Vernetzte Proteste

Es scheint zwar so, als seien viele Aktivisten in das Internet ausgewandert. Doch benötigt heute jede politische Aktion im digitalen Raum einen lokalen Bezugspunkt in der Offline-Realität. Das Internet dient dabei als Werkzeug, um die Protestierenden zu vernetzen und um die mediale Aufmerksamkeit zu steigern.

Ein Blick auf die Geschichte des Medienaktivismus im Internetzeitalter zeigt unterschiedliche Möglichkeiten der Verknüpfung von On- und Offline-Realität.

Internet und Straße

Die Gruppe Strano Net initiierte 1995 die erste dokumentierte Online-Demo, um die Server der französischen Regierung lahmzulegen. Die (computergestützte) Arbeit der Regierung sollte gestört werden. Dies war für viele Aktivisten ein wichtiges Lehrstück. Lange Zeit galten Server-Attacken als probates Mittel.

Mit einem virtuellen Sit-in im Jahr 1998 wollte sich die “Anonymous Digital Coalition” in den Krieg zwischen der mexikanischen Armee und der EZLN in der Provinz Chiapas einmischen. Gleichzeitig mobilisierte die EZLN das Internet um ihren Kampf in die Arena der internationalen Politik zu tragen.

Ende der Nuller Jahre wurde Twitter bei der grünen Revolution im Iran eingesetzt, um den Straßenprotest mit dem internationalen Netzwerk des Echtzeitnachrichtendiensts kurzzuschließen: die Protestierenden konnten sich lokal und global vernetzen, sprich: koordinieren und Aufmerksamkeit generieren.

Eine erweiterte Realität des Protests?

Die Verknüpfung von On- und Offline-Realität erreicht im Falle der Augmented Reality eine neue Dimension. Hierbei geht es um die Ergänzung von (Live-)Bildern mit computergenerierten Zusatzinformationen oder virtuellen Objekten mittels Einblendung/Überlagerung. Ein Beispiel wäre Google Goggles.

Was für Auswirkungen hat diese Art der computergestützten Erweiterung der Wirklichkeit auf den vernetzten Protest? Auf welche Art und Weise könnten mittels Augmented Reality virtueller und reeller Protest miteinander verknüpft werden? Könnte dieses Werkzeug dazu beitragen, dass ein virtueller Protest in ganz neuer Weise im realen Raum stattfindet? Erste Beispiele gibt es bereits.

Am 24. April fand in Amsterdam der erste Augmented Reality Flashmob statt. Besitzer eines iPhones oder Android-Handys konnten sich eine Applikation auf ihr Telefon herunterladen, um auf dem Bildschirm des Handys 3D-Figuren über den Platz laufen zu sehen. Außerdem konnte man auch eigene “Human Statues” kreieren und diese dann über den Platz schlendern lassen.

12 Kommentare zu “Vernetzte Proteste

  1. Ich frage mich, in wieweit ein Flashmob ein Mittel des Protests sein soll. Eher eine Spielwiese für alle, die mal die Macht der Vielen spüren wollen, ohne Parolen oder Steinewerfen.

  2. ein halligali flashmob ist doch bitte sehr kein protest, eher was für die nintendo-gameboy-abteilung

  3. @Leon und Karen Luso: Ich will gar nicht sagen, dass ein Flash Mob eine Form des Protests ist, sondern welche Implikationen Augmented Reality für vituelle Proteste haben kann – vielleicht können wir ja auch alle irgendwann im Iran “mitprotstieren” auf der Straße…

  4. Musste man denn bei dem erwähnten Flashmob in Amsterdam vor Ort sein oder konnte man auch in einer anderen Stadt “Human Statues” dafür kreieren? Ich kenn Augmented Reality nur so, dass man vor Ort sein Handy in die Luft halten muss um den Layer sehen zu können.

  5. @Magdalena: Aber würden die “virtuellen Demonstranten” die gleiche Wirkung haben wie die echten vor Ort? Würde eine Demo überhaupt bemerkt werden wenn 5 echte Menschen und 2 Mio. virtuelle auf einem Platz protestieren?

  6. @Silvia: Gute Frage, Wikipedia, liefert darüber Aufschluss und die Definition deutet auch an, inwiefern hier eine politische Dimension im Spiel ist: Der Begriff Flashmob (flash = Blitz; mob [von mobilis beweglich] = aufgewiegelte Volksmenge, Pöbel – deutsch etwa Blitzpöbel) bezeichnet einen kurzen, scheinbar spontanen Menschenauflauf auf öffentlichen oder halböffentlichen Plätzen, bei denen sich die Teilnehmer üblicherweise persönlich nicht kennen und ungewöhnliche Dinge tun. Flashmobs werden über Online-Communitys, Weblogs, Newsgroups, E-Mail-Kettenbriefe oder per Mobiltelefon organisiert. Flashmobs gelten als spezielle Ausprägungsformen der virtuellen Gesellschaft (virtual community, Online-Community), die neue Medien wie Mobiltelefone und Internet benutzt, um kollektive Direkte Aktionen zu organisieren.

    Obwohl die Ursprungsidee ausdrücklich unpolitisch[1] war, gibt es mittlerweile auch „Flashmobs“ mit politischem oder wirtschaftlichem Hintergrund. Diese müssten auf Grund ihres Sinns und ihrer Zielrichtung Smart Mob heißen.[2][3] Der Begriff Smart Mob geht auf einen Bestseller des US-amerikanischen Psychologen Howard Rheingold aus dem Jahr 2003 zurück.

  7. So netzaffin bin ich dann doch, dass mich diese Geschichten aus den Prä-Bubble-Jahren interessieren, wie the thing oder Strano Net. Gibt es da ein passendes Buch dazu?

  8. @Fabian: Da kann ich dir “Bürgerrechte im Netz” empfehlen, das hat die BPB um 2002 herausgegeben, und dann auch “Netzkritik” von Geert Lovink, das ist noch aus den 90ern, also genau aus der Zeit. Vielleicht gibt es auch noch mehr Buchtipps hier aus der Community? ;)

  9. Was Buchtipps anbetrifft, sollte man über die Zapatisten lesen und deren Strategien online und offline miteinander zu verbinden. Eine sehr lesenswerte Studie stammt von Kristine Vanden Berghe: Narrativa de la rebelión zapatista. Los relatos del Subcomandante Marcos (Iberoamericana/Vervuert 2005). Die Wissenschaftlerin hat in der Berliner Gazette übrigens zu diesem Themenfeld etwas geschrieben, leider damals nicht mit Schwerpunkt auf besagte Frage, aber dennoch lesenswert: http://berlinergazette.de/ein-cocktail-fuer-alle/

  10. Wie unangenehm dieser Art Internetaktivitäten für die Staaten und deren Regierungen sind, zeigt ihr massiver Eingriff in die Freiheit der Netze – von China bis Iran aber auch bei uns. Das Mittel Flashmob ist bei weitem noch nicht erprobt. Es enthält vielfältige Möglichkeiten öffentlichen Protests. Staatsgewalt wird es nicht leicht haben, damit erzeugte und gesteuerte Massen/Protest-Veranstaltungen in den Griff zu bekommen.

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