Ein Cocktail fuer alle

Mein Interesse an Lateinamerika bewog mich Ende der 1980er Jahre dazu, in Mexiko zu studieren, wo ich an der UNAM meinen Magister in Iberoamerikanischer Literatur gemacht habe. Es war mein erster Kontakt mit einem Land, das wesentlich aermer war als mein Heimatland Belgien. Diese Erfahrung hat mich vieles gelehrt. Sie hat mich nicht zuletzt erkennen lassen, dass wir trotz allem vieles gemeinsam haben.

Die Armen und die Reichen, die Europaeer und die Lateinamerikaner, insbesondere in jenem Bereich, den man als die Privatsphaere bezeichnet, die Welt der zwischenmenschlichen Beziehungen. In diesem Sinne zerstoert das Zusammenleben mit dem Anderen gewisse Stereotype und laesst uns exakt das sehen, was wir miteinander teilen: was uns unterscheidet, was uns einander naeher bringt. In jenen Momenten aber, in denen dieses Zusammenleben sich schwierig zu gestalten scheint, aus welchen Gruenden auch immer, passiert das genaue Gegenteil. Die Unterschiede kommen auf negative Weise zum Tragen: die Stereotypen werden reaktiviert und gewinnen an Bedeutung.

Nachdem ich nach Belgien zurueckgekehrt bin und dort an einer Doktorarbeit zu Brasilien gearbeitet habe, begann ich mich wieder mit Mexiko zu beschaeftigen. Ich glaube, dass ich mich waehrend meines Aufenthalts in Mexiko in die dortige Kultur verliebt habe. Ein Grund dafuer duerften die Texte von Subcomandante Marcos sein – dem Sprachrohr der Zapatisten. Von Anbeginn war ich davon fasziniert, wie hier ansonsten diskursiv voneinander getrennte Genres miteinander verzahnt werden: das politische Kommunique und die literarische Erzaehlung. In Texten, in denen die Zapatisten den Leser ueber die Situation in Chiapas in Kenntnis setzen oder ueber die mangelhafte Demokratie in Mexiko oder ueber die Probleme, die die neoliberale Globalisierung hervorbringt – in solchen Texten finden sich fiktive Fragmente, die von Marcos verfasst worden sind. Diese fuegen sich in die Texte auf eine Weise, welche der literarischen Tradition der Idigenas nahe steht oder aber auf eine Weise, die man mit Techniken und Strategien der Postmoderne in Verbindung bringt. Die Figuren, die beim Lesen den staerksten Eindruck hinterlassen, sind Don Durito de la Lacandona und der Alte Antonio. Es sind Figuren, die fuer das Gestern im Heute stehen: die Unterdrueckung durch Kolonisatoren einerseits und den Reichtum der Tradition andererseits.

Besonders faszinierend fuer jemanden, der dazu arbeitet, sind die enorme diskursive Intelligenz und das grosse rhetorische Talent von Marcos. Er hat es geschafft, eine Sprache zu finden sowie ein Ensemble von Themen, die Gruppen gemeinsam haben, welche zunaechst einmal sehr verschieden und weit entfernt voneinander sind. Was viele Menschen ueberzeugt hat, ist, dass er es geradezu meisterlich verstanden hat, das Thema der Demokratie in seiner gesamten Komplexitaet mit Fragen der kulturellen und nationalen Identitaet zu verknuepfen. Davon koennen sich so unterschiedliche Menschen wie ein Indigena aus Chiapas, eine Feministin aus Amsterdam und ein Sozialarbeiter aus Berlin angesprochen fuehlen.

Auch in der Distanzierung von der leeren Rhetorik der Politik und der Macht kommt das Gemeinsame zum Tragen. Viele Menschen unterschiedlichster Traditionen, Laender und Kulturen koennen die Vermengung der literarischen, kulturellen und politischen Diskurse wert schaetzen. In den Texten von Marcos kreuzen sich die Ironie und andere Varianten des Humors, sowie Referenzen und Figuren wie Speedy Gonzalez und Brigitte Bardot mit Anspielungen auf Sancho Panza und Shakespeare. Diese spezielle Kombination der kulturellen Referenzen [gewoehnlich als hoch und niedrig eingestuft] traegt einiges dazu bei, dass sich Leser mit sehr unterschiedlichen Interessen in diesem Diskurs wieder finden und dass sie das Gefuehl haben, mit den Zapatisten etwas gemeinsam zu haben.

Das Konzept des Gemeinsamen ist bei der Reflektion ueber den zapatistischen Diskurs noch in einer anderen Hinsicht von Bedeutung: Das Beeindruckendste ist naemlich, dass diese indigenen Mayas aus dem Suedosten Mexikos mit ihrer eigenen Stimme oder mit der geliehenen Stimme des Subcommandante Marcos uns daran erinnern und uns immer wieder erklaeren, dass das, was wir – die Mexikaner und die Oeffentlichkeit im Ausland – gemeinsam haben, der Umstand ist, das wir unterschiedlich sind. In diesem Sinne praesentieren sie sich als Verteidiger der Differenz in einem Raum der Gleichheit. In ihrem Vokabular bedeutet Gleichheit, dass alle Personen die gleichen Rechte haben und die gleichen Moeglichkeiten, sich zu entwickeln. Zuallererst reklamieren die Zapatisten dies fuer die Aermsten in Mexiko sowie fuer die Idigenen. Dabei haben sie den oekonomisch-sozialen sowie ethnischen Aspekt dieser Rechte vor Augen. Darueber hinaus hat die Geschlechterfrage in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, was etwa in dem Roman >Muertos incomodos< [2005] zum Ausdruck kommt, den Marcos vierhaendig mit Paco Ignacio Taibo II geschrieben hat. Sexuelle Minderheiten wie Lesben, Transsexuelle, u.a. spielen jedenfalls eine zunehmend wichtige Rolle in den Botschaften aus dem lakandonischen Urwald.

Der Widerstand der Zapatisten gegen die Globalisierung, so, wie sie sich derzeit entfaltet, muss ebenfalls als Bestandteil dieses Kampfes gesehen werden. Die Diagnose, die viele andere Mexikaner und Lateinamerikaner teilen – die rezenten Siege der Linken in den unterschiedlichen Laendern Suedamerikas bezeugen dies – legt offen, dass die neoliberale Globalisierung keineswegs Gleichheit in der Differenz stimuliert, sondern oekonomische Ungleichheiten verstaerkt und darueber hinaus dazu beitraegt, kulturelle Differenzen auszuradieren. Nicht jedoch die Welt, sondern die vermeintlich anachronistische Architektur des Nationalstaats markiert den Horizont der Kaempfe. Indem sie einen besonderen Status fuer die Indigenen innerhalb des mexikanischen Staats reklamieren und auf bestimmten Ebenen autonome Entscheidungsmacht erbitten, grenzen sich die Zapatisten gegenueber den anderen Mexikanern ab. Zur gleichen Zeit praesentieren sie sich als Mexikaner, die einer Nation angehoeren wollen, mit der sie ihre historischen und kulturellen Referenzen teilen. Das ist ihre doppelte Strategie, mit der sie in Mexiko um Gleichheit kaempfen. Bis heute ist ihnen dieses Recht verwehrt geblieben.

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