Meine Eltern, die frueher lange Zeit ein Aquarium im Wohnzimmer hatten, erzaehlen gerne, dass sie mich als Baby oft mit der Wippe davor setzten – eine todsichere Methode der Ruhigstellung, da die kinematische Schau ihren Effekt bei mir nie verfehlte. Etwas spaeter wurde ich dann selbst stolze Besitzerin eines eigenen Zimmeraquariums samt einer Horde fortpflanzungsfreudiger Guppyfische, doch nach und nach verlor ich das Interesse an den ewig stummen Gefaehrten hinter ihrer Glaswand und zog es vor, die heimische Flora und Fauna und das kalte Nass leibhaftig zu erkunden.
Unter Wasser sein – was war das Aquarium gegen dieses ganz eigene intensive immersive Erlebnis, bei dem man selbst vollkommen in und unter Wasser und vom Wasser eingeschlossen ist, die Schwerkraft aufgehoben und der Koerper scheinbar verfluessigt ist? Schnell schien mir die Kontemplation vor dem Aquarium, wo doch Betrachtungssubjekt und -objekt ewig getrennt blieben, ein reichlich anachronistischer Zugang zur Unterwasserwelt.
Kurzum, das Aquarium in der elterlichen Wohnstube qualifizierte ich zur staubfaengerischen [eher dinglichen statt lebendigen] Raumverzierung ab und mein eigenes wanderte in den Keller und somit aus meinem Leben. Bis ich waehrend meines Studium der Literatur- und Kulturwissenschaft im alten Medium Buch – ueber dessen Materialitaet sich sagen laesst: Das nasse Element ist seine Sache nicht – eine dem Unterwassererlebnis strukturell verwandte Form der Immersion wieder entdeckte.
Das nasse Element ist durchaus Sache des Buches. Das Lesen als Akt des Ein- und Abtauchens in fremde Welten und in eine Vielfalt von [Bedeutungs-]Stroemen, Stroemungen und Untiefen. Und siehe da: Das Aquarium ist einer der Protagonisten in dieser Geschichte – als epistemisches Objekt ebenso wie als Medium und literarische Metapher.
Man stelle sich die Faszination vor, aber auch den Schock, den die ersten Aquarien Mitte des 19. Jahrhunderts bei den Zeitgenossen ausloesten, befoerderten sie doch aus bislang als unbelebt geltenden Meerestiefen absonderliche, exotische Wesen mit teilweise amorphen, nicht klassifizierbaren Formen zu Tage. Das Spannendste in der Kulturgeschichte des Aquariums – ich meine hier vor allem die Erfindung, Verbreitung und literarische Verarbeitung des Aquariums vom spaeten 19. bis ins fruehe 20. Jahrhundert – sind die Gegensaetze, die es vereint und doch nicht aufloest.
So holte das Zimmeraquarium – genauer: das fruehe Meerwasseraquarium – die exotische, fremde Meereswelt mitten in die Wohnstube und schrieb sich so in eine Sensationsaesthetik ein, die Faszination und aesthetischen Schauer gleichermassen ausloeste. Naturkundliche Neugier und aesthetischer Genuss sind so im Aquarium stets verwoben, ist es doch gleichermassen ein Medium der Sichtbarmachung der Tiefsee als bis dahin unzugaenglicher terra incognita, wie auch eine gezaehmte, hinter Glas abgeschlossene Miniaturwelt, die anfangs oft mit Bilderrahmen versehen an die Wand gehaengt wurde.
Beides, die entflammte Neugier an der Unterwasserwelt und die Lust am aesthetischen Schauspiel, findet sich in vielen Romanen des spaeten 19. Jahrhunderts wieder, am anschaulichsten vielleicht in Jules Vernes bekannter Erzaehlung einer wundersamen Abenteuer- und Entdeckungsreise, die 20.000 Meilen unter dem Meer spielt. Im gleichnamigen Roman gleitet die Besatzung des futuristischen U-Bootes Nautilus selbst in einer Art motorisiertem Aquarium in den Meerestiefen umher, um wiederum durch ein riesiges Bullauge auf einen gerahmten Ausschnitt der Meereswelt zu blicken und so einen Aquarienblick einuebend, der nicht zufaellig an das spaetere kinematographische Dispositiv erinnert. Schnell wird jedoch das Aquarium vom Medium phantastischer Reisen auf den Grund des Meeres zum blossen [literarischen] Raumaccessoire, zum Klischee bourgeoiser Salonidylle.
Doch das ist nicht das Ende der Geschichte – und hierin liegt das auch aktuell noch wirksame Ueberraschungspotential und die Vielfaeltigkeit des Motivs: Aus dem Innersten des Heims selbst heraus bricht das Fremde wiederum ein, das >Heimelige< des Aquariums schlaegt ins >Unheimliche< um, wie etwa in Joris-Karl Huysmans Fin de siecle-Roman >Gegen den Strich<, in dem sich die erstrebte statische Ordnung zunehmend in Angstbilder der Verfluessigung aufloest und die Flora und Fauna der Aquariumswelt ins Monstroese kippt. Um die Jahrhundertwende beschwoeren immer mehr fluide, fluessige Sprachformen und Metaphern die Unterwasserwelt als Reich der Phantasmagorie und des Traumes schlechthin, das Aquarium ist hier die Evokationsquelle von Traumbildern des Unbewussten und zugleich ist die Wasserwelt ein Instrument der Sprachkritik und eines poetologischen Gegenentwurfs. Im Roman >Der Pariser Bauer< des surrealistischen franzoesischen Schriftsteller Louis Aragon ueberflutet das Meer sogar die ganze Stadt Paris und die Passage de l'Opera verwandelt sich in ein grosses menschliches Aquarium: >Wie ueberrascht war ich, als ich, angezogen von irgendeinem mechanischen, monotonen Geraeusch, das wohl aus dem Schaufenster des Spazierstockhaendlers drang, bemerkte, dass dieses in ein blassgruenes, gewissermassen submarines Licht eingetaucht war, dessen Quelle unsichtbar blieb. Das aehnelte der Phosphoreszenz der Fische, wie ich sie einst als Kind sehen konnte; doch musste ich mir eingestehen, dass Spazierstoecke zwar die Leuchteigenschaften der Meeresbewohner durchaus besitzen moegen, dass es aber eine physikalische Erklaerung fuer diese uebernatuerliche Helligkeit und vor allem fuer das Geraeusch, das das Gewoelbe dumpf erfuellte, nicht zu geben schien. Das Geraeusch erkannt ich wieder: Es war das Muschelrauschen, das immer wieder Dichter und Filmstars in Staunen versetzt. Das ganze Meer in der Passage de l’Opera!< Mit dieser Beschreibung, wie das Wunderbare in den staedtischen Alltag einbricht, moechte ich schliessen - sicher war es nicht mein letztes Eintauchen in die Tiefen der Kultur- und Literaturgeschichte des Aquariums. [Anm. d. Red.: Die Verfasserin des Textes ist Kulturforscherin in Berlin und wirkt unter anderem bei der Literaturzeitschrift das gefrorene meer mit.]