Im Säurebad der Effizienz

Mitte der neunziger Jahre habe ich immer haeufiger in den Zeitungen kleine Meldungen gelesen, dass sich kulturelle Einrichtungen von McKinsey oder Roland Berger beraten lassen, darueber hinaus Stadtverwaltungen, Sportvereine oder Krankenhaeuser. Mein Eindruck war, dass die Unternehmensberater mehr und mehr in Bereiche vordringen, die nicht direkt zur Wirtschaft gehoeren.

Ich wollte wissen, warum das so war und welche Folgen es haben koennte. Ich habe, damals als Redakteur der ZEIT, bei mehreren Firmen recherchiert, unter anderem McKinsey, Roland Berger und Kienbaum. Am meisten haben mich die Leute von McKinsey beeindruckt. Sie haben den Gedanken der Effizienz besonders konsequent in die Welt getragen. Die Berater kamen mir vor wie Ledernacken. Ich habe mich daher entschieden, die weiteren Recherchen nur noch bei McKinsey zu machen.

Fuer mich hat sich damals der Eindruck bestaetigt, dass sich mehr und mehr Bereiche der Gesellschaft dem Gedanken der Effizienz unterwerfen. Jeder will ein Manager sein, jede Institution soll gefuehrt werden wie ein Unternehmen, selbst der eigene Alltag wird zunehmend nach dem Diktat der Effizienz organisiert, wird einem Regime von Zahlen unterstellt.

Auch nach Abschluss der Recherchen ist mir dieser Trend immer wieder begegnet und ich hatte allmaehlich den Eindruck, unsere Gesellschaft verwandelt sich in eine McKinsey-Gesellschaft. Schliesslich hat mich Rowohlt, in Erinnerung an meinen Artikel fuer die ZEIT gefragt, ob ich ein Buch schreiben wolle. Ich wollte.

Wir wollten das Buch urspruenglich >Die McKinsey- Gesellschaft< nennen. Zum einen ist McKinsey die konsequenteste und faszinierendste Unternehmensberatung. Zum anderen ist der Name McKinsey zur Metapher geworden fuer Oekonomismus und unerbittliches Effizienzstreben. Als die Firma von dieser Absicht erfahren hat, hat sie Titelschutz reklamiert. Deshalb heisst das Buch >Unser effizientes Leben<. Inhaltlich hatte das keine Konsequenzen. Es geht um die Diktatur der Oekonomie und nicht zuletzt um McKinsey als die zentrale Religion des 21. Jahrhunderts. Denn obwohl die Kirche seit dem Zweiten Weltkrieg an Stellenwert verloren hat, ist das Beduerfnis nach Religion in den letzten Jahrzehnten weitgehend konstant geblieben. Es sucht nur nach anderen Wegen. Die Esoterik ist eine solche Religion, auch das Geld oder die Effizienz. All das wird eingesetzt, um das Beduerfnis nach Erhabenheit, Spiritualitaet und Transzendenz zu stillen, wenn auch oft vordergruendig. Die Kirche verliert in diesem Wettbewerb durch Anpassung. Wenn sie sich von McKinsey in ein Unternehmen verwandeln laesst, geraet sie in Konkurrenz zu anderen Spiritualitaetsunternehmen, die als Marktteilnehmer besser sind. Kirche muss ueber der Weltlichkeit stehen. Religion an sich ist vielleicht ineffizient, aber sie kann dem Streben nach Effizienz dienen, wenn sie daraus einen hohen Wert macht. Dabei schadet Goetzenkult nicht, im Gegenteil. Religion braucht in einer fruehen Phase einen Goetzenkult, weil die Tiefe der wahren Religion erst durch Dauer entsteht. Am Anfang ist jeder Kult ein Goetzenkult. Das galt auch fuer die christliche Religion. Im Moment sieht es so aus, dass sich der Effizienzkult auf Dauer durchsetzt. Ob es moeglich ist, sich ihm durch so etwas wie Rucksack-Tourismus zu entziehen? Ich glaube eher nicht. Nicht die Pausen vom normalen Leben sind entscheidend, sondern entscheidend ist das normale Leben. Wie verhalte ich mich in meinem Alltag? Unterstelle ich mich einem Regime der Zahlen und der Effizienz oder ueberleben in mir zum Beispiel der Muessiggang und die Umstaendlichkeit? Es ist schwer, sich gegen die Versuchungen der schoenen Zahlen zu wehren, weil sie das gute Leben versprechen. Auch ich kann und will das nicht immer. Aber man verliert auch dabei. Ich glaube nicht, dass ein Leben unter der Effizienzdiktatur lebenswert ist.

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