Es kostet viel Energie den >Beschleunigungszwaengen< [Hartmut Rosa] nicht zu erliegen. Und offenbar schuetzt mich gelegentlich mein Unbewusstes, dann >vergesse< ich ein Versprechen oder irgendwo ein- oder auszusteigen. So wie wir arbeiten/leben - entgrenzt - bedeutet das halt auch den Verlust des befreienden Gefuehls von >Freitag ab eins macht jeder seins<.
Welches Zeit-Bewusstsein in meinem Fall die Arbeit mit international verstreuten Kollegen und Freunden aus der Kulturszene foerdert, die aufwachen, wenn ich zu Bett gehe, oder gerade Feierabend machen, wenn ich aus der Mittagspause komme? Da bin ich dankbar fuers Mailen, denn nichts ist schlimmer als von einem aufgekratzten Zubettgeher in den fruehen Morgenstunden mit sprudelnden Ideen ueberfallen zu werden. Das Mailen erlaubt ein Synchronisieren von Stimmungen: Morgen-, Mittags-, Nachtmails unterscheiden sich halt. Bei mir jedenfalls.
In meiner Theorie der Verfluessigungen spielt Zeit eine wichtige Rolle. Ich charakterisiere die Zeit, in der wir uns befinden, etwa als >nicht mehr< und >noch nicht<, als eine Zeit zwischen zwei Klammern. Eine Rueckkehr zu Zeiten der Vollbeschaeftigung wird es nicht mehr geben, was an ihre Stelle treten soll, ist noch nicht Gegenstand oeffentlichen Nachdenkens. >Nicht mehr< traegt in der Globalisierung die zentralisierte, industrialisierte, in sich abgeschlossene alte Welt, die auf Institutionen, starren Hierarchien, verlaesslichen Arbeitsplaetzen und -zeiten aufgebaut ist, und wir werden in Konsequenz davon nicht mehr genuegend vom Vater, vom Staat versorgt, aber koennen noch nicht andere - eigene - Wege beschreiten, weil noch die Voraussetzungen fuer soziale Konstruktionen fehlen, die Hybride zwischen Fuersorge und Selbstorganisation erzeugen koennten [Ich denke da auch ans bedingungslose Grundeinkommen]. Und ich setze mich in >Verfluessigungen< mit der Frage auseinander, welche Anerkennungs- und Beteiligungsformen wir in der Gesellschaft brauchen, wenn zugrunde gelegt werden muss, dass es fuer das >neue Subproletariat<, das Schichten uebergreifend ist, keine Perspektive einer sozialen Verortung und ein Zuviel an Zeit geben wird. Hannah Arendt mahnte: >Die ueberschuessige Zeit des Animal laborans wird niemals fuer etwas anderes verbraucht als Konsumieren, und je mehr Zeit ihm gelassen wird, desto begehrlicher und bedrohlicher werden seine Wuensche und sein Appetit.< Ihr Schueler Zygmunt Bauman ergaenzt die Mahnung um die Feststellung, dass wir mitten in einer Phase der heraufziehenden Spaltungen der Weltbevoelkerung in globalisierte Reiche und lokalisierte Arme sind, in der die einen den Raum ueberwinden und keine Zeit haben, die anderen dagegen an den Raum gefesselt sind und ihre Zeit, mit der sie nichts anfangen koennen, totschlagen muessen. Die Unsicherheiten der >fluessigen Moderne<, wie Bauman sie nennt, resultieren eben nicht nur aus der Beschleunigung, sondern aus dem Verlust von Sicherheit, auch der imaginierten. Die >fluessige Moderne< unterscheidet sich von der klassischen Moderne dadurch, dass alles Stabile und Verlaessliche sich aufloest, zerfliesst, verdampft, was auch heisst: Entmachtung der Vergangenheit, der Tradition. Damit verlieren Sesshaftigkeit und Bodenhaftung an Bedeutung, da man zu jeder Zeit an jedem Ort sein und von dort auch wieder verschwinden kann. Festhalten und Eingebundensein in gegenseitige Verpflichtungen kann sich definitiv als schaedlich erweisen, wenn sich neue Moeglichkeiten an anderen Orten auftun. Verfluessigungen gehen auch einher mit Aufloesungen, Entdifferenzierung, Desintegrationen, Unverbindlichkeiten, Bindungsverlusten und Ueberforderungen der Menschen durch nomadische Lebensweisen. Mit >fluessiger Zeit< gehen zunehmend mehr Lebens- und Arbeitstaetigkeiten einher, aus ihr entsteht ja auch viel Neues. Wir brauchen aber wirksame Strategien, um von der Entgrenzung nicht ueberspluet zu werden, es wird auch um Fragen der Entschleunigung gehen muessen.