Zurück in die Irre


Dekadenz ist das Gegenteil von Fortschritt, schlimmer noch als Stillstand: eine Bewegung in die falsche Richtung. Wer anderen Dekadenz vorwirft, scheint zu wissen, wohin es richtigerweise geht. Und das ist nicht ganz einfach, denn die Welt an sich kennt weder eine Richtung, noch Fortschritt oder gar Dekadenz. Die Welt geht einfach nur weiter.

Die Geschichte hat oft schon gezeigt, wie eine klare Richtung hinderlich sein kann; entweder weil dem Fortschritt in die eine, richtige Richtung alles andere untergeordnet und geopfert wird, oder weil das bekannte und unabänderliche Ziel bewegungslosen Fatalismus generiert.

Probieren und sehen, was passiert

Das ganze Konzept Geschichte führt in die Irre, wenn es Geradlinigkeit suggeriert, wo es eigentlich nur Möglichkeiten gibt. Die Evolutionstheorie würde sagen, man kann Zukunft weder planen noch vorhersagen. Man kann nur probieren und sehen, was passiert.

Eine Bewegung genau in diesem Sinne, eine, die ungeplant und unvorhersehbar verläuft, ist beispielsweise das Verirren – Kathrin Passigs und Aleks Scholz’ neues Buch Verirren kommt also genau im richtigen Moment.

Verirren, als sozio-kulturelles Modell, heißt “Ja” zu sagen zu einem Gedächtnis, das anzeigt, was bereits mit welchem Ergebnis ausprobiert wurde, aber “Nein” zu einer Diktatur der Vergangenheit über die Zukunft. Auf die Rede von Dekadenz und Fortschritt zu verzichten, heißt nicht Utopien auszuschließen, sondern nur zuzugeben, die richtige Richtung nicht zu kennen.

7 Kommentare zu “Zurück in die Irre

  1. @Silvia: mh, ist das nicht nur ein weiterdenken der prokastinationstheorie – wie lange wollen sie den Faulenzern der Nation denn noch in die ARme spielen? Ansonstne sher interessanter Text!

  2. Wenn es keine Richtung gibt in Welt und Geschichte, warum dann “zurück in die irre?”: zurück ist doch deutlich eine richtungsgebende Größe und keine neutrale dazu im Zusammenhang mit Dekadenz..

  3. @ Silvia: ich weiss nicht recht, also da ist sicherlich etwas dran, von der Methode her scheint es jedoch recht populistisch gestrickt: wir schreiben jetzt einfach mal genau das auf, was den neo-liberalen Zeitgeist gleichermaßen ad absurdum führt wie bestätigt. Aber sehr gut geschrieben, massentauglich und witzig, das sind die Passig-Bücher definitiv.

  4. @winkler: »zurück« führt wirklich ein bisschen in die irre. mein titel war »richtung dekadenz«, was scheinbar ein aufruf »in richtung dekadenz« ist, dann aber auch bedeuten kann »dekadenz als richtung« zu verstehen/kritisieren. auch nicht so geil. hast du eine idee?

  5. @ fabian: ich möchte mir nicht anmaßen, hier Titelvorschläge zu machen, abgesehen davon gefällt mir vom Klang her “Zurück in die Irre” besser als “Richtung Dekadenz”, aber vielleicht irgendwas mit “Die Welt geht einfach nur weiter” oder “Lost in Translation”

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