Ich habe mich schon im Studium Anfang der 90er Jahre mit den islamischen Bewegungen und dem Politischen Islam beschaeftigt. Und dann tauchte da ploetzlich eine neue Richtung auf: Junge, sehr modebewusste, sehr erfolgsorientierte Muslime, die zugleich tiefreligioes sind. Viele der Jugendlichen kommen aus der Mittelschicht, oder sogar die Kinder der Oberschicht in den arabischen Laendern sind dabei. Die Jugendlichen also, von denen >wir<, der Westen, immer dachten, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie ganz so werden wie wir. Zunaechst erscheint diese Bewegung unpolitisch. Sie setzt darauf, dass jeder einzelne Muslim etwas aus seinem Leben macht, ein besserer Mensch und ein besserer Muslim wird und dadurch im Endergebnis die Gesellschaft besser, also islamischer wird. So soll dann auch die islamische Ummah aus ihrer derzeitigen Krise gezogen werden. Wichtig fuer die Bewegung sind Prediger wie Amr Khaled oder Musiker wie Sami Yusuf. Das Phaenomen ist sehr global: Junge Muslime in Kairo, Dschidda, Tokio und Berlin hoeren die gleiche Musik, sehen die gleichen religioesen Talk-Shows und tragen sogar das Kopftuch nach aehnlicher Mode gebunden. Der Terror im Namen des Islam und der Kampf dagegen bestaerkt sie eher in ihrer muslimischen Identitaet – nach dem Motto: Ihr seht mich als anders, ich bin auch anders und das ist cool.
Zugleich versuchen viele dem Trend zur Gewalt bei gleichaltrigen Glaubensbruedern etwas entgegenzusetzen. Im Internet laeuft eine erbitterte Auseinandersetzung zwischen den Anhaengern dieser >Pop<-Bewegung und den salafistisch orientierten Jugendlichen. Es geht, darum, wieviel Spass, wie viel Musik und wie viel Neuerung im Islam erlaubt sei. 2000 war ich in Aegypten in einer riesigen Moschee in einer Satellitenstadt. Dort kamen am Donnerstag Abend gute 5000 bis 6000 Jugendliche zusammen, um Amr Khaled zu lauschen. Ich fand diese Szene sehr spannend und habe dann immer wieder solche Veranstaltungen besucht und Leute getroffen, die solche Ideen vertreten haben. Fuer mein Buch habe ich dann eine ganz konzentrierte Serie von circa 60 bis 70 langen Interviews mit Jugendlichen Pop-Muslimen hier in Deutschland gefuehrt, habe ihre Konzerte, Moscheen und Events besucht. Diese Serie habe ich nach den Anschlaegen von London 2005 begonnen. Es ist schon erstaunlich gewesen, 17jaehrige Maedchen zu treffen, die Butterbrote fuer Obdachlose schmieren und diese dann im Bahnhofsviertel einer deutschen Grossstadt verteilen, und die auf die Frage, wieso sie dies tun, antworten, dass sie natuerlich etwas Gutes tun und das Bild des Islam in der Oeffentlichkeit verbessern wollen, dass sie sich aber auch - und vor allem - dafuer Hassanat–Punkte fuer’s Paradies erhoffen. Die Furcht vor dem juengsten Tag und die Vorfreude auf das Paradies spielt ja sonst in unserer Gesellschaft keine so grosse Rolle. Erstaunlich fand ich es auch, dass viele meiner Interviewpartner sehr selbstverstaendlich bei Alltagsentscheidungen Beispiele aus dem Leben des Propheten heranziehen. Wenn er damals in einer Situation so entschieden hat, dann ist diese Entscheidung auch heute noch richtig. Interessant fand ich auch das Gespraech mit einem Mann, der vor vier Jahren zum Islam konvertiert war. Er sagte: >Wir haben in den letzten Jahrhunderten unserer Geschichte die Wissenschaften vernachlaessigt<. Er ist mit seinem Glaubenswechsel also auch in eine andere Geschichte eingetreten. Ich finde es immer gut, das Gedankengebaeude anderer Menschen zu versuchen zu verstehen. Natuerlich finde ich meine Art zu denken und zu leben die Richtige, aber das geht eben nicht allen so. Solche Begegnungen oeffnen auch insofern den Horizont. Die allermeisten meiner Interviewpartner haben sich ueber das Label >Pop-Muslime<, das ich ihnen verpasst habe, mokiert. Sie seien einfach Muslime und lebten eine Religion, die schon seit Jahrtausenden existiert. Hier geht es also um religioese Wahrheit und nicht um Mode oder Zeitgeist. Bei Lifestyle-Fragen werden dann auch gerne die Gelehrten konsultiert. Alles muss zum Glauben passen. Und – da wuerden Aussenstehende dann den Zeitgeist erkennen – in dem, was als islamisch korrekt gilt. Da hat es in den letzten Jahren einige Veraenderungen gegeben. Musik, Rap gar bei islamischen Veranstaltungen in Deutschland. Das waere Anfang der 90er Jahre noch Tabu gewesen. Heute ist das in dieser Szene ganz normal. Vergangenes Wochenende trat Huelya Kandemir, eine Folk-Saengerin bei einer islamischen Veranstaltung mit gemischtem Publikum in Darmstadt auf. Das war sehr mutig und eine neue Grenzueberschreitung. Sie Verwies dann auch gleich auf ein Rechtsgutachten auf ihrer Webseite, dass dieses Handeln als islamisch erlaubt bestaetigte. Es ist trendy religioes zu sein und zu den Wurzeln der Religion zurueckkehren zu wollen, die immergueltig und richtig sind. Zugleich veraendert sich derzeit viel, was die Interpretation angeht. Da spielt dann Zeitgeist –finde ich durchaus– eine Rolle.