Vor einer halben Stunde habe ich mich vom Spaziergang mit vollends durchnaesster Hose ins trockene Haus retten koennen – nun sitze ich, abgetropft und mit einem warmen Tee, im sonnendurchfluteten Wohnzimmer und bin angehalten, ueber mein persoenliches Verhaeltnis zum Wasser nachzudenken; vielleicht ist der eben ueberstandene Regenschauer ein guter Anfang. Weil Freizeit und Sport fuer mich zumeist draussen stattfinden, gehoert Regen einfach dazu; Regen, den man verflucht, Regen, den man herbeisehnt: wenn auf dem letzten Wanderkilometer, den man wegen Blasen an den Fersen auf den Fussballen bewaeltigen muss, ein kalter Schauer herunterbricht und niemand Schokolade dabei hat – wenn im Sommer die schwuele Hitze im Tal haengt und endlich am Horizont dunkle Gewitterwolken aufziehen.
Und weil ich einen Regenschirm als ziemlich unpraktischen Gegenstand erachte, trage ich eigentlich immer eine wasserdichte Jacke: Die erste habe ich nach wenigen Wochen und notgedrungen nach ersten Rollerfahrten im Siegerland erworben; zu der Jacke kam dann bald eine Regenhose – und seitdem erst habe ich diese Region wirklich entdecken und liebgewinnen koennen.
So sind Menschen, die mir einen Platz unter ihrem Schirm anbieten wollen, meist verwundert, wenn ich dankend ablehne und die Kapuze aufziehe – mag mein Neindanke doch als Zurueckweisung einer sozialen Verbindung verstanden werden, als Ablehnung einer Beziehung zu dem Mitmenschen, der den Schauer mit mir durchleiden, mit seinem Schirm mein Leiden mindern moechte.
Andererseits und zugleich – hier sind die Strategien seiner Bewaeltigung ebenso uneindeutig wie der Regen selbst – kann es sehr verbindend sein, wenn man eine Kapuze traegt: Verbindend mit der Natur – in die ich mich nicht laenger als noetig begeben wuerde, waere ich dabei auf ein so sperriges und bewegungshemmendes Utensil wie einen Regenschirm angewiesen, oder muesste ich mich schutzlos aufweichen lassen; verbindend aber auch mit anderen Menschen: Wie mit den zwei jungen Schwedinnen, die uns – in traditioneller Tracht und barfuss – in der Tuer des Dorfmuseums von Skaenninge empfingen, als wir triefend in den Pfuetzen standen, die von uns herabliefen.
Herein, herein, neugierig kam noch ein junger Mann an die Tuer, aber wir machen Euch doch alles nass – egal, ich setze schon mal Tee auf, moechtet Ihr Kuchen? So fanden sich fuenf Menschen etwa gleichen Alters, die nur der Regen so zusammenfuehren konnte – und die wasserdichte Kleidung, ohne die ich diesen gesamten Urlaub niemals angetreten haette [waere?]. Auf diesem Wege erfuhren wir, nachdem wir uns von den nassen Klamotten befreit hatten, dass dieses Staedtchen, das von der Umgehungsstrasse aus ziemlich trist und trostlos daherkommt [was nicht nur am Wetter lag], aber einen huebschen alten Kern hat, beinahe schwedische Hauptstadt geworden waere – bloss haetten die damaligen Bewohner diesen Titel dann grosszuegig Stockholm ueberlassen. Darueber sei er auch ganz froh, meinte der Mann, schliesslich waere es ihm viel zu stressig, nun in einer Metropole anstelle des beschaulichen Skaenninge leben zu muessen.
Wenn also Wasser zur Metapher des Sozialen werden und in seiner verbindenden Eigenschaft stark gemacht werden soll, so reizt es dennoch, gerade seinen ambivalenten Charakter mit zu nehmen – und nach der Ambivalenz des Sozialen wiederum zu fragen. Dabei geht es nicht um grummelige Misanthropie, vielmehr um die Fruchtbarkeit einer solchen Mehrdeutigkeit. Das Wasser, das Soziale – sie sind lebensnotwendig, sie verbinden; und koennen gleichwohl bisweilen bedrohlich und bedrueckend werden, wenn – wie in der allgegenwaertigen >Krise< - alle im selben Boot den Launen eines stuermischen Meeres ausgeliefert sind, wo Anpassungszwang und sozialer Druck zwar die Meuterei verhindern, wenn alle in das gemeinsame Jammern einstimmen - sie aber genauso dem Aufbegehren des Einzelnen im Wege stehen, der sich dem Abenteuer lieber stellen moechte. Womoeglich haette das Meer selbst auf einer Kinderzeichnung diese ambivalente/vieldeutige Gestalt: Als heimeliges Zuhause eines kulleraeugigen Zeichentrickfisches namens Nemo, der, wie das Kind selbst im letzten Urlaub, Sandburgen baut - ebenso wie als verhaengnisvolle Tiefe des - im Wortsinne - Haifischbeckens, durch das der Vater sich auf der Suche nach dem Sohn kaempfen muss. So waere es wahrscheinlich muessig, einem Kind durch eine besonders freundliche Zeichnung das in seiner Positivitaet durch den >Strudel der Finanzwelt< und >uferlose Maerkte< juengst etwas laedierte Meer aufhellen zu wollen. Vielleicht hat sich fuer Kinder in dieser Sache nichts verdunkelt, weil dem Meer in seiner Gefaehrlichkeit - wenn die Flut das Tagewerk zunichte macht und die Sandburgen einreisst und wegspuelt - der Reiz eines spannenden Abenteuers innewohnt: So haben Kinder vielleicht ein natuerlicheres Verhaeltnis zu der dem Meer - wie dem Wasser - inhaerenten Ambivalenz: des Meeres, des Wassers, des Sozialen, wie auch - als chancenreiche Herausforderung - der Krise. [Anm. d. Red.: Die Verfasserin des Textes ist Mitglied im Graduiertenkolleg 1288: Freunde, Gönner, Getreue und Autorin des Buches Orte der Freundschaft. Niklas Luhmann und Das Meer in mir.]