formate zurueck. Im Fruehjahr probieren wir etwas Neues aus: Das Projekt heist >Ueber Wut<. Dazu sind alle eingeladen sich zu aeussern, an einem grossen runden Tisch, an dem klassische-Wut-Texte vorgetragen werden, aber auch Platz fuer spontane Interventionen sein wird. Man sollte ja nicht denken, dass es einfach ist, dem fluiden Element gerecht zu werden! Unsere Kultur ist jahrhundertelang dem Statischen verhaftet - Fluesse wurde begradigt, als Transportstrassen oder Energiequelle behandelt. Meere als Container betrachtet, in die man alles hineinkippen oder sie leer schoepfen und fischen kann. Dass aber das Wasser ein Medium ist, das seine Form immer wieder zu aendern vermag und dennoch zusammenhaengend bleibt, sogar den Co2-Ausstoss binden kann, ist einzigartig. Wir sollten das Fluide als Metapher zukuenftiger kultureller Praxis viel woertlicher nehmen! Vielleicht wird die gesprochene Sprache durch die Digitalisierung mehr Bedeutung erhalten. Denn wie das fluechtige Wasser, ist auch sie ein fluechtiges Medium, das sehr stark vom Kontext abhaengt, sehr stark auf eine Situation bezogen ist - ein Fluss klingt ganz anders an der Quelle als an seiner Muendung oder auf runden Steinen anders als auf spitzen Felsen. Das wuerde es uns auch einfacher machen, orale Formen anzuerkennen. Ich moechte als Beispiel einen Griot, einen Geschichtenerzaehler aus dem Senegal anfuehren: Er wohnt einer Hochzeit bei, seine Aufgabe ist es, das, was geschieht, weiter zu tragen, in andere Teil des Landes, wo Angehoerige wohnen, die der Hochzeit nicht beiwohnen koennen. Nach der Hochzeit reist er in diese anderen Orte. Jedesmal, wenn er die Geschichten der Hochzeit erzaehlt, aendert er sie, sie sind niemals gleich, sondern davon abhaengig, wen er gerade vor sich hat, wie muede er ist, in welcher Fabulierlaune er sich befindet. Seine Worte fliessen abhaengig davon, wo er ist. [Anm. d. Red.: Die Verfasserin des Textes ist Leiterin des Bereichs >Kultur, Gesellschaft, Wissenschaft< am Berliner Haus der Kulturen der Welt.]