Zeit und Raum spielen zunaechst eine grosse Rolle in der Kosmologie. Im Gespraech mit den Naturwissenschaften hat die Theologie lernen muessen, dass die Welt viel groesser und viel aelter ist, als sie, jeweilig mit den Menschen ihrer Zeit, gedacht hatte. Aber die Thematik der Zeit kommt auch vor, wenn es darum geht, Neues zu denken. Christliche Theologie geht davon aus, dass mit Jesus Christus eine neue Zeit angefangen hat. Die Frage ist, wie sich das denken laesst. Es gab den Gedanken der realisierten Eschatologie, dass also die Endzeit mit Christus angebrochen ist. Es gab im Gegenteil den Vorschlag, die Endzeit als verzoegert zu denken. Schliesslich schlug man vor, dass es zwar in Christus eine wesentliche Veraenderung gegeben hat, aber die letzte Wende noch auf sich warten laesst.
Fuer mich ist jedoch die Frage nach der subjektiven Wahrnehmung der Zeit interessanter. Es gibt Augenblicke im menschlichen Leben, wo die Zeit sozusagen aufgehoben ist. Die Dauer der Existenz ist natuerlich durch den Tod unterbrochen, aber auch durch die Ewigkeitsmomente, die z.B. in einer grossen Freude erfahrbar werden. Die Unterbrechung des alltaeglichen Lebens entzieht das Leben dem Menschen, damit er es dann als ein Geschenk neu empfangen kann. Das ist der Sinn der Unterbrechung im Sabbat und also auch der tiefere Sinn des Sonntags.
Religion ist Unterbrechung. In der gleichen Logik stellt sich kirchliche Praxis immer wieder quer zu der wirtschaftlichen Hektik. Sie verteidigt so die Menschen gegen den Zeitdruck. Das zeigt sich in den verschiedenen Faechern, die die Praktische Theologie ausmachen: Gottesdienst ist Unterbrechung, und die Liturgie bringt das ganze Leben, die Zeit des Alltags, vor Gott. Seelsorge ist Zeit zur Einkehr, wo das Wesentliche besprochen werden kann. In der Religionspaedagogik geht es unter anderem darum, den Kindern und Jugendlichen Zeit zum Reifen zu lassen. In der Diakonie, stellt sich die Frage, wie Zeit fuer die alten, ausgegrenzten sich finden laesst.
Um unter den gegeben Umstaenden der Beschleunigung der Angst zu entkommen, den Anschluss zu verlieren, geht es darum, dass man sich distanzieren laesst. Wer den Zeitgeist heiratet, ist bald verwitwet! Ich meine inzwischen sogar, dass die Kirche den Menschen den groessten Dienst leistet, wenn sie nicht den Standards eines Unternehmens oder Aehnlichem entspricht. Gerade dadurch kann sie zeitgemaess sein, dass sie auf den unmittelbaren Anschluss verzichtet. Die jahrhundertlange Erfahrung zeigt auch, wie ein theologisches Motiv, das scheinbar heute nicht zeitgenoessisch ist, es morgen wieder werden kann.
Also geht es in der Praktischen Theologie darum, einerseits in dem jeweils gegebenen Kontext die kirchliche Praxis zu analysieren und sie immer wieder neu zu entwerfen, aber andererseits den Rueckhalt der langen Zeit und der in ihr liegenden Erfahrung nicht zu verlieren.