Garantierte Gerechtigkeit im literarischen Wettbewerb? Eine Lesebühne zeigt, wie es geht

Was muss man tun, damit Geschlecht, Hautfarbe, Religion oder sonstige Attribute eines Autors bei Wettbewerben und Preisverleihungen keine Rolle mehr spielen? Eine Berliner Lesereihe hat es geschafft, Diskriminierung konzeptuell auszuschließen. Quoten braucht sie dazu nicht. Der Schriftsteller und Berliner Gazette-Autor Maik Gerecke berichtet.

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Der deutsche Literaturbetrieb gilt als ungerecht. Für viele Feministen ist er sogar eine sexistische Männerdomäne. Manche plädieren daher für die Quote, andere sehen dies wiederum kritisch. Nicht zuletzt, weil dies zu einer „umgekehrten Diskriminierung“ führen könnte.

Bei der anonymen Lesebühne des Konzept Feuerpudel sind solche Debatten hinfällig. Denn sie eliminiert ganz einfach die Voraussetzungen unter denen Diskriminierung erst möglich wird. Sogar ein Netzwerk aus „old boys“ wäre dagegen machtlos.

Wie man Diskriminierung unmöglich macht

Nun bedeutet das alleinige Vorhandensein einer Möglichkeit natürlich nicht, dass davon auch Gebrauch gemacht wird. Aber sicher kann man sich niemals sein. Was muss man also ändern, damit auch der Verdacht auf Manipulation gar nicht erst aufkommen kann?

Als erstes muss man die Möglichkeit beseitigen. Die Regeln und Abläufe üblicher Lesebühnen- und Wettbewerbskonzepte bedingen allerdings diese Möglichkeit. Über Gewinner und Verlierer entscheiden meist die Vorauswahl sowie Jurymitglieder, von deren Urteil letztlich alles abhängt. Der Literatur-Endverbraucher hat dabei meistens kein Mitspracherecht. Er muss fressen, was auf den Tisch kommt.

Das Feuerpudel-Konzept setzt bereits bei der Vorauswahl der Texte an. Hier entscheidet nicht, wie in den meisten Fällen, „einzig die Qualität der eingereichten Texte“, sondern das Los. Aus den Einsendungen werden blind acht Texte gezogen. Autoren haben sogar die Möglichkeit, sich vollkommen anonym zu bewerben.

Im Vorfeld disqualifiziert werden allerdings inhaltlicher Rassismus, Sexismus oder Gewaltverherrlichungen. Dabei wird mit den Autoren Rücksprache gehalten, um zu klären, welches Ziel der Text verfolgt. Stumpfe Beleidigungen und verletzende Inhalte gegen reale Personen unter Verwendung von Klarnamen werden generell nicht toleriert.

Der nächste und entscheidende Schritt ist die öffentliche Lesung. Nicht die Autorin liest den Text, sondern Alexander Lehnert, einer der Veranstalter beim Feuerpudel. Die Autoren befinden sich im Publikum und bleiben unerkannt. Stattdessen bekommt jeder Text eine Nummer. Erst wenn am Ende die Preise vergeben und die Autoren dazu auf die Bühne gebeten werden, stellt sich heraus, wer die gekürten Texte verfasst hat. Bis dahin weiß man nichts über den Autor. Er oder sie saß die ganze Zeit unerkannt im Publikum.

Basisdemokratische Textbewertung

Es gibt keine klassische Jury beim Konzept*Feuerpudel. Welcher Text den ersten bis dritten Preis erhält, entscheidet allein das Publikum. Nachdem alle Texte vorgelesen sind, heißt es für die anwesenden Gäste wählen. Auf Stimmzetteln gibt jeder eine Bewertung ab. Der Autor ist dabei immer noch inkognito.

Die Wähler erhalten auf diese Weise gar nicht erst die Möglichkeit, Geschlecht, Alter, Nationalität oder sonstige Attribute des Verfassers in die Bewertung mit einfließen zu lassen. Der Text steht so vollkommen im Vordergrund. Die Veranstalter, die mitunter schon einiges über die Autoren wissen, haben selbst kein Stimmrecht.

