Sprache laesst sich nicht am Massstab von Zeit und Geschwindigkeit verstehen. Sie ist, vor allem in Schriftkulturen, ein Element gesellschaftlicher Stabilitaet und sorgt fuer Kontinuitaet. Kollektive und individuelle Identitaeten sind auf diese Stabilitaet angewiesen. Aber die Zeit geht an Sprachen nicht vorbei. Sie wandeln sich, und dafuer brauchen sie Zeit. Gegenwaertig kann man in mancher Hinsicht von einer Beschleunigung solchen Wandels sprechen. So gibt es offenbar eine Beschleunigung des Sprachensterbens. Es gibt Berichte, dass in Australien, Lateinamerika und einigen Regionen Asiens mit verschwindenden kleinen ethnischen Gruppen gegenwaertig Sprachen mit einer nicht bekannten Geschwindigkeit >sterben<. Aber es ist zweifelhaft, dass es einen direkten Zusammenhang dieses Sterbens mit der Globalisierung gibt. Die Gleichzeitigkeit duerfte eine blosse Koinzidenz sein.
Eine Beschleunigung des Sprachenwandels in den grossen Kultursprachen, das Deutsche eingeschlossen, ist dagegen offensichtlich die Folge der Globalisierung und einer durch sie ausgeloesten Beschleunigung der Lebensverlaeufe. Sprachen waren nie statisch, sondern haben im interkulturellen Austausch stets Elemente anderer Sprachen aufgenommen, am leichtesten in der Semantik. Nun setzt die Globalisierung die Sprachen unter einen zunehmenden Anpassungsdruck. Wir wissen nichts ueber die Zeit, die etwa die Sprache von Kolonisatoren in der Antike oder im 18./19 Jahrhundert brauchte, um die Sprache der Kolonisierten zu erfassen. Es ist wohl so, dass in der Gegenwart die weltweite Bedeutung des Amerikanischen zu schnellen Veraenderungen der meisten Sprachen fuehrt, ohne dass, denke ich, ein Wort wie >kulturelle Kolonisation< diese Entwicklung trifft. Zweifellos ist, dass viele Menschen eine solche >von aussen< kommende Beschleunigung des Sprachwandels spueren, das verstoerende Gefuehl entwickeln, nicht mithalten zu koennen und etwas Eigenes und Inneres zu verlieren. Ueber die moeglichen Folgen fuer die betroffenen Sprachgemeinschaften und ihre Sprecher kann man nur spekulieren. Was wir aus Befragungen und anderen Quellen wissen, deutet darauf hin, dass dieser Sprachwandel von vielen als Hilflosigkeit und die neue Geschwindigkeit als Bedrohung empfunden werden. Aus dem beschleunigten Sprachwandel leitet sich der Eindruck ab, das Tempo der Lebenswelt sei zu hoch, koenne aber durch eigenes Handeln nicht gesenkt werden. Mir scheint jedoch, dass die Jugendkultur mit dieser Geschwindigkeit gut zu recht kommt und aus dem raschen Wandel Selbstbestaetigung und Vergnuegen bezieht. Das Vergnuegen korrespondiert mit dem am raschen Tempo der Innovationen auf dem Markt fuer Elektronik und Kommunikationstechnologie. Hier bieten sich neue Moeglichkeiten der Abgrenzung von der Generation der Eltern und der Pflege eines Selbstbildes aus dem Geist der neuen Technologien sowie von Geschwindigkeit und ihrer bestaendigen Steigerung. Englisch als Kommunikations- und Fachsprache in Bereichen wie Tourismus, Finanzen und Oekonomie oder Elektronik und Technologie nimmt global eine einzigartige Position ein, der keine andere Sprache Konkurrenz macht. Es ist aussichtslos, an dieser Position zu zweifeln oder sie bekaempfen zu wollen. Das fuehrt aber keineswegs - wie oft zu hoeren ist - zum Absterben anderer Sprachen, weder der aussereuropaeischen noch der anderen europaeischen Kultursprachen. Geht man von der unangefochtenen Position des Englischen aus, ohne sich von Emotionen den Blick trueben zu lassen, kann man durchaus beobachten, wie Globalisierung kreativ auf Sprachen wirken kann – auch auf das Englische, das nicht mit der Schrumpfsprache von Piloten, Oekonomen oder Touristen gleichgesetzt werden darf. Die Kraft des Englischen liegt unter anderem in seiner Flexibilitaet und Anpassungsfaehigkeit, die es unter den Bedingungen der Globalisierung erneut unter Beweis stellt, wie etwa die gesprochenen Sprachen und die Literaturen in Indien, Australien oder Afrika demonstrieren. Nach einem aehnlichen Muster aendern sich gegenwaertig auch Sprachen wie das Deutsche. Sie sind nicht nur dem Druck der Anglizismen ausgesetzt, sondern die internationalen Migrationsstroeme haben Wirkungen, die nicht durch Hegemonialverhaeltnisse oder gar Untergangsszenarien zu erklaeren sind. Sprachen wie das Deutsche haben sich stets durch Kulturkontakt und die Faehigkeit zu Mischungen lebendig erhalten. Was waeren die europaeischen Sprachen ohne ihre wechselseitigen Beeinflussungen? Was waere das Deutsche ohne die Uebernahmen aus Latein, Griechisch, Franzoesisch, English, Hebraeisch, Italienisch und anderen Sprachen, die fuer kommerziellen oder kulturellen Austausch noetig waren? Der Reichtum europaeischer Sprachen ist das Erbe ihrer Aufnahme- und Wandlungsfaehigkeit. Es ist schwer zu verstehen, dass die substantielle Minderheit von Tuerken nicht dazu fuehrt, dass mehr Deutsche Tuerkisch lernen und auf diese Weise einen Kontakt herstellen und Austausch foerdern. Es ist aber symptomatisch fuer die Produktivkraft der Globalisierung, dass sich in Deutschland eine Sprache entwickelt, in der die Mehrheitssprache mit Elementen einer Minderheitssprache fusioniert. Das ist bisher eine Sprache der Marginalitaet, einer Subkultur, von Jugendlichen, die sich in Literatur und im Kino verbreitet, nicht nur im Experimentalfilm, sondern auch im Fernsehspiel und in kommerziellen Filmen wie >Gegen die Wand<. Nicht das hirnlose Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch, das etwa die Deutsche Bahn und andere Unternehmen benutzen, sollte als das Produkt der Globalisierung angesehen werden. Aus ihm spricht nichts Neues, sondern die bekannte alte Profitgier, die das loecherige Maentelchen eines Dummenjargons als das Gewand von Fortschritt und Dynamik ausgibt, um Konsumenten anzumachen. Die Chance, die das Deutsche hat, sich im globalisierten Kulturkontakt zu erneuern und den Geist einer neuen Zeit in sich aufzunehmen, bietet die gesprochene Sprache der gelebten Welt. Es freut mich zu hoeren, wenn Studenten Deutsch immer haeufiger nicht als eine >schwierige<, sondern als eine >reiche< Sprache bezeichnen: reich an Nuancen und differenzierten Ausdruckformen. Im Unterschied zum schnellen und anpassungsfreudigen Englisch der internationalen Kommunikation koennte Deutsch sich als ein Idiom der Entschleunigung durch Differenzierung und einen Sinn fuer Komplexitaet herausbilden. Diese Chance verdient groessere Aufmerksamkeit als das Jammern ueber den angeblich bevorstehenden Tod des Deutschen. Die Reaktion auf diese Herausforderung wird die Zukunft des Deutschen wesentlich bestimmen.