Ein Konzept mit Zukunft?

Stellt sich nun die Frage, ob dieses Konzept nur im kleinen Rahmen umsetzbar ist. Der Open Mike zum Beispiel, größter deutscher Nachwuchspreis für junge Autoren, zeigt deutliches Pudelpotential. Seine Vorauswahl ist bereits anonymisiert, wer nominiert wird, entscheiden aber noch die Expertise und Vorlieben des jeweiligen Lektors.

Auch das Open-Mike-Finale wäre nicht schwer zu pudelisieren. Die Jury könnte man zu stellvertretenden Vorlesern umfunktionieren und für das Publikum Wahlurnen im Foyer aufstellen. Die Möglichkeit auf Mitbestimmung, wer der nächste große Wurf des Literaturbetriebs wird, dürfte sogar einen gewissen Anreiz auf das Publikum ausüben. Momentan spielt es noch eine sehr passive Rolle.

Die Idee einer anonymen Lesebühne stammt von Angie Volk und wurde seit 2010 zusammen mit Josefine Marwehe, Antonia Muschner und Alexander Lehnert entwickelt, der heute als einziger noch mit dabei ist. Die Feuerpudel-Lesung hat sich seitdem stetig gewandelt und weiterentwickelt. Das Team wechselte über die Jahre stetig, sogar Pudelpraktikanten gab es. Heute arbeiten neben Lehnert noch An-Sofie Pype und Niklas Clausen an dem Projekt.

In der Zukunft würden die Veranstalter gerne noch weitergehen. Das Konzept soll ein Sprungbrett für junge Autoren werden. Die Ideen gehen in Richtung einer Schreibwerkstatt für die Jahresgewinner oder eines »Pudel in Residence«. Aber dafür fehlt bisher leider noch das Geld.

Schafft die Quote Gleichbehandlung?

Die Grundidee des Feuerpudels war anfangs, schüchternen Autoren eine Plattform zu bieten. In jahrelanger Arbeit hat sich daraus ein Konzept entwickelt, das eben jene Gleichbehandlung erzwingt, die übliche Konzepte offenbar nicht zu garantieren imstande sind.

Solche Vorschläge wie etwa von Annina Luzie, die Gleichheit beim Deutschen Buchpreis mit einer Frauenquote zu regeln, oder Deborah Kogans Befürwortung für gesonderte Literaturpreise nur für Frauen, wie den Women’s Prize for Fiction, wirken wie verzweifelte Versuche, einen hoffnungslosen Fall zu retten, oder gar zu reparieren. Aber ist das die Lösung?

Angenommen es sei nach einer solchen Reparatur der Fall, dass man vorher disqualifiziert wurde, weil man zum Beispiel eine Frau ist, so qualifiziert man sich nun aus genau demselben Grund. Nicht nur, dass die Quote auch Männer „umgekehrt diskriminieren“ kann, sie schmälert nicht zuletzt die Leistung einer Autorin aufgrund ihres Geschlechtes. Denn der Verdacht wird möglich, dass sie letztlich „nur“ prämiert wurde, weil sei eine Frau ist.

Tatsächliche Anerkennung und Wertschätzung literarischer Leistung mutiert so zu einem Politikum. Darüber hinaus hätten Preisverleihungen mit Büchern und Literatur am Ende nur noch am Rande etwas zu tun.

Wer Konzepte nur oberflächlich repariert, wird auch nur oberflächliche Ergebnisse erzielen. Eine nachhaltige Lösung muss daher wesentlich tiefer ansetzen. Der Feuerpudel-Gewinner etwa kann ein weißer Mann sein, der aus acht weißen, männlichen Teilnehmern ermittelt wurde, ohne dass man dabei irgendeine Form der Diskriminierung unterstellen könnte.

Wahre Gleichstellung haben wir erst dann erreicht, wenn die Schubladen, in die man jemanden stecken kann, keine Rolle mehr bei der Bewertung oder Wertschätzung seiner oder ihrer Leistung spielen. Und sogar diesseits der Grenzen des Kulturbetriebes, dem kreativen Zentrum kritischer und politisch aktiver Intellektueller, führt man einen Krieg um so “einfache” Grundbedingungen wie die Gleichbehandlung. Die schlichte Forderung danach ist jedoch zwecklos, wenn darauf keine sinnvollen Vorschläge folgen, die das Wie betreffen.

Ganz unabhängig von der Frage, ob es Diskriminierung im Literaturbetrieb wirklich gibt oder nicht, haben wir bis heute offenbar nicht einmal Voraussetzungen geschaffen, die uns ein gegenseitiges Vertrauen zueinander erlauben. Vertrauen darüber, dass wir einander fair behandeln.

Und solange wir uns in einer Hierarchie gegenseitig bewerten und prämieren, werden wir aus diesem Vorstufendasein kaum herausfinden. Aber wie angenehm wäre es, könnten wir unsere Schubladen endlich verlassen, egal, in welcher wir stecken, und – gemeinsam – Literatur machen.

Texte prämieren, keine Autoren

Wer soll uns aber bewerten und prämieren, wenn nicht wir selbst? Um das zu klären, könnten wir uns fragen, was wir uns von der Literaturbewertung überhaupt versprechen? Eigentlich geht es ja um Texte, die begeistern sollen und hinter denen ein Autor oder eine Autorin steht, nicht davor.

Wenn aber der Schriftsteller nicht mehr für Jurys oder die Akademie des Deutschen Buchpreises schreibt, also für Persönlichkeiten des Literaturbetriebs, für wen dann? Auch hier hilft wieder ein Blick auf das Konzept*Feuerpudel, bei dem Texte ganz klar im Vordergrund stehen.

Das äußere Ende des Literaturbetriebs bildet der Leser. Er ist ein überaus wichtiger Bestandteil des Literaturgeschehens und besteht zudem aus einer Millionenschaft von Menschen. Ohne diese würde der Betrieb in sich zusammenfallen.

Der breiten Masse mag es mitunter an literaturwissenschaftlicher Bildung oder Nähe zu den Kernbereichen des Literaturbetriebs fehlen, aber vielleicht kommt ihr gerade deshalb noch die größte Unvoreingenommenheit zu, die man sich so sehr wünscht. Was spräche also dagegen, ihr die Literaturbewertung zu überlassen? Vielleicht ließe sich ja im gesamten Kulturbetrieb sogar eine Art „freiheitlich demokratische“ Grundordnung etablieren.

Dem Leser eine Stimme geben

Publikumspreise spielen in Wettbewerben oft nur eine Nebenrolle. Sie sind so eine Art Trostpreis, obwohl sie eigentlich signalisieren, dass eine größere Zahl an Menschen Gefallen an einem Text gefunden hat.

Gekürt wird man als Autor in diesem Fall von Menschen, die für ihre Entscheidung sehr wahrscheinlich keinen weiteren Grund hatten, als ein anregendes Literaturerlebnis. Deswegen ist die Frage wohl nicht unangebracht, ob die Literaturprämierung dem Publikum überantwortet werden könnte. Oder sollte. Vielleicht ist der Leser ja der Juror der Zukunft.

Anm. d. Red.: Die öffentliche Lesung des Konzept*Feuerpudel findet jeden 1. Dienstag des Monats in der Koffer-Bar in Neukölln statt. Der Eintritt ist frei. Das Foto stammt von Ged Dackys und steht unter einer Creative-Commons-Lizenz.

2 Kommentare zu “Garantierte Gerechtigkeit im literarischen Wettbewerb? Eine Lesebühne zeigt, wie es geht

  1. “Im Vorfeld disqualifiziert werden allerdings inhaltlicher Rassismus, Sexismus oder Gewaltverherrlichungen.”

    Was muss man sich darunter vorstellen?

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